Jeder, der schon einmal durch so eine Drehtür gegangen ist und dann wieder raus wollte, kennt die Erfahrung: Man kann leicht stecken bleiben. Entweder, weil man nicht das richtige Tempo draufhat, um in die Nische zu schlüpfen, oder weil dagegen gedrückt wird, oder weil von hinten so stark geschoben wird, dass die Tür sich so schnell dreht, dass man nicht wieder rauskommt. Das ist das aktuelle Los der Briten. Ihr Problem: Sie können einfach nicht zugeben, dass sie sich in der Tür geirrt haben. Ansonsten würde man ihnen viel leichter hinaushelfen können.
Das falsche Europa
Die Briten sind 1976 aus Versehen in die EU eingetreten. Als sie in der Lobby waren, merkten sie, dass es nicht die EWG war. Der wollten sie aus wirtschaftlichen Gründen sehr gerne angehören. Und auf dem Papier gab es den Namen ja auch noch bis 2009 - dem Abschluss des Lissabon-Vertrages. Da konnte man sich schon mal vertun. Aber mit dem, was Europa eigentlich ausmachen soll, wollten sie nie etwas zu tun haben: einer Staatengemeinschaft. Zu groß war von jeher die Angst vor einem Souveränitätsverlust. Wobei Souveränität sehr eigenwillig als "totale Kontrolle in allen Belangen" gedacht wurde und bis heute wird. In dem Maße also, wie Europa mehr sein wollte als eine wirtschafltliche Zweckgemeinschaft, haben die Briten abgewinkt. "I want my money back" - dieser Satz von Magret Thatcher steht exemplarisch für die britische Haltung.
Der Preis der britischen Mitgliedschaft
Wenn nun so heftig darum gerungen wird, ob man GB noch eine weitere Verlängerung geben solle, so wird diese politische Perspektive von den Akteuren geflissentlich übersehen. Allenthalben wird vor den dramatischen wirtschaftlichen Folgen eines 'no deal' gewarnt. Aber keiner scheint zu merken, dass dies das 'falsche Parkett' ist - außer den Hardlinern unter den Brexiteers. Die sind deshalb nicht zu bewegen, weil sie einfach die politische Souveränität wollen. Und da ist es nur konsequent, dass sie dafür auch wirtschaftliche Einbußen in Kauf nehmen. Im Grunde wird nun seitens der EU mit der EWG gelockt, die es gar nicht mehr gibt. Man nimmt also billigend in Kauf, auf Dauer ein Mitglied zu behalten, das erklärtermaßen die EU nicht will. Dafür kann es nur eine Erklärung geben:
Die Briten als Spiegel des aktuellen Zustands der EU
Die Briten halten uns - so paradox es klingen mag - den Spiegel vor: "Ihr wollt uns in einer Wirtschaftsgemeinschaft zurück haben? Ach so, jetzt verstehen wir: Ihr habt den Gedanken an eine Staaten- und Wertegemeinschaft aufgegeben. Stimmt ja: Bei allem, was über Partikularinteressen hinausgeht, habt ihr versagt. Die sogenannte Flüchtlingskrise war und ist in Wirklichkeit eine Krise der EU als Ganze, ein Versagen zu genau dem Punkt, wo es ernst wurde. Jeder Depp hat mittlerweile erkannt: Es geht um die Wirtschaft - "It's the economy, stupid". Sonst hättet ihr verschiedene Mitglieder wie Ungarn und Polen längst rausgeschmissen. Ihr habt einfach keinen Anstand. Und diese Selbsterkenntnis ist so schmerzhaft anzusehen, dass ihr sie gerne durch Lockangebote an uns kaschieren wollt. Aber da machen wir nicht mit. Wir haben Anstand und Selbstbewußtsein. Mit so einer maroden EU ist keine Zukunft zu bauen. Viel Spaß noch zusammen!
Die Europawahl
Ach, und die Europawahl: worüber sollen eure Bürger denn eigentlich abstimmen? Ob sie zu einer reinen Wirtschaftsgemeinschaft zurückkehren wollen? Um den Wähler, der angeblich der Souverän ist, kümmert sich niemand. Außer den Ultra-Rechten. Ausgerechnet. Wenn man sich eure Wahlplakate anguckt, dann ist das völlig ideen- und profillos. Unsere Vorstellungen von einer Reform der Institutionen habt ihr immer in den Wind geschlagen. Und nun habt ihr euch vor lauter Angst vor finanziellen Einbußen durch unseren Brexit butterweich gemacht - natürlich nicht ohne verbal den starken Mann zu markieren -, dass die Wähler überhaupt nicht mehr erkennen können, wofür sie denn nun stimmen sollen. Herzlichen Glückwunsch. Wir hätten nie gedacht, dass ihr euch so von uns in Beschlag nehmen lasst, dass nichts von dem zu spüren ist, was ihr angeblich so gerne wollt: eine Aufbruchstimmung für Europa. Das wird so nix. Wir sprechen uns wieder - nach dem Rechtsruck."
Der Brexit als historisches Drama?
Nein, für ein Europa als Wirtschaftsraum ist das beileibe kein Drama. Das gibt wirtschaftliche Unruhe - aber die Folgen werden auszuhalten sein. Ja, für Europa als Staaten- und Wertegemeinschaft ist es ein historisches Drama, dass GB nie dazu gehört hat.
Und wir sollten den Briten dankbar sein. Das setzt aber die richtigen Schlüsse voraus. Dazu gehört es, sich darüber klar zu werden, dass Europa nach einem Austritt der Briten nur auf dem Papier aus dann 27 EU-Staaten besteht; dass viele in Wirklichkeit längst ausgetreten sind, weil sie konstitutive Merkmale der EU rundheraus ablehnen. Faktisch werden Sie den Club nur deshalb nicht verlassen, weil sie für das Bleiben, statt Mitglieds-Beiträge zu zahlen, auch noch Geld bekommen, Subventionen genannt. Verrückte Welt fürwahr. Wenn wir das weiter zulassen, dann schlägt bald das Totenglöckchen. "Thank you for that!"
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