Boda statt Uber

Uganda In Europa sind Motorräder Statussymbole für alte weiße Männer. Im Verkehrschaos von Uganda sind sie ein abenteuerlicher Weg für junge Leute, eine Existenz aufzubauen.

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Boda Boda – Motorräder, die Ostafrika bewegen
Boda Boda – Motorräder, die Ostafrika bewegen

Foto: Chip Somodevilla/Getty Images

„Das geht sich nicht aus“, denkt sich der unerfahrene Reisende auf dem Rücksitz des Motorrades. "Das geht sich nicht aus“, und presst die Knie fest zusammen, möchte sich schmäler machen, um der scheinbar unvermeidlichen Kollision im dichten Stadtverkehr von Kampala zu entgehen: „Das geht sich nie im Leben aus!“ Über der Verkehrshölle kreisen Marabus, aas- und müllfressende Vögel, die aussehen wie gealterte übergewichtige Störche mit Doppelkinn.

Der vorhersehbare Crash findet dann doch nicht statt, zwischen Autos, Lastwägen, Fahrrädern und Schlaglöchern finden die Motorradfahrer auf wundersame Weise ihren Weg.

Vom Schmugglervehikel zum Familientransporter.

Boda Bodas, die Motorradtaxis, sind eine der wichtigsten Lebensadern ostafrikanischer Städte. Wenn für Autos nichts mehr geht und wenn die Wege für Fußgänger und Radfahrer zu weit sind – mit dem Boda Boda geht es immer. Und es gibt nichts, was nicht mit dem Motorrad transportiert werden könne: Vierköpfige Familien, Ziegen, Bettgestelle oder fünfzig Wasserkanister. „It comes by nature“, sagt Owen und macht es sich auf dem mit einem Louis Vuitton-Imitat überzogenen Sitz seines Motorrads bequem. „I love to ride.“ Owen ist einer von geschätzten 200.000 Boda Boda-Fahrern in Uganda, die mit 15 PS unter dem Hintern ihren Lebensunterhalt verdienen.

Während in Europa Motorräder vom wilden heißen Ding zum Designobjekt und Statussymbol für ältere Männer geworden sind, sind sie in Uganda eine wichtige Zukunftsperspektive für junge Männer – oft für jene, die sonst keine Zukunftsperspektive hätten. Es gibt kaum private Motorräder und wer ein heißes Eisen hat, der nutzt es geschäftlich.

Der Hauch des Wilden ist dabei nicht zu leugnen: In Uganda braucht es keinen Führerschein, um in das Zweiradbusiness einzusteigen. Ein Motorrad und eine Haftpflichtversicherung reichen völlig aus. Das hat zum Teil historische Gründe: Ursprünglich waren Boda Bodas Fahrräder, mit denen das Niemandsland zwischen den Grenzen Ugandas und Kenias überquert wurde, bevor es grenzüberschreitenden Busverkehr gab. Die Fahrer transportierten Mensch, Tier und Gepäck zwischen den Grenzbalken hin und her. Aus diesem Service „from border to border“ wurde praktisch afrikanisch verkürzt Boda Boda, und aus den Fahrrändern wurden Motorräder – nicht zuletzt deshalb, weil Kaffee- und Zigarettenschmuggler nach schnellerem Transport über das offene Geländer verlangten.

Viele Fahrer sind direkt vom Fahrrad auf das Motorrad umgestiegen, ohne jemals Fahrpraxis gesammelt zu haben. Zahlreiche und blumige Berichte von Unfällen, zu denen auch die vor allem in den Städten löchrigen Straßen beitragen, verleihen den sonst eher plumpen Motorrädern den Touch vom wilden Höllenstuhl. Es sind indische Boxer-Maschinen, die bei rund 15 PS Leistung stolze 250 Kilo auf die Waage bringen. Solider Stahl, große Tanks und fette Sitzbänke sorgen für Stabilität im Einsatz. Leicht handzuhaben sind die Ungetüme aber nicht. Das musste auch Owen zur Kenntnis nehmen: Ein komplizierter Beinbruch nach einem Unfall, bei dem er unter dem Motorrad zu liegen kam, setzte ihn für neun Monate außer Gefecht.

Das Mulago Spital in Kampala macht in einer Studie zu Verkehrsunfällen Boda Bodas für ein Viertel aller Crashes mit Personenschaden verantwortlich. Die schwerwiegendsten Unfallursachen der überwiegend jungen Männer: Unerfahrenheit, Alkohol, Drogen und schleißige Wartung der Maschinen. Dieser schlechte Ruf veranlasst auch die Behörden in Kampala, der Hauptstadt Ugandas, Boda Bodas recht skeptisch zu betrachten. Die Motorrad-Taxis sollen aus dem Stadtzentrum und in die Außenbezirke verbannt werden. Das soll Unfallzahlen reduzieren und für ein modernes, sauberes Stadtbild sorgen – würde dabei aber den gesamten Nahverkehr auf eine harte Probe stellen. Denn wenn Matatus, die knackevollen Sammeltaxis, Busse und PKWs im dichten Verkehr schon lange nicht mehr weiterkönnen, geht für die Motorräder immer noch was.

Biker unter Beobachtung

Gegen diese geplanten Einschränkungen formieren sich die Fahrer. Organisationen wie Safe Boda vermitteln in Fahrsicherheit und Erste Hilfe trainierte Fahrer, die Boda Boda Association nimmt Neulinge nur dann auf, wenn sie Empfehlungsschreiben mitbringen und sich dann auch noch in einer Probezeit bewähren. Emmanuel Mugabi Nsereko ist Vorsitzender der Entebbe Division der Boda Boda Association und arbeitet daran, klarzumachen, dass Boda Boda-Fahrer keine durchgeknallten Freaks sind. In der kleinen ruhigen Stadt am Ufer des Viktoria Sees, der ehemaligen Hauptstadt Ugandas, hat er das Business fest im Griff. Neue Fahrer werden registriert, beobachtet und erhalten einen Ausweis; Preise sind durch Tarifzonen reguliert und gelten auch für Touristen. „Wir zeigen, dass wir seriöse Geschäfte machen“, sagt Emmanuel. „Die Probleme, die die Behörden beschreiben, gehören der Vergangenheit an.“

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Die Fahrer zahlen für die Leistungen der Association einen einmaligen Mitgliedsbeitrag, der zum Großteil in einen Versicherungsfonds fließt. Aus diesem Fonds werden bei Unfällen verletzte Fahrer und deren Familien unterstützt – so auch Owen während seiner Verletzungspause.

Auf dem Land hingegen ist die Motorradszene noch deutlich weniger geregelt. Vor einem kleinen Fleischerladen in Sanga, einem Nest im Westen Ugandas, der große Schwärme von Schmeißfliegen anzieht und von Marabus belauert wird, die sich mit ihren großen Schnäbeln an Fleischabfällen und sogar an Knochen versuchen, spricht Alex mit souveränem Auftreten Reisende an. Er trägt schwarze Pilotenbrillen, ein gebügeltes, rot-schwarz kariertes Flanellhemd und strahlend saubere Turnschuhe. Er stellt sich vor, drückt Hände.„Are you looking for transportation? My company offers motorcycle services“, sagt er in ausgezeichnetem Englisch. Busse fahren nur die Hauptstraße entlang, Autos gibt es hier kaum, der Weg in die entlegeneren Dörfer und zu einigen Seen in der Gegend ist nur zu Fuß zurückzulegen – oder eben mit dem Boda Boda.

Die von Alex beworbenen Fahrer können allerdings nicht ganz mit seiner Vertrauenswürdigkeit mithalten. Laurence trägt bei 35 Grad im Schatten anstelle eines Helms eine Plüschmütze mit Hasenohren und sein Silberblick lässt im potenziellen Fahrgast die staunende Frage entstehen, ob er auch wirklich die zahlreichen Schlaglöcher entdecken kann. Ein weiterer Fahrer hat sein Motorrad geparkt, sitzt im Schatten und genehmigt sich ein paar kräftige Schlucke ugandischen Waragi-Gin aus der Plastiktüte.

Bikende Business-Men

Immer mehr Fahrer sind sich allerdings bewusst, dass Sicherheit – und damit auch ihr eigenes Image – ihre eigenen Verantwortung ist. In Kalangala, einem Hafen auf einer Insel im Viktoria-See, wartet ein Rudel schwer beladener Boda Bodas auf die Fähre nach Entebbe. Die Prozedur des Ticketkaufs ist endlos. Jedes Ticket wird von Hand ausgefüllt und sieht mit Wappen und Stempel aus wie eine Urkunde. Dann heißt es schnell sein: Auf der Fähre gilt das first come first serve-Prinzip. Wer keinen Platz erwischt, muss warten, denn die nächste Fähre wird erst in sieben Stunden auslaufen.

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Geoffrey versorgt die Imbissstände im Hafen mit Lebensmitteln und Getränken und fährt aufs Festland, um neue Vorräte zu kaufen. Die Ware wird dabei einfach in einem riesigen Müllsack auf dem Lenker balanciert. Geoffrey ist neu im Geschäft und kann sich noch kein eigenes Motorrad leisten. Er fährt auf fremde Rechnung, sein Boss besitzt fünfzehn Motorräder, deren Fahrer den Kaufpreis abarbeiten. Wenn alles gut geht, wird die Boxer in drei Jahren ihm gehören.

„Das ist okay“, sagt Geoffrey. „Sonst könnte ich diesen Job nicht machen.“ Mehr Sorgen machen ihm gelegentliche Überfälle auf Boda Boda-Fahrer: „Es kommt immer wieder vor, dass angebliche Kunden mit dir in abgelegene Gegenden fahren und dann, wenn du Glück hast, nur dein Geld und dein Motorrad klauen.“ Boda Boda-Fahrer verdienen nämlich, gemessen an ugandischen Standards, nicht schlecht. 30.000 bis 50.000 ugandische Schilling pro Tag (umgerechnet sieben bis zwölf Euro) sind machbar. Das katapultiert sie finanziell recht weit in die ugandische Mittelschicht. Zu der gehört, wer zwischen zwei und zwanzig Dollar am Tag verdient. Geoffrey schafft es auf die Fähre, andere sind weniger glücklich: Zwei der vollbepackten Motorräder kippen beim Sprint auf die Fähre um, bis die verstreute Ware wieder eingesammelt ist, ist kein Platz mehr auf dem Schiff.

Farbenfrohes Marketing

Im Nakiwogo-Hafen, wo die Fähre nach der Fahrt über den Viktoria-See einlaufen wird, wartet Derrick auf Fahrgäste. Der 24-Jährige hat schon große Ziele. Er stottert sein Motorrad auf Kredit ab und spart, um eines Tages einen der kleinen Läden im Hafengebiet kaufen zu können. Das sind kleine Holzverschläge, in denen Alltagsgegenstände, Samosas oder Chapatis (das zentralafrikanische Pendant zu Pfannkuchen) verkauft werden oder in denen mit Handyguthaben und mobilen Paymentlösungen gehandelt wird.

Den Laden möchte Derrick dann seiner Verlobten schenken. Die gibt es allerdings noch nicht. Derrick stammt aus Ruanda und ist eigens nach Uganda gezogen, um sein Glück als Boda Boda-Fahrer zu versuchen. Sein Bike ist mit Blumen, ruandischen Flaggen, Nelson Mandela-Aufklebern und Stickern von einigen ugandischen Fernsehstars geschmückt. „Mandela ist mein Held“, erklärt er. „Der Rest ist Marketing: Wenn dein Bike gut aussieht, bekommst du mehr Kunden. Und viele Reisende aus Ruanda fahren lieber mit mir als mit anderen, weil sie eben den Jungen aus Ruanda unterstützen wollen.“

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Was bei der Bike-Dekoration selten fehlt, sind Bibelsprüche. Bei Derrick ist es ein Verweis auf den Psalm Johannes 11:26 auf einem kleinen Schild unter dem Scheinwerfer. Die ganze Bibelstelle heißt: „…und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben …“.

Kennedy dagegen setzt auf den Tiger am Tank: Der 24jährige ist ein Strahlemann, die Wildkatze und auch ein zerkratzter Che Guevara-Sticker zieren seinen Tank. „I simply love to ride“, sagt er. „I like my customers and my customers like me.“ Während er auf Kunden wartet, liegt er lässig auf seinem Bike, winkt, ruft gelegentlich und versucht, Passanten in Gespräche zu verwickeln. Der weniger redselige Fahrer ein paar Schritte weiter trägt eine schwarze Lederjacke wie Marlon Brando in „Der Wilde“. Kennedys Biker-Outfit ist da noch etwas improvisierter: Zu Sonnenbrille und Schirmkappe trägt er dünne Arbeitshandschuhe – und Gummistiefel.

Kennedy ist froh, hier in dem kleinen Hafen arbeiten zu können. „Mit der Fähre bekommen wir genug Kunden, und es ist überschaubar und sicher hier. Klar, im Kampala gibt es noch mehr Kunden. Aber eben auch mehr Fahrer, mehr Konkurrenz, schlechtere Straßen, mehr Verkehr, viel Polizei … Ich bleibe hier.“ Seine Zukunft sieht er nicht nur in diesem kleinen Hafen, sondern auch ganz klar auf dem Motorrad. „Das ist mein erstes eigenes Bike. Wenn es abbezahlt ist, möchte ich sobald als möglich ein weiteres kaufen und einen zweiten Fahrer für mich fahren lassen.“ Irgendwann werden aus den wilden Jungs Unternehmer.

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The Boda Boda Book erscheint Mitte Oktober. Vorbestellungen sind möglich, am 13. Oktober 2018 wird das Buch gemeinsam mit Amadinda Souns System aus Kampala im Wiener Gartenbau Kino präsentiert.

Henrike Brandstötter, Michael Hafner
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