Ach, SPD

Zukunftsfähigkeit SPD Martin Schulz hat sich von den unterschiedlichen Ansprüchen an ihn aufreiben lassen - statt als Kapitän Ziel und Kurs anzugeben. Vom Visionär zum Maschinisten

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Martin Schulz sollte schleunigst wieder zum Visionär werden
Martin Schulz sollte schleunigst wieder zum Visionär werden

Foto: Axel Schmidt/Getty Images

Der Traum vom Heilsbringer

Es hätte etwas Großes werden können mit Martin. Seine Nominierung und dann seine Wahl waren wie Donnerhall, alle waren hellwach, der Erwartung von etwas „ganz Neuem“, „ganz Anderen“ war mit Händen zu greifen. Hosianna! Und nicht nur die SPD, sondern, wie viele meinen, das ganze Land, erwachte aus einer politischen Lethargie. Beim politischen Gegner machte sich Schockstarre breit. Ideale Voraussetzungen, um dieses Vakuum zu füllen. Im Freudentaumel hat man bei der SPD freilich vergessen, dass das, was man einfüllt, eben nicht beliebige mit Begeisterung aufgeladene Symbolik sein kann.

Was die Partei nicht wirklich sehen mag: Schwierige, herausfordernde Zeiten verlangen große Taten! Jeder Bürger spürt es: die Welt ist unübersichtlich geworden, überall Krisenherde, Verunsicherung allerorten, die sich bis zur Angst steigert. Da hält man Ausschau nach jemandem, der den Überblick behalten hat, der Sicherheit und Souveränität ausstrahlt und der in eine glückliche Zukunft führt. Ansonsten nimmt man halt Angela. Da weiß man, was man hat.

Die fehlende Orientierung

Nach drei verlorenen Landtagswahlen scheinen sich nun alle einig zu sein: die SPD, ihre politischen Gegner sowieso und auch die Journalisten stimmen in den Chor ein: zu wenig Konkretes – und das wenige viel zu spät. Ich halte das für blanken Unsinn. Es gilt nur, wenn man sich in einen Wettkampf der Themen und Maßnahmen begibt.

Zu Beginn hat die SPD instinktsicher darauf gesetzt, den Menschen Martin Schulz als Sympathie- und Hoffnungsträger aufzubauen. Aber auch der kleine Mann und die hart arbeitende Bevölkerung wollen nicht jemanden, der so ist wie sie, sie wollen jemanden, der sie auf unsicherer See sicher durch Sturm und Unwetter führt, mit einem klaren Ziel vor Augen. Was Schulz fehlt, ist eine Vision von der Zukunft, ein neuer Gesellschaftsvertrag, verbunden mit der Zusicherung, dass er an der Umsetzung gegen alle Widerstände beharrlich und unbeirrbar arbeiten werde, Stück für Stück, selbst wenn es zwischendurch Umwege, Durststrecken geben sollte. Hauptsache, da hält jemand Kurs. Nicht das Konkrete, sondern der Orientierungsrahmen fehlt.

Das Debakel nahm beschleunigt seinen Lauf, als Martin Schulz sich verleiten ließ, „Themen“ zu besetzen. Da ist er vor der Wucht der bedrängenden Fragen zusammengebrochen – und die olle Kamelle „soziale Gerechtigkeit“ wurde neu hervorgekramt, die auch die „hart arbeitende Bevölkerung“ nicht mehr hören kann, leistet sie doch beliebigen Deutungen Vorschub. Standhaftigkeit wäre gefragt gewesen.

Der Maschinist

Statt als Kapitän auf der Brücke seiner Mannschaft Kommandos zu geben, um auf Kurs zu bleiben, Vision und Ziel fest vor Augen, ist Schulz aus dem Nimbus des Heilsbringers hinabgestiegen in den Maschinenraum des Dampfers SPD, um die einzelnen Teilchen zu schmieren und an verschiedenen Stellen Schrauben, Muttern, Kompressoren neu zu justieren, auszutauschen und hübsch zu polieren. Das verleiht den anderen, wirklichen Maschinisten ein tolles Gefühl von „der packt mit an“, „der ist sich für nix zu schade“. Und im Basteleifer werden Querverbindungen zwischen Maschinenteilen durch neue Gestänge geschaffen, auf die vorher niemand gekommen wäre. Bei dem Rumgebastele bekommt das große Schwungrad „soziale Gerechtigkeit“ auf einmal durch solche Rädchen wie „reibungslos durch den Verkehr kommen und pünktlich am Ziel sein“ ("Farbe bekennen". Martin Schulz im Interview, ARD 15.5.2017) eine bizarre Farbe und insgesamt eine große Delle. Auch die, die für Echolot-Peilungen zuständig sind – gemeinhin die Partei-Taktiker - sind so begeistert, dass sie ihre Arbeit vergessen. Es kommt, wie es kommen muss: Die fehlenden Echolot-Peilungen verhindern die rechtzeitige Erkenntnis, dass das Schiff SPD schon längst über Eisberge fährt, und als dann riesige Eisberge vor dem Schiff auftauchen (Landtagswahlen), ist das Erstaunen groß und das stolze, für unsinkbar gehaltene Schiff säuft ab. Ach, wäre Martin doch, statt sich im Kleinklein zu verzetteln, auf der Brücke geblieben und hätte er Ziel und Kurs angegeben!

Staatsmann und Visionär: Fehlanzeige

Als Kanzler oder Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland will ich einen Staatsmann und Staatslenker haben. Ich wünsche mir einen innovativen, zukunftsgewandten Politiker. Er muss als Visionär die großen Linien entwerfen und Orientierung geben, und zwar nicht nur für vier Jahre, sondern für die nächsten, sagen wir 20-30 Jahre, in denen radikale Veränderungen auf uns zukommen. Ich wünsche mir einen Leader, der die großen Themen adressiert, der weiß und sagt, warum er was will, der Hoffnung gibt und Stärke zeigt, wenn andere sich schwach fühlen , der den Durchblick in der politischen Großwetterlage hat und sich durch Nebelleuchten nicht beirren lässt. Daraus kann dann Vertrauen entstehen. Um im SPD-Terrain zu bleiben: Gesucht wird eine Mischung aus Willy Brandt und Helmut Schmidt.

Dazu muss er wie Helmut Schmidt den Menschen ein inneres Bild davon zeigen, wie für ihn die großen Welt-Themen innerlich zusammenhängen. Die Stellungnahmen zu Ein­zelthemen erwachsen dann nicht aus der Sache selbst, sondern sind Ableitungen aus diesem übergeordneten Sinnzusammenhang und erklären sie dadurch fast „von selbst“. Und diesen Sinnzusammenhang gilt es dann à la Willy Brandt so zu präsentieren, dass die Menschen nicht nur aus dem Moment heraus begeistert sind, sondern aus innerer Überzeu­gung dauerhaft rufen: „Martin, wir folgen dir.“ Für mich gehört zu diesem inneren Bild z.B. „Was hat der Syrien-Krieg mit dem Rauswurf Russlands aus den G8 zu tun?“ – „Wie hängen das Ende des Irak-Krieges und die Haltung der USA mit der Wirkmächtigkeit des IS zusammen?“ „Wie finden wir eine gemeinsame Marschrichtung für Europa?“ – „Wie kann Europa den Menschen so nahegebracht werden, dass sie nicht nur verbal dafür eintreten?“ – „Wie wird man den „hart arbeitenden Menschen“ klar und deutlich sagen, dass ihre Arbeitsplätze, je einfacher ihre Arbeit ist, verschwinden werden?“ „Wie kann man den Menschen die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust nehmen und Ihnen eine gute Zukunft in Aussicht stellen?“ Der Grundimpetus dabei: „Geht nicht gibt’s nicht.“

Es gab schon einmal einen Martin, der mit dem legendären Satz „I have a dream“ die Welt verändert hat. Wie, so fragt man sich, lautet der Traum von Martin Schulz von der Zukunft des gesell­schaftlichen Zusam­men­­lebens, des Zusammenhalts untereinander, der sowohl für die kleinste Zelle, die Familie, als auch für die Welt als Ganzes trägt und von dem z.B. „Soziale Gerechtigkeit“ eine Ausdrucksform ist?

Gegen das Partei-Establishment

Emmanuel Macron hat vorgemacht, wie’s im Ansatz geht. Martin Schulz bildet dazu ein kleinlautes Echo: „Ich auch.“ Das hat er so nicht nötig. Er kann selbst groß sein. Das hat er immer wieder gezeigt. Eigentlich weiß er sehr gut, wie wichtig es ist, Vision – Ziele – Strategie – Themen – Maßnahmen (und dazu gehört dann ggf. auch Taktik) zu unterscheiden und in ein Ableitungsverhältnis zu bringen. Von den Parteien, allen voran der SPD, waren bisher nur Themen und Maßnahmen zu hören. Da tummeln sich alle – und deshalb wird es so ununterscheidbar banal. Wir Wähler haben Besseres verdient. Um wie Macron wirksam zu werden, müsste er analog zu ihm auch radikal gegen das eigene Partei-Establishment vorgehen. Das hat es noch jedes Mal geschafft, die Chancen eines Kandidaten zu pulverisieren, wenn der nicht „Basta“ gerufen und seine Marschrichtung durchgesetzt hat – eben wie ein Kapitän auf der Brücke.

Überall gibt es eine Stimmung gegen das „Establishment“. Deshalb war es klug, Martin Schulz nicht in politische Funktionen im Kabinett zu integrieren. Jetzt aber wirkt er wie ein Gefangener seiner Partei, die von Imagewerbung (Bilder transportieren Botschaften) offenbar auch noch nichts gehört hat. Sonst würde man als potenzieller Wähler nicht immer wieder mit griesgrämigen Gesichtern gequält, die signalisieren: „Alles die Alten.“ Und einer dieser Alten, nicht der Kanzlerkandidat, stellt das Wahlprogramm der SPD vor, an dem man – so wird indirekt signalisiert – zwei Jahre ohne Martin Schulz gearbeitet hat, an dem man sich selbst berauscht als dem „besten Programm seit Willy Brandt“ – und das Martin Schulz ausführen wird.

Da ist er wieder, der Maschinist.

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Geschrieben von

Ideenverwirklicher

Engagierter QuerDENKER, kreativ-innovativer Kommunikations- und Strategieberater, der gerne eingetretene Pfade von Scheinplausibiliät verlässt.

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