Wer sind die Paten der Taliban?

Afghanistan Die Taliban werden alles tun,damit die Welt sie vergisst. Und die Welt wird Afghanistan gerne vergessen.Genauso wie sie vergessen hat, wer die die Taliban geschaffen hat.

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Kein Land wurde in den vergangenen 20 Jahren, so oft in Verbindung mit Krieg, Verwüstung und humanitären Notständen gebracht, wie Afghanistan. Ebenso stand lange der Name Osama Bin Laden und die militante sunnitisch-islamistische multinationale Organisation Al-Qaida, für ein allgegenwärtiges Synonym des Bösen auf der Welt. Afghanistan und die Afghanen waren der Inbegriff des Terrors, spätestens nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001.

Doch ist die von etwa 38 Millionen bewohnte Region am Hindukusch jedoch alles anderen als homogen und hier beginnt, das größte Problem Afghanistans. Im Norden des Landes leben die Tadschiken, Usbeken und Chasaren. Im Süden gibt es die Paschtunen (die Taliban rekrutieren sich hauptsächlich aus Paschtunen). Ein großer Teil der letzteren lebt ebenso in Pakistan, daher der starke pakistanische Einfluss in Afghanistan.

Niemals in der Geschichte wurde Afghanistan tatsächlich von einer Macht umfassend regiert. Weder ist dies den Briten im 19.Jahrhundert gelungen, als sie einen sicheren Landweg nach Indien schaffen wollten, noch den Sowjets in den 1980er Jahren oder zuletzt den US-Amerikaners, welche die letzten 20 Jahre in Afghanistan verloren haben.

Fühlen sich die Afghanen überhaupt als Afghanen?

Afghanistan ist und war niemals eine Region, welche in ein demokratisches Land mit einer freien Gesellschaft- oftmals unter Ausübung von militärischen Druck - von aussen transformiert werden kann. Hier liegt der Fehler. Die westliche Projektion mit den dazugehörigen Werten auf ein Land, welches so fest und stark in der lokalen Tradition und dem religiösen Fundamentalismus verankert ist.

Etwaige Änderungen können und müssen von innen - direkt aus der Afghanischen Gesellschaft kommen. Eine Revolution, kann nur von den Afghanen selbst geführt werden, denn der Sinn für die nationale Identität Afghanistans ist trotz ethnischer Spaltungen sehr stark.

Die Taliban - ein willkommenes Comeback

Die meisten Afghanen, besonders aus den ländlichen Regionen sind nun sehr stolz, weil das dritte Imperium ( USA) , das versucht hat, sie zu besiegen, untergeht: Nach den Briten und den Russen ziehen sich jetzt die US-Amerikaner zurück.

Und selbstverständlich lebten die Taliban bis jetzt nicht in einem Vakuum. Trotzdem hat sich

in den 20 Jahren amerikanischer Präsenz nur ein sehr geringer Prozentsatz der Menschen an die westliche Lebensweise gewöhnt. Das gilt vor allem für Kabul und vielleicht noch ein paar andere große Städte. Verglichen mit der Mehrheit der Afghanen ist dies jedoch ein Tropfen auf den heißen Stein.

Im Prinzip ist die Situation identisch, wie in den 1990er Jahren, als die Mehrheit der Afghanen die Taliban und die von ihnen eingeführte Scharia als eine Situation akzeptierte, die ihnen Seelenfrieden geben würde. Die Bilder, die wir gegenwärtig nun vom Flughafen in Kabul sehen, sind irreführend. Sie stehen nicht für das Land Afghanistan, sondern für einen kleinen Teil der Bewohner Kabuls.

Man kann nämlich gewiss nicht behaupten, dass alle Afghanen aus dem Land fliehen wollen. Diejenigen, die etwas von der westlichen Kultur, von der Demokratie mitbekommen haben, möchten fliehen, wenn sie können aber das sind schätzungsweise 2-3 Prozent der afghanischen Bevölkerung.

Die Überraschung der Taliban

Heute, einige Woche nach dem Truppenabzug der US-Amerikaner aus Afghanistan, wird von vielen Seiten behauptet, dass die westlichen Mächte von der Geschwindigkeit, mit der die Taliban das Land (zurück) erobert haben, überrascht waren. Doch kann das überhaupt stimmen?

Schon 2012 gab es internationale Expertenstimmen die voraussichtlich bestätigten, dass eine Regierung in Afghanistan nach dem Abzug der USA und der NATO Mächte keine fünf Minuten überleben würde. In den 1990er Jahren brauchten die Taliban zwei Jahre, um Kabul einzunehmen. Jetzt ist es viel schneller gegangen. Das afghanische Regierungsregime war völlig korrupt.

Auch darf nicht vergessen werden, dass der Bürgerkrieg in Afghanistan ein Clan Konflikt ist, in dem sich verschiedene Familien- und ethnische Gruppierungen vermischen und alles bzw. vieles einfach käuflich ist.

Die “Kultur des Verrats" - Mythos oder Realität?

Fakt ist, dass die afghanischen Kämpfer nicht das geringste Problem damit gegenwärtig haben oder jemals in Vergangenheit hatte, auf die eine oder andere Seite zu wechseln.

Die Taliban-Armee rückte so schnell vor, indem sie verhandelte, überredete und weitere kleine Regierungstruppen bestach. In den meisten Fällen hat es funktioniert.

Zumal die Taliban schon immer eine starke Motivation für den Kampf hatten - nämlich eine religiöse Motivation. Die Regierungstruppen waren überhaupt nicht motiviert - praktischn schon seit 20 Jahren. Die Grausamkeit, für die die Taliban berühmt sind, muss ebenfalls funktioniert haben, aber ein Bürgerkrieg ist immer grausam.

Gegenpol zu den Taliban

Theoretisch gibt es ihn - ja, praktisch nein. Der ehemalige Vizepräsident Amrullah Saleh hat sich zwar bereits zum Präsidenten erklärt und will praktisch in die Vergangenheit zurückkehren mit einer Art Nordallianz, aber ob das funktionieren wird, ist unklar. Zumal im Moment die vier Großmächte, die Interessen in Afghanistan haben - nämlich Pakistan, Iran, China und Russland - eine solche Initiative nicht unterstützen.

So haben die Russen beschlossen, dass die Taliban eine großartige Lösung für sie sind, weil sie Frieden bringen würden. Sie haben ihre Botschaft nicht aus Kabul evakuiert, sondern befinden sich seit langem im Dialog mit den Taliban. Und die Chinesen sind Verbündete von Pakistan. Sie haben mehrere Milliarden Dollar in Kupfervorkommen im Osten Afghanistans investiert. All diese Länder eint auch ein Gefühl des Antiamerikanismus, so dass sie die Taliban sicherlich unterstützen werden.

Wer hat die Taliban geschaffen?

Breiten Teilen der Öffentlichkeit ist jedoch völlig entgangen, dass die Taliban eigentlich von den US-Amerikanern geschaffen wurden. Um noch präziser zu werden, von den Pakistanern und zwar vom ISI, dem pakistanischen Geheimdienst. Dies geschah jedoch mit dem vollen Wissen und Einverständnis Washingtons. Die Amerikaner betrauten Pakistan als regionalen Verbündeten mit der Verwaltung der afghanischen Angelegenheiten. In den 1990er Jahren berücksichtigten sie nur die Einschätzungen Pakistans, und wenn Pakistan ihnen sagte, dass die Taliban unterstützt werden, dann wurde dies auch so gemacht. Die Pakistaner sind der Vater der Taliban, aber der Pate sind die Amerikaner.

Vor 1998, als es zu Anschlägen auf amerikanische Botschaften in Afrika kam, hinter denen sich Osama Bin Laden, der sich bei den Taliban versteckte, verbarg, wurden die Taliban von den USA offiziell kaum anerkannt..Erst durch die Anschläge in Afrika und auf die USS Cole im Jemen änderte das Weiße Haus seine Meinung.

Daher wird die jetzige Generation der Taliban diesen Fehler nicht noch einmal begehen. Zwar sind einige der alten Führer aus den 1990er Jahren noch dabei, aber die meisten gehören zur neuen Generation (darunter der Sohn von Mullah Mohammad Omar und der Sohn von Mullah Jalaluddin Haqqani).

Ein neuer Afghanischer Staat

Nun es wird sicherlich nicht im Interesse der Taliban sein, dass sich ein terroristisches System wie Al-Qaida oder ISIS wieder Afghanistan etablieren kann, aber es wird ein weiterer islamischer Staat sein, nur dass er viel stärker der Scharia unterworfen ist. Afghanistan mag wie Saudi-Arabien vor 30-40 Jahren aussehen. Es gibt viele solcher islamischen Staaten in der Welt, zum Beispiel in Afrika südlich der Sahara.

Auch ist zu beachten, dass die Taliban-Führung Ruhe haben möchte, da sie über große Einnahmen aus dem Opiumhandel verfügen. Im vergangenen Jahr wurden in Afghanistan 10.000 Tonnen verschiedener Drogen hergestellt. Das sind Milliarden von Dollar. Damit ihnen das Geld nicht ausgeht, werden sich die Taliban nicht dem Radikalismus mehr widmen.

Die Frauen in Afghanistan - für immer vergessen

Die Welt zittert um das Schicksal der Frauen in Afghanistan und jeder stellt sich die Frage, ob Ihnen die Hölle bevor steht? Hier muss man sich aber wieder vor Auge führen, dass Afghanistan hauptsächlich ein ländliches Land ist und es wenige große Städte gibt. Darunter leiden die Frauen am meisten und das nicht erst seit dem Abzug der Amerikaner. Dazu kommen wird wohl, dass die Afghaninnen damit konfrontiert werden,was Frauen zum Beispiel in Saudi-Arabien erlebt haben. Die Scharia wartet auf sie. Sie werden dort arbeiten können, wo sie gebraucht werden, d.h. als Lehrerinnen oder Ärztinnen, aber sie werden mit Sicherheit Bürger zweiter Klasse sein.

Warum haben die Amerikaner so spektakulär versagt?

Der Krieg in Afghanistan wurde 2003 verloren, als die Amerikaner in den Irak einmarschierten. Dann haben sie die Hälfte ihrer Militär- und Geheimdienst Kräfte dorthin gebracht und es nicht geschafft, die Taliban zu töten. Es mangelte an Kräften und Ressourcen.

Die Geschichte wäre vielleicht anders verlaufen, wenn die Amerikaner schon 1999 Osama bin Laden getötet hätten. Zu dieser Zeit war Osama bin Laden’s Kopf 5 Millionen Dollar wert. Von daher war es durchaus realistisch machbar gewesen, ihn zu fassen, bei diesen Kopfgeld.

Die Amerikaner sagten, sie hätten keine Lizenz zum Töten und die Angelegenheit sei erledigt. Dies sind historische Versäumnisse. Ohne bin Laden hätte es keinen 11. September 2001 und somit keine Intervention im Irak und in Afghanistan gegeben.

Auch nach dem 11. September und dem Einmarsch in Afghanistan warnte die CIA die Politiker in Washington, dass das, was Amerika dort tue, in einer Katastrophe enden würde, dass es sich um eine künstliche Schöpfung handele, die auf von außen aufgezwungenen Menschen beruhe und dass sie nicht funktionieren würde. Die Autoren dieser Analysen wurden als zu pessimistisch kritisiert. Ist das die Sturheit der US-Politiker oder ein zynisches Spiel, dass niemand versteht?

Die CIA ist eine riesige Organisation. Und selbst wenn sie einige Informationen sammelt und weitergibt, bedeutet das nicht, dass sich jemand daran hält. Die Politiker lebten in einer Illusion, und niemand hatte den Mut, von dort zurückzutreten. Der israelische und der englische Geheimdienst, die dort über gute Informationen verfügen, sagten den Amerikanern immer wieder, dass nichts dabei herauskommen würde, dass alles zusammenbrechen würde, wenn sie gingen. Niemand wollte ihnen zuhören. Niemand wollte die politische Entscheidung treffen, sich zurückzuziehen. Letztendlich wurde sie von dem gegenwärtigen US-amerikanischen Präsident Joe Biden durchgeführt.

Was erwartet Afghanistan in naher Zukunft?

Wahrscheinlich werden die Taliban unter dem Einfluss der ausgewogeneren Fraktion eine schiitische afghanische Staatlichkeit aufbauen. Sie werden versuchen, dass sie von China, Russland, Pakistan und dem Iran anerkannt werden. Damit diese Länder sie vor jeglicher Hilfe aus dem Westen für eine mögliche Nordallianz bis - das heißt, einen Anti-Taliban-Aufstand - schützen. Sie werden es leugnen, aber sie werden auf Drogenanbau und -produktion setzen. Und sie werden alles tun, damit die Welt Afghanistan vergisst. Und die Welt wird Afghanistan gerne vergessen.
















Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Isabelle-Constance V.Opalinski

Journalistin, Autorin, Publizistin

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