Öffnet endlich die BND-Archive!

Aufarbeitung Der DDR-Politiker Hans Modrow wurde vom Westen jahrzehntelang bespitzelt. Solange die Archive zu sind, weiß man nicht, was das bedeutet
Ausgabe 32/2021
Öffnet endlich die BND-Archive!

Illustration: der Freitag

Der letzte DDR-Ministerpräsident Hans Modrow erhielt Auskünfte darüber, was der Bundesnachrichtendienst (BND) von 1958 bis 1990 und der Verfassungsschutz (VS) von 1965 bis 2013 über ihn gesammelt hat. In einem Interview, das er der Berliner Zeitung gab, werden zwei Behauptungen aufgestellt: BND und VS wären die Pendants zum Ministerium für Staatssicherheit (MfS) gewesen. Und in der SED-Führung hätten bundesdeutsche Dienste in den 1980er Jahren Informanten gehabt.

Das Verhältnis von Aufwand und Nutzen geheimdienstlicher Arbeit lässt sich selten messen, schon gar nicht ohne Aktenkenntnis. Auch Modrow sagt nicht, was die beiden Dienste außer Zeitungsberichten über ihn zusammentrugen. Mit solchen Lappalien hielt sich die Stasi nicht auf. Sie war auch nicht nur Geheimdienst, sondern vor allem eine Geheimpolizei, die der SED zu dienen hatte. Das MfS war ein zentrales Instrument, um die SED-Diktatur gegen „innere und äußere Feinde“ zu schützen. Es verbreitete Angst – der Kitt, der jede Diktatur zusammenhält. Sie legte sich wie ein Krake über die Gesellschaft – ausgenommen Funktionäre wie Hans Modrow, diese durften vom MfS nicht „bearbeitet“ werden. Als SED-Bezirkschef in Dresden war er von 1973 bis 1989 direkter Vorgesetzter der MfS-Bezirksverwaltung.

Es ist bekannt, dass der BND über 70.000 DDR-Menschen überwachte. Daraus zu schlussfolgern, es hätte nach dem Mauerbau viele BND-Informanten in der DDR gegeben, ist unzulässig. Die meisten Überwachten waren DDR-Reisekader, die ins Blickfeld gerieten, weil sie in die Bundesrepublik reisten. Außerdem hatte der BND die Telekommunikation in der DDR gut im Abhörgriff. In einem BND-Dokument vom 14. September 1989 wird berichtet, dass Erich Honecker am späten Nachmittag des Vortages verstorben sein soll. Die Bild war vom BND vorab informiert worden und titelte: „Gerüchte über Honeckers Tod“. Hätte der BND eine Quelle in der Nähe des Politbüros gehabt, hätten er dem Bundeskanzleramt nicht solche Gerüchte gemeldet. Die Nachricht entstammte abgehörten Telefongesprächen in der DDR.

Vor allem wegen des Versagens der westlichen Geheimdienste, die nicht ansatzweise den Untergang des Kommunismus in Osteuropa vorhergesehen hatten, stellte sich die Sinnfrage nach Geheimdiensten. Bürgerrechtlerinnen drängten mehrfach darauf, dass Akten der Geheimdienste, die älter als 30 Jahren alt sind, der Forschung zugänglich gemacht werden.

Als ich 2008 im Bundesarchiv bereits liegende Unterlagen des BND einsehen wollte, die die 1980er Jahre betrafen, dauerte es über zwei Jahre, ehe die 42 längst deklassifizierten Akten freigegeben wurden. Im Februar 2011 durften Historikerinnen und Journalisten neuerlich hoffen, dass relevante BND-Unterlagen der Forschung zur Verfügung gestellt würden. Wie viele andere Institutionen berief auch der BND eine „Unabhängige Historikerkommission“ (UHK), um die Geschichte des BND von 1945 bis 1968 aufzuarbeiten. Der BND sicherte zu, dass das Material deklassifiziert werden und anschließend der freien Forschung zur Verfügung stehen würde. Ich nahm ihn beim Wort und stellte im Juni 2016 einen Antrag darauf, die im BND vorhandenen Unterlagen zu Ernst Wollweber, Wilhelm Zaisser, Karl Schirdewan, Rudolf Herrnstadt und Walter Ulbricht einsehen zu dürfen. Im August 2016 bekam ich einige Unterlagen. Dabei handelte es sich nicht um operatives Material, sondern um ausgewertete Medienberichte. Auch wenn man geneigt ist, dem BND genau dieses Niveau zuzutrauen, schien es doch unwahrscheinlich, dass es kein anderes Material geben sollte. Darin bestärkten mich die ersten Buchpublikationen der UHK. In einem Band geht es um die Frage, ob im Umfeld von Stasi-Minister Wollweber ein Agent platziert war. Ich erneuerte mein Anliegen, relevantes Material einsehen zu dürfen. Im September 2017 erhielt ich die Nachricht, man hätte zwei (2) weitere Blatt zum ehemaligen Stasi-Minister Zaisser für mich: Es handelte sich um das parteioffizielle Foto von Zaisser sowie die Erklärung auf der Rückseite, wer es sei.

Der BND macht sich lächerlich. Wenn die Unterlagen, die einige Historiker bereits einsahen, nicht freigegeben werden, dann sind die Bücher der UHK nichts wert. Generell gilt: Öffnet endlich die Archive von BND und VS, in Ländern wie den USA ist das schon lange üblich. Dann kann auch Hans Modrow alles einsehen und ist nicht auf „Auskünfte“ angewiesen!

Ilko-Sascha Kowalczuk ist Historiker, zuletzt Herausgeber eines Zweibänders mit 80 Studien über „(Ost-)Deutschlands Weg“ seit 1989, erschienen bei der Bundeszentrale für politische Bildung

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