Programmatik „Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation“: Wo gebaut werden soll, ist mittlerweile geklärt. Viel wichtiger aber ist doch die Frage: Was soll es eigentlich leisten? Ein Vorschlag von Ilko-Sascha Kowalczuk
So manches Wohlstandsversprechen war nicht haltbar. Halle, 2004
Foto: Jordis ANtonia Schlösser/Ostkreuz
Das „Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation“ wird in den nächsten Jahren nun also in Halle errichtet. In den Mitbewerberstädten Frankfurt/Oder, Leipzig oder Jena herrscht Katzenjammer. Das ist gut zu verstehen. 200 Millionen Euro stellt der Bund für ein repräsentatives Gebäude in Halle zur Verfügung. In dem Prachtbau sollen 200 Dauerstellen, ebenfalls vom Bund finanziert, verankert werden. Alternativlos dürfte sein, dass die Führungspositionen an Ostdeutsche vergeben werden. Soll doch von dem Zentrum auch ein Impuls dafür ausgehen, dass Ostdeutsche künftig sichtbarer in Staat und Gesellschaft werden.
Was aber soll das Zentrum eigentlich genau machen? Einigkeit herrscht bislang nur darüb
darüber, dass es breit aufgestellt mit politischen, wissenschaftlichen, künstlerischen und musealen Elementen den Weg Ostdeutschlands aus der Vergangenheit in die Zukunft spiegeln solle. So manchem Politiker geht es darum, die viel beschworene „Lebensleistung der Ostdeutschen“ anzuerkennen. Keine Ahnung, was damit gemeint ist, aber es hört sich nicht gut an. Wahrscheinlich ist gemeint, die harten Jahre der Transformation zu würdigen.Der TransformationsschockTatsächlich fiel der Transformationsschock nirgends so hart im postkommunistischen Raum aus wie in Ostdeutschland – wenngleich er nirgends so sozial abgefedert worden ist. Die Einführung der DM verlangte nach der sofortigen Installierung jener Institutionen, die ihre Stabilität garantierten. Obwohl es genug warnende Stimmen gab, votierten am 18. März 1990 drei Viertel der Ostdeutschen dafür. Die meisten verloren ihren Arbeitsplatz, nicht wenigen ging dabei ein Stück ihrer Lebenskultur und Identität verloren. Der DGB-Vorsitzende brachte es im Sommer 1990 auf den Punkt: Ihm komme es so vor, als würden einem Auto bei rasender Fahrt die Räder gewechselt.Erst 30 Jahre später begann eine Diskussion über die deutsche Einheit, die sich nun nicht mehr daran aufhielt, wie viele Milliarden in den Osten geflossen seien. Vor dem Hintergrund einer politisch anderen Landschaft im Osten, die sich zu einem relevanten Teil vom Westen abgewandt hat, werden seither die kulturellen Folgen des Transformationsschocks stärker betrachtet und diskutiert. Hinzu kam die Einsicht, dass viele Ostdeutsche weiterhin mit Freiheit fremdelten – dem einenden Band der Revolution von 1989.Langsam dämmerte es auch in der Politik, dass Freiheit in Ostdeutschland längst kein Wert ist, auf den sich die Mehrheit einigen könnte, sondern der eigene materielle Wohlstand alles andere überragt. Wer will es den Ostdeutschen auch verdenken, war das doch genau jenes Versprechen, mit dem Helmut Kohl durchs Land reiste. Der Westen wollte nicht nur, dass der Osten genau so werde, wie der Westen glaubte, selbst zu sein. Nein, er erhob sich zum Maßstab aller Dinge. Anfangs hieß es sogar, in drei, fünf Jahren lebt ihr so wie wir. Dazu sollte es nie kommen. Die Ost-West-Unterschiede blieben bestehen.Sozialpsychologisch gesehen war das fatal. Denn so gut es den Ostdeutschen auch ging, sie maßen sich an Westdeutschland und schnitten daher immer gleich schlecht ab. Die Strategen in Macht- und Schaltzentralen hatten bei ihren Versprechungen nicht nur übersehen, dass Ostdeutschland eine beispiellose Entindustrialisierung erfahren würde und Ostdeutsche außerhalb der Politik bis heute nirgends in relevanter oder auch nur repräsentativer Größe das Sagen hätten, was eine fehlende Lobby noch verstärkte. Nein, sie hatten auch nicht einberechnet, dass der Zug der Entwicklung im Westen ja nicht Halt mache und warte, bis der Osten aufgeschlossen habe.Das Zentrum mit dem umständlichen Namen müsste hier ansetzen. Doch der Standortwettbewerb beinhaltete keine inhaltliche Debatte über die Ausrichtung, was wichtiger gewesen wäre, als zu klären, wo es errichtet werden wird. Denn Halle ist fast überall im Osten. Wichtiger ist, was das Zentrum leisten soll. Drei Punkte erscheinen mir zentral zu sein.Erstens: Wenn wir über deutsche Einheit und die Transformationsgeschichte sprechen, so geht das nur, wenn über die Voraussetzungen dafür geredet wird – die kommunistische Diktatur mit ihren destruktiven Hinterlassenschaften sowie die erfolgreiche Freiheitsrevolution von 1989/90. Das Zukunftszentrum muss beides in seine Arbeit als integrale Bestandteile einbeziehen. Die Revolution von 1989/90 war die Vorbedingung für die deutsche Einheit. Epochale Umbrüche ereignen sich weder zufällig noch so spontan. Die Vorgeschichte der Revolution von 1989 besteht aus nationalen und internationalen Zusammenhängen. Die inhaltliche Arbeit des Zukunftszentrums sollte deshalb Mitte der 1970er Jahre beginnen. Hier liegen mit der Ölpreiskrise 1973 und der Verabschiedung der KSZE-Schlussakte von Helsinki 1975 zwei zentrale internationale Ereignisse vor, die auf den Ostblock und die DDR nachhaltige Einflüsse ausübten und nicht nur symbolisch zeigen, dass transnationale Betrachtungen nötig sind, um Geschichte verstehen zu können.Zweitens wäre es verfehlt, rückte das Zentrum staatliches Tun ins Blickfeld. Das kann und soll nur den Rahmen bilden. Für die Zeit vor 1989 heißt das, die vielfältigen gesellschaftlichen Entwicklungen und Kräfte in den Blick zu nehmen, die sich gegen die Vorgaben der kommunistischen Diktatur stellten. Die Freiheitsrevolution von 1989 ist nur in dem Kontext, wogegen sie sich richtete, zu erklären. Für die Zeit nach 1990 ist der Spannungsbogen von Freiheit, Demokratie und sozialer Unsicherheit für die ersten 15 Jahren maßgeblich. Diese Phase ist abgelöst worden von einer zweiten, nunmehr globalen Transformationsphase, oftmals verkürzt als digitale Revolution bezeichnet. Ostdeutschland ist nun von einer nachholenden Gesellschaft zu einer partiell vorauseilenden geworden und nahm Züge eines Labors der Globalisierung an. Zukunft kann ja nur bedeuten, global und digital zu denken, dabei aber die Kraft des Regionalen und Analogen zu berücksichtigen.Osteuropas EntwicklungDie Hoffnung auf „blühende Landschaften“ implizierte drittens ab 1990 eine ungewollte, aber zwangsläufige Vergleichsgröße: Die strikte Einbindung der DDR in den Ostblock macht Ostmittel- und Osteuropa aber auch zu den sinnvollen Vergleichsparametern nach 1990. Die Geschichte der DDR ist ohne die Entwicklungen Osteuropas ebenso wenig zu verstehen wie die ostdeutsche Transformationsgeschichte seit 1990. Nicht erst die Ausweitung des russischen Vernichtungskriegs gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 hat gezeigt, wie wenig diese Vorgänge zu verstehen sind, ohne die historischen Entwicklungen im 20. Jahrhundert präzise zu kennen. Die nationalen Geschichten sind transnational miteinander verflochten. Die jüngste Geschichte ist bei allen Widersprüchen und Gegensätzlichkeiten als eine gemeinsame zu begreifen. In der Vielheit liegt die Einheit auch hier.Das Zentrum sollte auf allen Ebenen, auch der personellen, von Anfang an europäisch und vor allem osteuropäisch ausgerichtet sein. Programmatisch wäre es ein Zeichen, das Zentrum an einem 23. August, dem europäischen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus und Kommunismus, zu eröffnen. Zugleich sollte es eben kein Museum werden, sondern ein Ort für kreative und vorurteilsfreie Debatten über das Gestern, Heute und Morgen. Ein Ort, der keine Grenzen kennt. Ein Ort der Jugend, gerade wenn 100-Jährige leidenschaftlich debattieren. Ein Ort, der die eingeschliffenen Symbolabläufe der „Berliner Republik“ gleich einer Utopie an der Garderobe belässt. Ein Ort, der gar nicht erst anfängt, Ost und West, Nord und Süd verbinden zu wollen, sondern die Globalität unseres heutigen Lebens in seiner Vielheit als gegeben nimmt. Ein Ort, der Zukunft diskutiert und nicht einmauert in Etikette, die oftmals selbst jenen zum Halse raushängt, die sie immer und immer praktizieren.Placeholder authorbio-1