Wahlkampf als Werbekampagne

Die Angst vor dem Wähler Stell' dir vor, es ist Wahlkampf, und keiner hört hin! Populismus soll ja gefährlich sein. Also: weghören, Getränke holen, Chips hinstellen

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Wir leben aktuell in einer komischen Zeit. Gemeinhin wird ein Jahr in vier Jahreszeiten eingeteilt, im Rhein-Main-Gebiet gibt es die fünfte Jahreszeit. Aber alle vier Jahre - so auch in 2017 - kommt ein weiterer Ausnahmezustand dazu: die Wahlkampfzeit. Sie dauert diesmal ca. 6 Monate und lässt die Uhren anders ticken als sonst. Und in dieser Zeit passiert Merkwürdiges. Es ist wie der Werbeblock vor, sagen wir: dem Endspiel der Fußball-WM.

"SPD macht Kinder froh, und Erwachsene ebenso!" - "CDU - da weiß man, was man hat." - "FDP- Hoch auf dem gelben Wagen schwillt mir vor Stolz die Brust" - "DIE GRÜNEN - Damit Sie auch morgen noch etwas zu essen haben, wo der Wurm drin ist." - "Die Linke - Wir sind die wahren Rächer der Enterbten" - "AfD - Aus fürs Denken. Das machen wir für euch. 2-3-4-Marschieren wir. Blechbüchsenarmee - roll, roll".

Manche finden Werbung lustig, manche sind zu faul, den Werbeblock wegzuzippen. Ich für meinen Teil gehe Getränke holen, stelle Chips und Snacks ans Sofa, vielleicht räum ich noch ein bisschen rum. Aber der Werbung zuhören? Sie analysieren? Sinn vermuten? Pah! Ich weiß, dass ich subtil gekauft werden soll. Entweder bild ich mir meine Meinung vor dem Werbeblock - oder ich geh nach dem Bauchgefühl, das dann aus mir den Unberechenbaren macht, der sich durch nix und niemand überreden lässt. Wenn ich mit Bauchgefühl im Supermarkt der politischen Angebote bin - gemeinhin Wahltag genannt - dann erkenne ich vielleicht den Schokobären, der so schön funkelt, die Veggie-Schnitte, die ich noch nie haben wollte oder den Streichelhasen mit den lustigen Ohren. Au ja, den nehm ich. Nein, doch den Schokobären, der ist gerade im Angebot. Super-Schnäppchen.

Politiker aller Couleur: "Wähler wählen keine Wahlprogramme. Basta. Wähler wählen Stimmungen, wählen gute Gefühle, wählen Sicherheit, Verlässlichkeit, wählen Vertrautes - oder etwas wirklich Neues, Visionäres."

Wozu brauch ich Werbung, wenn es das Produkt schon dreieinhalb Jahre gibt? Wegen der neuen Verpackung? Also, ihr Altparteien. Spart euch die 10-20 Mio. Euro (die ihr uns ja vorher abgenommen habt) für den Werbefeldzug. Ich konnte ausreichend lange studieren, was ihr konkret praktisch tut, was unter die Räder des Konsenses kommt und was auf dem Altar der Kompromisse geopfert wird. Euer Verhalten ist grotesk. Es ist Ausdruck des Populismus, den ihr ansonsten so nachdrücklich brandmarkt. Ihr mimt den Zeitschriftenhändler an der Haustür, der mit bunten Broschüren lockt - und schwupps hat man ein langes, großes Abo am Hals. Wenn man nicht aufpasst.

Macht euch klar: Wir alle - egal ob Firmenlenker oder Hartzer -

Wir sind eure Chefs und ihr seid unsere Angestellten.

Punktum.

Und wir waren bei der Einstellung sehr großzügig. Wir haben auf die Probezeit verzichtet und euch einen 4-Jahres-Vertrag gegeben! Wo gibt's das heute noch! Und jetzt sind bald die vier Jahre um, der Vertrag läuft aus, und ihr habt Angst, dass er nicht verlängert wird. Das versteh ich sogar.

Das Normale, was ich in solchen Situationen von Arbeitnehmern kenne, ist, dass sie sich noch mal richtig ins Zeug legen, Super-Leistungen produzieren, so gute, wie vielleicht nie zuvor, um mich gnädig und wohlwollend zu stimmen. Das kann klappen, aber meistens regt selbst das bei mir als Chef Verdacht nach dem Motto: "Ach, sieh da, auf einmal!" - Da guck ich mir lieber in Ruhe die dreieinhalb Jahre vorher an.

Die Mühe gebt ihr euch aber gar nicht. Ihr glaubt, dass das alles viel leichter geht. Statt Super-Leistungen zu bringen, hört ihr einfach auf zu arbeiten und redet stattdessen wie besoffen auf mich ein, pausenlos, sagt, dass ihr doch eigentlich toll seid, in der Vergangenheit, ja klar, aber in Zukunft, da macht ihr alles besser, ganz bestimmt, auch wenn ihr mit den Kollegen zusammenarbeiten müsst, gegen die ihr euch auch bisher schon nicht durchsetzen konntet. Ich soll also an Wunder und geheime Zauberkräfte glauben, die ihr bisher so erfolgreich (wozu eigentlich?) vor mir versteckt habt. - Und wenn ich es dann doch in mein Zimmer geschafft habe, dann lauert ihr hinter der Tür, um mich wieder zu überfallen, auf mich einzureden und euer Können aufs höchste zu loben, sobald ich auf den Flur trete.

Und so einer Klette soll ich den Vertrag verlängern? Mal ehrlich....

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ideenverwirklicher

Engagierter QuerDENKER, kreativ-innovativer Kommunikations- und Strategieberater, der gerne eingetretene Pfade von Scheinplausibiliät verlässt.

Ideenverwirklicher

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden