Zeter und Mordio über Syrien

Krieg und Spektakel Von Revolution zu Bürgerkrieg ist der syrische Konflikt durch Komplexität und Verstrickung der imperialen Mächte gezeichnet. Eine Analyse anlässlich aktueller Ereignisse

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die Kosten des Kriegs tragen die Menschen
Die Kosten des Kriegs tragen die Menschen

Foto: Abdulmonam Eassa/AFP/Getty Images

„Aufgestanden ist er, welcher lange schlief,

Aufgestanden unten aus Gewölben tief.

In der Dämmrung steht er, groß und unerkannt,

Und den Mond zerdrückt er in der schwarzen Hand.“

Diese Strophe aus dem Gedichte des expressionistischen Dichters Georg Heyms, scheint die Impressionen, welche sich aus Schlagzeilen und Nachrichteneinschüben aufdrängen, einzufangen. Der Konflikt in Syrien, auf dessen Anfang man in Orpheus‘scher Manier nicht vermag zurückzublicken, ermöglicht keine Einsicht. Es sind Dinge passiert, das ist klar, doch wie und in welchem Kontext, so der mediale Tenor, ist doch zu komplex, um es klar zu benennen. Nun, da der Trump‘sche Popanz auf die vermeintliche Einsetzung von Giftgas vonseiten Assads zur Waffe griff, und unter Einberufung einer sich der Menschenrechte erbarmenden Troika aus May, Macron und dem werten US-amerikanischen Präsident selbst zur größten militärischen Intervention des Konflikts gegen Bashar al-Assad intrigierte, scheint die Lage desolat. Es werde wohl nicht gar zu einem Krieg kommen?

Bevor wir uns dieser Frage annehmen, ist es unabdinglich einen Blick auf den Anfang des Krieges zu werfen, ein Blick also, auf die tatsächliche Verstrickung der imperialen Großmächte. Die Proteste und Revolutionen, die ab 2010 durch diverse Länder Nordafrikas fegten, welche so liebevoll zum arabischen Frühling getauft wurden, erschütterten die bestehende politische Ordnung im Mittleren Osten. In Ägypten sah sich Mubarak einer massiven Mobilisierung entgegengestellt, in Syrien wackelte die Ba‘ath Partei, der Baathismus, welcher vom arabischen Wort für Erneuerung abstammt, ist eine pan-arabische, gewisse Vorstellungen des Sozialismus vertretende Bewegung, deren syrische Ablege in der Person von Hafez al-Assad ihren Ausdruck fand. Hafez al-Assad wusste sich durch zwei Staatsstreichen, im Rahmen derer die Führung der seit 1963 amtierenden syrischen Ablege der Ba‘ath Partei entmachtet wurde, ab 1971 ins Präsidentschaftsamt zu manövrieren. Assad paktiere mit der Sowjet Union, setzte aber zugleich auf eine Entschärfung der zuvor angestrebten Politik des Baathismus, so führte er zwar die Planwirtschaft weiter, räumte aber dem bestehenden privaten Sektor gewisse ökonomische Konzessionen ein. Assad arrangierte sich ebenfalls mit den breiten Massen der syrischen Gesellschaft durch eine Senkung der Lebensmittelpreise. Seine soziale Basis weitete er ebenfalls aus das Kleinbürgertum aus, welches er durch eine Reihe von Maßnahmen, wie der Erleichterung von Handel und Ausreise, gewann. Fachkundig, wusste schon Hafez al-Assad die konfessionellen Spannungen im Land für politische Zwecke zu benutzen, und trennte die Verwaltung der Staatsorgane entlang von AlawitInnen und SunnitInnen.

Dieser Taktik bediente sich auch der Sohn des fast 30 Jahre regierenden Hafez al-Assads, Baschar al-Assad, welcher seit 2000 an der Spitze des syrischen Staates sitzt. Baschar al-Assad übernahm von seinem Vater eine zunehmend schwächelnde Planwirtschaft, die aufgrund des Mangels von demokratischer Verwaltung Nepotismus und Korruption geschärft hatte. Assad führte sukzessive Reformen ein, die die syrische Planwirtschaft in die Richtung des Marktes treiben sollte. So wuchsen die Beschäftigungszahlen im privaten Sektor ab den 1990ern auf bis 60 000 neue Angestellten pro Jahr – eine hohe Zahl, die allerdings bei weitem nicht dem Zuwachs, der sich vor allem aus der Jugend rekrutierte, gerecht wurde. Die Jugendarbeitslosigkeit wuchs in rasantem Tempo, 2011 lag die generelle Arbeitslosigkeit bereits bei mindestens 15 Prozent, die Arbeitslosigkeit der unter 30-Jährigen wurde gar auf 50 Prozent geschätzt. Auch das Durchschnittseinkommen fiel in wenigen Jahren um mehr als 10 Prozent. Die ökonomischen Zuspitzungen gingen nicht an den Augen Assads vorbei, er setzte auf die altbewährte Taktik der Aufspaltung der sich anbahnenden Bewegungen durch ein Ablenkungsmanöver, welches in einer Hetzkampagne gegen AlawitInnen mündete. Als es 2011 schließlich zu Massenprotesten und Ausschreitungen gegen die Regierung kam, welche sich durch jüngste Ereignisse in Tunesien und Ägypten befeuert sahen, geriet das Assad Regiment in spürbares Unbehagen. Da die Proteste allerdings in erster Linie auf die Perspektiven einer Jugend, in der kleinbürgerliche Forderungen, wie jene nach einer militärischen Intervention des Westens zum Sturz Assads und dem Aufbau von Demokratie, durchaus gängig waren, ausgerichtet waren, gelang es den Massen nicht sich in großer Zahl mit den ArbeiterInnen Syriens zu solidarisieren. Dies wäre notwendig gewesen, um dem Regime Assads eine breite Bewegung entgegenzustellen, die fähig gewesen wäre, die erhaltenen Relikte der Planwirtschaft demokratisch zu übernehmen und den desaströsen Kriegswehen eine sozialistische Perspektive zu entgegnen, oder zumindest die Regierung zu stürzen, wie es in Tunesien und Ägypten erfolgt war.

Was sich stattdessen ereignete, war eine Militarisierung des Konfliktes. Die Revolution wurde entlang von konfessionellen und ethnischen Linien aufgespalten, einerseits durch die finanzielle und militärische Unterstützungen der imperialistischen Mächte, die im Machtvakuum welches die Revolution geschaffen hatte, die Möglichkeit erkannten, die eigene Vormacht und Mittleren Osten auszubauen, andererseits durch das Lavieren Assads, welcher ebenfalls auf die Spaltung der revolutionären Bewegung setzte, und zuletzt auch aufgrund der sozialen Komposition der Bewegung selbst, und der erwähnten fehlenden Teilnahme der ArbeiterInnen. Aus diesen drei Punkten entwickelte sich ein Kaleidoskop der Verstrickung von Interessen, Gruppierungen und Kalkülen, wie wir es in über 7 Jahre Konflikt gesehen haben. Dieser Konflikt hat in seinem Verlauf eine extreme Komplexität und Globalität angenommen, so ist auch die Flüchtlingswelle im Europa des Jahres 2015 als Folge der massenhaften Deplatzierungen ein Aspekt des Krieges gewesen. Die genauen Entwicklungen des Krieges können an dieser Stelle unmöglich im Detail wiedergegeben werden, es sei nur darauf verwiesen, dass wir über einen Konflikt sprechen, in dem selbst von je CIA und Pentagon finanzierte Gruppierungen gegeneinander kämpften – sprich CIA gegen Pentagon in Syrien. Dies ist das Ausmaß der Verstrickung.

Der wichtige Punkt, den wir allerdings sehr wohl betonen können, bezieht sich auf Allianzen die hinter dem Krieg stehen. Der Ausbau etwa der türkischen Dominanz in Syrien erstreckt sich direkt in kurdisches Gebiet – ein Gebiet, in dem sich eine demokratische, säkulare Bewegung entwickeln konnte. Die demokratische Föderation Nordsyriens (Rojava), in denen kurdische Kräfte unter der Führung der YPG eine faktisch autonome Region schaffen konnten, wo eine breitflächige Bewegung mit Chauvinismus und Reaktion aufzuräumen versucht, dies äußert sich unter anderem in der in Rojava gegründeten Frauenbewegung, stellt zumindest den Ansatz einer Alterantive dar. Auf ebenjene kurdischen Gruppierungen haben sich auch die USA im Kampf gegen Daesh gestützt, da selbst ihnen schnell klar wurde, dass es um säkulare Kräfte in der Region mit dem Ausgang des Irakkrieges sowie des syrischen Bürgerkrieges nicht allzu gut bestellt ist – die andere säkulare Bastei, welche Assad darstellt, ist ja schon unter die Ägide Russlands getreten. Auch die Unterstützung der USA kennt allerdings ihre Grenzen, denn wenn, wie wir in den letzten vier Monaten gesehen haben, sich die autoritäre Türkei, die unter Erdogan in gewissen Punkten, wie etwa der nach dem Putschversuch in Angriff genommene Aufbau von treu ergebenen, paramilitärischen Truppen, bereits faschistische Züge angenommen hat, anschickt sich der „kurdischen Bedrohung“ zu entledigen, und die Türkei um die Region Afrin zu erweitern, bleibt Stille im Raum. Nicht nur die USA schweigt – auch von deutscher Seite kommt wenig, zumal wirtschaftliche Interessen, wie der Waffenhandel mit der Türkei, gegen eine zu deutliche Verurteilung der türkischen Expanionsbestrebungen stehen. Da auch seit kurzem Deniz Yücel wieder aus der türkischen Haft entlassen wurde, scheint sich zumindest in den türkisch-deutschen Beziehungen Einvernehmen breit zu machen.

Als nun allerdings vor ein paar Tagen Ostghouta, ein Vorort Damaskus‘, von den Truppen Assads, welche russische und iranische Unterstützung genießen, eingenommen wurde, ist die Lage relativ klar. Das Kalkül der USA die Festigung des Assad Regimes und somit des Proxy Sieges Russlands und des Irans zu unterbinden ist nicht aufgegangen, Assad ist aktuell stärker denn je im Verlaufe des Krieges. Dieser Reinfall der amerikanischen Kriegsgelüste multipliziert sich mit der innenpolitischen Spannung, die gerade in der FBI-Razzia des Hauses eines Anwalts von Trump mündete. Kein Wunder, dass Trump in so einem Fall danach ist, die Muskel anzuspannen, um einerseits von innenpolitischem Trübsal abzulenken und andererseits zu signalisieren, dass ja der Einsatz von Giftgas ein klares Tabu ist. Ist er das? Wenn wir daran denken, dass dem Syrian Network for Human Rights zufolge, 214 Angriffe, im Rahmen derer toxische Substanzen verwendet wurden, dokumentiert sind, die auf das Konto von Gruppen gehen, welche auf der Seite Assads standen, müssen wir uns schon fragen, wieso die mediale Präsenz bzw. die präsidentielle Brisanz, welche gewisse Giftgaseinsetzungen erfahren so selektiv ist. Zu all dem kommt die Tatsache, dass ein solcher inszenierter Skandal der Bombardierung, welcher von innenpolitischen Problem der USA ablenkt, alles anderes als ein Novum wäre, vor einem Jahr und sieben Tagen erst, trafen 59 Tomahawk Raketen einen syrischen Luftwaffenstützpunkt.

Auch dieses Mal, scheint die Entscheidung der USA mit der Unterstützung von Macron und May in Syrien zu bombardieren, wenig mehr als das Fauchen eines zahnlosen Drachen zu sein. Wenn man bedenkt, dass das Trump‘sche Kabinett außerdem in den letzten Stunden in engem Kontakt mit Russland die aktuellen Ereignisse durchgeht, zeigt sich eher ein Bild der gemeinsamen Absprache, als eines der knapp bevorstehenden Eskalation. Bei einer solchen Bombardierung, gewinnt dann jeder: Russland kann sich damit brüsten, ein paar der amerikanischen Geschosse abgewehrt zu haben, und letztendlich den Konflikt siegreich beendet zu haben, die USA kann sich unter europäischem Beifall damit brüsten, der Produktion von Giftgas durch das Zerstören einer Fabrik entgegengewirkt zu haben und somit gegen den Skandal der Menschenrechtsverletzung Assads eifern.

Die wahren Kosten des Konflikts tragen allerdings die breiten Massen der Region. Die Infrastruktur Syriens wurde in großen Teilen des Landes komplett zerstört, die progressiven Bewegungen die sich gebildet haben, stehen, wie Afrin zeigt, unter ständiger Bedrohung von diversen Imperialismen einverleibt zu werden. Obwohl die Bombardierungen der USA keine politische Veränderungen der Lage darstellen, sondern nur den Ausdruck einer gewissen innenpolitischen Ohnmacht gekoppelt an die Pleite der Syrien-Bestrebungen, ist eine weitere Zerstörung von syrischer Infrastruktur sofort zu beenden. Auch der russische Imperialismus in Syrien ist alles andere als eine progressive Alternative – auch hier erfährt die verschärfte Ausbeutung Syriens zu Nutzen von Moskau und Teheran oberste Priorität. Es liegt an den Gewerkschaften und linken Parteien Europas sich mit den syrischen Massen zu solidarisieren und für eine sofortige Beendigung der Bombardierungen zu kämpfen, zur selben Zeit gilt es Druck auf die europäischen Regierungen auszuüben um ihre Kooperation und Unterstützung der Türkei zu beenden, um die Zerstörung des demokratischen Rojavas zu verhindern.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden