Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar

Der kleine Prinz Am 6. April 1943 erschien "Le Petit Prince" von Antoine de Saint-Exupéry. Die Lehren des kleinen Prinzen sind auch 70 Jahre später immer noch aktuell

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar

Ausschnitt Cover

Ein dunkler Schatten liegt über Europa, als Antoine de Saint-Exupéry die ersten Skizzen zu seiner Geschichte des kleinen Prinzen entwirft. Adolf Hitler hat mit den Deutschen den Schrecken des Faschismus über Europa gebracht. Die Truppen der Wehrmacht haben Polen überfallen und unterworfen und beherrschen mit ihren Verbündeten schon bald fast das gesamte Kontinentaleuropa. Frankreich muss am 22. Juni 1940 einen Waffenstillstand mit den Nazis schließen. Pétain und seine Unterstützer kollaborieren von nun an mit Hitler-Deutschland. Doch nicht so Antoine de Saint-Exupéry. Der Pilot der Armée de l'Air flieht in die Vereinigten Staaten. Dort hofft er die Amerikaner zum Kriegseintritt bewegen zu können.

Mord, Tod und Gewalt bringt Hitler über Europa. Viele Menschen verzweifeln an den unvorstellbaren Gräueln, wenn sie sie nicht selbst verüben. Ein Realist muss in diesen Zeiten Pessimist sein. Umso erstaunlicher ist es, dass der vierzigjährige Saint-Exupéry ausgerechnet in dieser Zeit eines der lebhaftesten und erfrischendsten Plädoyers für Optimismus, Fantasie, Freundschaft und Gutgläubigkeit verfasst. Umgeben vom allgegenwärtigen Bösen erklärt der Autor, wie einfach es doch wäre sein Glück zu finden. Ein Jahr nach dem Erscheinen kommt Saint-Exupéry im Einsatz für die Freien Französischen Streitkräfte in seinem Flugzeug ums Leben. Mit seinem kleinen Prinzen hat er sich unsterblich gemacht.

Mit einer Flugzeugpanne beginnt auch die Geschichte des kleinen Prinzen. Der Erzähler muss nach einem Motorschaden mit seiner Maschine in der Sahara notlanden. Dort trifft er den kleinen Prinzen vom fernen Asteroiden B612. Dieser erzählt ihm von seiner Reise durch das All. Auf mehreren Planeten sei er gewesen und habe die unterschiedlichsten Personen getroffen. Stets habe ihn dabei das seltsame Handeln und Denken der Erwachsenen erstaunt, erzählt der kleine Prinz. So habe er unter anderem einen herrschsüchtigen König ohne Reich getroffen oder ein Alkoholiker, der trank um seine Alkoholsucht zu vergessen. Und auch ein Geschäftsmann, der viel wert darauf lege, dass er 501.622.731 Sterne besitze. Was er denn damit machen wolle, habe ihn der kleine Prinz gefragt. „Nichts. Ich besitze sie.“, habe ihm der Geschäftsmann geantwortet. Der kleine Prinz erwiderte darauf: „Wenn ich einen Seidenschal habe, kann ich ihm um meinen Hals wickeln und mitnehmen. Wenn ich eine Blume habe, kann ich meine Blume pflücken und mitnehmen. Aber du kannst die Sterne nicht pflücken!“ – „Nein, aber ich kann sie in die Bank legen.“, entgegnete der Geschäftsmann und ergänzte: „Das heißt, dass ich die Zahl meiner Sterne auf ein kleines Papier schreibe. Und dann sperre ich dieses Papier in eine Schublade. Das genügt.“ Der kleine Prinz fand dieses Denken höchst sonderbar und sagte schließlich, bevor er verschwand: „Ich besitze eine Blume, die ich jeden Tag begieße. Ich besitze drei Vulkane, die ich jede Woche kehre. Es ist gut für meine Vulkane und gut für meine Blume, dass ich sie besitze. Aber du bist für die Sterne zu nichts nütze...“. Damit formulierte Saint-Exupéry in wenigen Sätzen eine schöne und zeitlose Parabel über das, was wirklich reich macht und das Geld und Besitz allein ohne Nutzen sind.

Besonders treffend sind auch Saint-Exupérys Gedanken über Freundschaft. Auf der Erde angekommen sucht der kleine Prinz nach jemandem, mit dem er Freundschaft schließen kann. Dabei begegnet er einem Fuchs. Dieser bittet ihn, ihn zu zähmen: „Wenn du mich zähmst, wird mein Leben voller Sonne sein. Ich werde den Klang deines Schrittes kennen, der sich von allen anderen unterscheidet.“ Als der kleine Prinz dem Fuchs erläutert, er habe wenig Zeit und sei auf der Suche nach Freunden, erklärt ihm der Fuchs: „Die Menschen haben keine Zeit mehr, irgend etwas kennenzulernen. Sie kaufen sich alles fertig in Geschäften. Aber da es keine Kaufläden für Freunde gibt, haben die Leute keine Freunde mehr.“ Die beste Lösung einen Freund zu finden, ergänzt der Fuchs, sei es ihn zu zähmen. Die beiden werden schließlich zu Freunden. Und am Ende erkennt der kleine Prinz: „Er war nichts als ein Fuchs wie hunderttausend andere. Aber ich habe ihn zum Freund gemacht, und jetzt ist er einzig in der Welt.“ Etwas später spricht der Fuchs auch Saint-Exupérys wohl berühmtesten Satz aus: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Auch diese Zeilen sind so inhaltsvoll und berührend zugleich, dass man auch 70 Jahre später wohl kaum eine bessere Schilderung dessen findet, was Freundschaft ausmacht.

In einer der dunkelsten Stunden der Geschichte erfand Antoine de Saint-Exupéry mit dem kleinen Prinzen eine Figur, die bis heute viel Hoffnung spenden kann. Mit nur 44 Jahren wurde er selbst ein Opfer des Krieges und stürzte mit seiner Lockheed – vermutlich von deutschen Jagdflugzeugen abgeschossen – ins Mittelmeer. Der kleine Prinz überlebte und mahnt uns bis heute, uns auf das zu besinnen, was wirklich wichtig ist, was wirklich glücklich macht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden