Dieser General hat dafür gesorgt, dass die Armee in die politische Krise Ägyptens eingreift wie noch nie während der Arabellion. Dabei war Abdel Fatah al-Sisi außerhalb der Streitkräfte kaum bekannt, als ihn Präsident Mursi am 12. August 2012 zum Verteidigungsminister ernannte. Man deutete die Beförderung seinerzeit als mehr oder weniger geschickte Strategie. Ein islamistischer Führer engagierte einen militärischen Kommandeur, um sich des Rückhalts der Armee zu versichern. Al-Sisi führte den militärischen Geheimdienst und war mit 57 Jahren jüngstes Mitglied im 19-köpfigen Obersten Rat der Streitkräfte. Obwohl er aus einem intimen, sehr abgeschotteten Führungszirkel kam, ging ihm der Ruf voraus, der Muslim-Bruderschaft wohlwollend gegenüberzustehen.
Im Zimmer nebenan
Der General soll gezittert haben wie Espenlaub, als ihn Mursi an jenem Augusttag gleich um zwei Ränge beförderte. „Verhalten Sie sich wie ein Mann und nehmen Sie die Berufung an“, soll der Präsident gesagt haben. Was Al-Sisi um Fassung ringen ließ, war offenbar der Umstand, dass der zum Rücktritt gezwungene Marschall Hussein Tantawi – bis dahin interimistischer Staatschef – im Zimmer nebenan wartete und vor vollendete Tatsachen gestellt werden sollte. Aber Mursi hatte kaum eine Wahl, als er das Verteidigungsressort neu besetzte. Er brauchte jemanden, der für die Armee akzeptabel war und gleichwohl seinem politischen Dienstherren die nötige Loyalität nicht schuldig bleibt.
Al-Sisi gilt als strenggläubiger Moslem. Seine Frau trägt stets den vollen Niqab, wenn sie sich – was selten vorkommt – an der Seite des Generals in der Öffentlichkeit zeigt. Und Mursi weiß aus dem Mund von Mohammed Beltagy, einem führenden Funktionär der Bruderschaft, dass es Anfang 2011 eine „brüderliche Warnung“ des Sicherheitschefs Al-Sisi gegeben hat: Seht euch vor, es steht ein Angriff von Schlägern des alten Regimes gegen Demonstranten auf dem Tahrir-Platz bevor. Der Überfall wird später als „Kamelschlacht“ in die Annalen der Revolution eingehen. Dieses letzte Aufbäumen des inneren Terrors lässt Hosni Mubarak endgültig abstürzen – am 11. Februar 2011 muss er unwiderruflich abtreten.
Es wäre ein fataler Irrtum, in Al-Sisi einen Sympathisanten des Aufruhrs zu sehen. Als nach Mubarak zunächst Marschall Tantawi regiert, rechtfertigt der General das Verhalten der Streitkräfte, als Armee-Einheiten weibliche Demonstranten schlagen, verhaften, zu Jungfräulichkeitstests zwingen und mit Anklagen wegen Prostitution bedrohen. Al-Sisi wirkt nicht unberechenbar, aber er bleibt in seinem Verhalten ambivalent, wie das für die gesamte Laufbahn typisch scheint.
Der 1954 geborene Berufssoldat war noch vergleichsweise jung, als er eine militärische Laufbahn einschlug. Als Offizier der Infanterie wurde er Mitte der siebziger Jahre zunächst an der Militärschule in Kairo, später am britischen Joint Command and Staff College ausgebildet. Drei Jahrzehnte später machte er noch einen Master-Abschluss am War College der US-Armee in Pennsylvania. In Ägypten musste er in einen Militärapparat hineinfinden, den altgediente Obristen mit großen Privilegien und einem gesicherten Platz im politischen Leben beherrschten. Dabei kannte Al-Sisi als sunnitischer Muslim keine Skrupel, die arabisch-nationalistische und säkulare Tradition der Streitkräfte zu respektieren, wie sie einst junge republikanische Offiziere begründet haben. Besonders bekannte er sich zum 1970 gestorbenen Gamal Abdel Nasser, dem populärsten Präsidenten Ägyptens.
Öl ins Feuer
Als sich der Verteidigungsminister Al-Sisi Ende 2012 entschloss, Muslim-Brüder als Kursteilnehmer an Ausbildungsakademien für Offiziere zuzulassen, obwohl die Armee bis dahin auf absoluter weltanschaulicher Neutralität ihrer Kadetten bestanden hat, sorgt dies für Stirnrunzeln in der Generalität. Anhänger der liberalen Opposition machen geltend, dass Al-Sisi als Chef des Armeegeheimdienstes die Dossiers über die Muslim-Bruderschaft sowie radikalere Islamisten kennen müsse. Warum öffne er dieser Klientel die Hörsäle des Militärs? Ihm werde doch kaum entgangen sein, dass wenige Tage vor seinem Aufstieg zum Minister Dschihadisten auf dem Sinai ägyptische Grenzposten angegriffen und 16 Soldaten getötet haben. Die Angreifer nutzten Sicherheitslücken, um die sich in der chaotischen Übergangszeit nach dem Sturz Hosni Mubaraks niemand gekümmert hatte. Es gibt Vorwürfe, der General verschenke Vertrauen, wo das unverzichtbar sei. Al-Sisi wird nachgesagt, gegen derartige Attacken immun zu sein, da er beste Beziehungen zu hohen US-Militärs, aber ebenso zur saudischen Führung unterhalte. Ihm komme der Umstand zugute, einst Militärattaché in Riad gewesen zu sein.
Die im Dezember verabschiedete Verfassung gestand der Armee eine größere Autonomie zu als je zuvor, und doch verschlechterten sich die Beziehungen zur Bruderschaft, je unzufriedener die Bevölkerung mit Präsident Mursi wurde. Noch am 30. Juni warnte Al-Sisi vor einer Intervention der Streitkräfte, vier Tage später stürzte er den Präsidenten und steht seither im Zentrum des Kampfes um die Zukunft Ägyptens. Sein Ruf aus der vergangenen Woche nach einem Mandat des Volkes „zum Kampf gegen den Terror“ steht in dem Geruch, den Ausnahmezustand zu instrumentalisieren, um die eigene Hegemonie zu legitimieren. Man gießt Öl ins Feuer, um es als Held des Augenblicks zu löschen. Es hat den Anschein, Abdel Fatah al-Sisi will bewusst an den charismatischen Gamal Abdel Nasser erinnern, um sich demnächst als Retter Ägyptens und Präsident zu empfehlen.
Ian Black ist Nahost-Kolumnist des Guardian Übersetzung: Holger Hutt Der General soll gezittert haben, als ihn Präsident Mohammed Mursi gleich um zwei Ränge beförderte
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