Das ewige Scheitern

Visitenkarte des Alterns Hellmuth Karaseks zweiter Roman "Betrug"

"Sie hassten einander von dem Moment an, in dem sie spürten, daß sie einander liebten."

Und dabei hätte alles so bequem und situiert weiterlaufen können - dieses Leben des Robert, Buchrezensent mit eigenen Radiominuten fürs Kritische. (Es können sich ja nicht alle Journalisten dem Fernsehen verschreiben.) So stehen die Schreib-Honorare dieses Herrn in keinem Verhältnis zu den Verhältnissen, die er sich leistet. Der Charme der Bourgeoisie ist allerdings auch nicht mehr so diskret, wie wir es von Maupassant gewohnt sind. Auch ist das Ambiente dieses Romans hanseatisch. Der Erzähler zeigt uns, welcher Atmosphäre Robert zu entfliehen versucht: In einer Hamburger Villa geben sich ein paar Medien-Sumpfbacken einer Peking-Ente hin. "Ein-zig-artig!", konstatiert eine Dame immer wieder, bis beim - auch lobenswerten - Dessert eine andere kritische Stimme feststellt: "Die Asiaten haben ja keine Käsekultur, im Grunde genommen." So lässt der Autor seine Pappenheimer in Samt und Seide schwadronieren. Bald jedoch rutschen die Themen von der Peking-Ente über den Mangel an asiatischem Käse in den Bereich der "Lieblingsstellung" beim Pinkeln ab. Das Steh- und Sitzverhalten von Männern muss thematisch herhalten. Denn Männer sind Schweine. Dass bei Karasek, dem Verehrer der Damen, auch das weibliche Geschlecht ab und an die Sau rauslässt, ist so wahr wie erfreulich. Wenn Robert à la Karasek die Situation retten will, (wir kennen diesen liebenswerten Hang zur Harmoniesucht aus der literarischen Sitcom), wird alles nur noch schlimmer - im Roman versteht sich.

Es ist schon sehr komisch, wie Robert zur Ablenkung der im Toilettenmief unterzugehen drohenden Peking-Enten-Familie die Geschichte von Pastor Geyer erzählt, der seine Frau umgebracht hat: "Also, der Pastor hatte seine Frau bei der Polizei als vermißt gemeldet, sich aber nicht entblödet, seine Geliebte oder eine seiner vielen Geliebten zu sich aufs Land einzuladen." Die feine Hamburger Gesellschaft fällt in einen Zustand hanseatischer Empörung: "Eine unglaubliche Rohheit, ... noch dazu von einem Pastor." Wir Leser befinden uns in diesem Moment bereits auf Seite 193 des Buchs. Roberts Sucht nach einer Pointe wie "Pfarrer sind auch Ehemänner, deshalb gibt es bei Katholiken das Zölibat. Und die Pfarrersköchin", ist verräterisch. Aber nur für die Romanfigur, nicht für den Autor. Karasek zeigt originaldeutschen Altherrenwitz, hält aber humorvolle Distanz.

Hamburg ist nicht Paris. Diese Geschichte eines durchschnittlichen Intellektuellen könnte allerdings auch in der ewigen Stadt der Liebe spielen. Bel ami ist tot, und Robert ist nur ein Erotiker kurz vor der Rente. Einen erotischen Jux will er sich machen und es der Ehefrau heimzahlen, dass es ihm so gut geht. Beim Tennis benimmt sich Robert seiner Frau gegenüber so, dass man sich vorstellen kann, wie das Match der beiden Ballpartner im Bett abläuft: unfair bis langweilig. Details darüber erspart uns Karasek. Er ist ein diskreter Erzähler. Dagegen bereitet es ihm mehr Freude, den Ehebruch Roberts mit einem verbotenen Früchtchen namens "Katta" um so plastischer zu schildern. Dennoch: über allem schwebt das ewige Scheitern.

Karaseks Buch über einen alten Mann und seinen Kampf gegen das amouröse Verfallsdatum einen großen Roman zu nennen, wäre zuviel; aber die feinen Beobachtungen über sein ganz und gar nicht so feines Alter Ego zeigen viel Selbstironie und Weisheit. (Zitat: "Alle wissen alles von mir, nur ich wußte nicht, daß es überhaupt etwas zu wissen gibt. Bis jetzt.") Das Buch "Betrug" hätte auch "Selbstbetrug" heißen können. ("›Das ist das Schreckliche an einer Lüge, daß alles gelogen und alles wahr sein kann‹, dachte er.") Und ich denke, Karasek hat weder Recht noch Unrecht, er hat Geschmack. Besonders dann, wenn er seinen Helden in modischer Unterhose langsam aus dem Leim gehen lässt. Im letzten Moment, bevor es gar zu peinlich wird, biegt dieses Auslaufmodell mit einer Prise Selbstironie um die Ecke.

Der Roman Betrug ist eine feine Visitenkarte des Alterns. Fast tut er einem Leid, der arme Robert aus reichem angeheirateten Haus. Zum Beispiel, wenn er Katta nach Ablage der ausgedienten Gattin eine Nacht im Münchner Hotel "Vier Jahreszeiten" bietet. Denn eigentlich ist er pleite. Das Buch hätte auch "Der Absteiger" heißen können. Während sich der Mann also im Luxusschuppen um den süßen Vogel Jugend bemüht, tropfen in seiner verschwiegenen Altgesellenbude irgendwo in Schwabing zwei handgewaschene Socken auf der Zentralheizung vor sich hin. ("Socken und Menschen sind nur paarweise etwas wert, dachte Robert, wenn er in das kleine Plastikschälchen blickte, trotzdem verstecken sich ihre Partner immer wieder erfolgreich in der Wäschetrommel, so als suchten sie, Lemmingen gleich, den Untergang.") Hellmuth Karaseks sehr private Untergangsbeschreibung eines Wissenden. Die Suche nach der verlorenen Socke. Schreiben Sie wohl, Herr Karasek!

Hellmuth Karsek: Betrug. Roman. Ullstein Berlin Quadriga, Berlin 2001, 301 S., 38,92 DM

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