Wechsel an der Spitze in Nordwestmecklenburg

Landratswahl in NWM Tino Schomann siegt in der Stichwahl um das Amt des Landrates von Nordwestmecklenburg. Die bisherige Amtsinhaberin Kerstin Weiss muss sich deutlich geschlagen geben.

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Die Lage

Der Würfel ist geworfen, der Wähler hat entschieden. Die Bürger des Landkreises Nordwestmecklenburg haben sich einen neuen Landrat gewählt. Tino Schomann (CDU), Bürgermeister von Blowatz und Landwirt, setzte sich in der Stichwahl deutlich gegen die bis dato amtierende Amtsinhaberin, Kerstin Weiss (SPD), durch. War der Vorsprung in der Hauptwahl noch gering (etwa ein Prozentpunkt), so konnte er sich zwei Wochen später klar von der Mitbewerberin absetzen und einen großen Vorsprung (mehr als 26 Prozentpunkte) zwischen sich und die Konkurrentin legen. Insgesamt kann dieser Erfolg durchaus als Erdrutschsieg ausgelegt werden, da die Amtsinhaberin ersten klar abgewählt wurde und zweitens damit auch der nunmehr 28-jährige Zugriff einer Partei, in diesem Fall der der SPD, auf das Amt des Landrates von Nordwestmecklenburg gekappt wurde. Der Wahlkreis war bei dieser Wahl in 177 Wahlbezirke (inklusive der Briefwahlbezirke) eingeteilt, 157 davon konnte Timo Schomann für sich entscheiden, lediglich 20 (mit den Schwerpunkten Dassow und Schönberg Stadt/Land) votierten für Kerstin Weiss.

Die Wahlbeteiligung sank, wie immer bei der Notwendigkeit einer Stichwahl in Nordwestmecklenburg in den letzten 20 Jahren, wenngleich sich der Rückgang mit fünf Prozentpunkten noch in Grenzen hielt. Auffällig ist, dass trotz der leicht gesunkenen Wahlbeteiligung Tino Schomann fast zehntausend Stimmen im Vergleich zur Hauptwahl dazugewinnen konnte, wohingegen Kerstin Weiss nicht einmal mehr an ihre vormals erreichte Zahl herankam und fast tausend Stimmen einbüßte. Demnach ist es ihr weder gelungen, die eigenen Wähler zu mobilisieren, noch annähernd hinreichend in die Lager der beiden in der Hauptwahl ausgeschiedenen Kandidaten (Jörg Bendiks [Die Linke] und Timon Wilke [Piraten]) hineinzuwirken. Die Wünsche nach einem Wechsel an der Spitze und einer Verjüngung der handelnden Personen in den Verwaltungsstrukturen waren vermutlich die Hauptgründe, für das derart ausgefallene Votum.


Wismar – Eine sozialdemokratische Kraftquelle?

Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Erosion vormals wichtiger Bastionen, auf die sich in der Regel die beiden Volksparteien CDU und SPD verlassen konnten. Im vorliegenden Fall ist die Hansestadt Wismar für die Sozialdemokratie seit der friedlichen Revolution 1989-90 ein verlässlicher Lieferant für gute bis sehr gute Wahlergebnisse. Nach der Eingemeindung des mecklenburgischen Mittelzentrums in den neuen Landkreis Nordwestmecklenburg hatte sie eine Art Leuchtturmfunktion für die SPD, da die Ergebnisse dort stabil waren, herausragten und auf andere Bereiche ausstrahlten. Wenngleich auch dort die Vorsprünge der SPD bei unterschiedlichsten Wahlen (Bundestags-, Landtags-, Europa-, Bürgerschafts-, Bürgermeisterwahlen etc.) auf ihre Mitbewerber erodierten – absolute wandelten sich in zunehmend knappere relative Mehrheiten –, konnten bisher stets respektable Ergebnisse mit Machtoptionen erreicht werden. Auch bei der Landratswahl 2021 setzte die Sozialdemokratie, insbesondere in der Stichwahl, auf ihre rote Bastion, machten doch die wahlberechtigten Wismarer alleine mehr als ein Viertel aller Wahlberechtigten des Landkreises aus. Ein gutes Resultat in der Hansestadt hätte demnach ein solides Fundament legen können. Das Problem für Kerstin Weiss bestand insbesondere darin, dass die Wahlbeteiligung in Wismar bei den Landratswahlen für den gesamten Wahlkreis stets niedriger war, als im Rest des Abstimmungsgebietes. Warum dem so ist, ist bis dato noch nicht gänzlich erforscht. Möglicherweise bedingt sich diese Diskrepanz aus einer gewissen Ignoranz gegenüber der Entscheidungsgewalt des Amtsträgers, da davon ausgegangen wird, dass kommunalpolitische Entscheidungen lediglich in der Bürgerschaft der Hansestadt, vom Bürgermeister und den Senatoren getroffen würden. Anders gesagt, die Wichtigkeit und Relevanz der Beschlüsse des Landrates von Nordwestmecklenburg für das eigene alltägliche Leben sind noch nicht zur Gänze bei allen Bürgern der Hansestadt Wismar angekommen. Das hätte die Bemühungen des Teams um Kerstin Weiss natürlich konterkariert. Um diesem erwarteten Desinteresse entgegenzuwirken, investierte die nordwestmecklenburgische SPD noch einmal kräftig. Insbesondere Plakate wurden massenhaft geklebt. Darüber hinaus leisteten Parteigenossen über die üblichen Kanäle (sowohl Presse als auch in den sozialen Medien) hinlänglich Schützenhilfe. In Wismar wurde sogar die langjährige und immer noch beliebte Ex-Bürgermeisterin Rosemarie Wilcken bemüht und vor den sprichwörtlichen Wahlkampfkarren gespannt. Wenngleich die heute 73-Jährige nicht mehr aktiv in der Politik tätig ist und sich vor allem dem Denkmalschutz widmet, verbinden immer noch viele Wismarer positive Erinnerungen mit ihrer langen Regentschaft (zwei Dekaden), welche vor allem die turbulenten Nachwendejahre umfasste und von eben diesen geprägt wurde.


Die geschliffene Festung

Bei der Hauptwahl vom 25. April lag die Wahlbeteiligung im gesamten Wahlkreis bei 37,2%. In Wismar war sie mit lediglich 28,3 deutlich niedriger. In der Stichwahl sank der Gesamtwert auf 32,2%, in der Hansestadt blieb die Wahlbeteiligung mit 27,7% hingegen fast stabil. Die Differenz wurde halbiert. Die Überraschung bestand jedoch darin, dass Kerstin Weiss keinen Nutzen daraus zu ziehen vermochte. Ganz im Gegensatz zu den Erwartungen und Prognosen gelang es ihr nicht, in Wismar zu reüssieren, was zwingend erforderlich gewesen wäre, um ihre Chancen auf einen Sieg in der Stichwahl deutlich zu verbessern. Der klare Sieg von Tino Schomann im ganzen Landkreis wurde darüber hinaus durch die Ergebnisse aus Wismar nicht etwa relativiert, sondern sogar bestätigt. Insgesamt konnte der CDU-Kandidat 61,9% der Stimmen auf sich vereinen, Kerstin Weiss kam auf 38,1%. Nur auf die 32 Wahlbezirke (28 reguläre Bezirke und 4 Briefwahlbezirke) der Hansestadt Wismar bezogen, errang Tino Schomann sogar 64,3% der Stimmen, Kerstin Weiss lediglich 35,7% der Stimmen.

Das bedeutet, dass der Wahlsieger in der Hansestadt sogar über seinem, ohnehin schon gutem, Durchschnittswert lag. Er entschied alle 32 Bezirke für sich, die Landkarte der Wahlbezirke der Hansestadt färbte sich bei dieser Wahl buchstäblich schwarz. Auch der Anteil der Stimmen aus Wismar an seinem Gesamtergebnis sind mit 23,4% [6143 von 26214] etwas höher als bei seiner Kontrahentin (21,2% [3415 von 16115]).


Fazit und Ausblick

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die rote Bastion bei der Landratswahl 2021 geschliffen wurde. Die Hansestadt Wismar erwies sich bei dieser Wahl nicht als sozialdemokratische Kraftquelle. Ob sie ausgereicht hätte, um das Wahlergebnis signifikant zu beeinflussen oder gar zu verändern, wenn sie ein erwartetes, traditionell starkes SPD-Ergebnis geliefert hätte, darf jedoch ob der Klarheit des Sieges und der Dominanz der Wechselstimmung stark in Zweifel gezogen werden. Immerhin gewann Tino Schomann am 09. Mai 89% der Wahlbezirke. Ein durchaus massiver Vertrauensvorschuss für den jungen CDU-Mann, mit welchem er die nächsten sieben Jahre wuchern kann.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Marcus Helwing

Politikwissenschaftler, Freier Autor, Mecklenburger, Hanseat und begeisterter Freizeitsportler.

Marcus Helwing

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