Im Klassenzimmer ist es dunkel. Die Schüler und Schülerinnen der Medienklasse 8a der Gesamtschule Walddörfer Straße schauen gebannt auf den großen blauen Bildschirm, den der Beamer, ein Projektor für Computerbilder, auf das Switchboard wirft. In dieser Medienstunde wird Lehrerin Ines Lessing mit ihren Schützlingen das Präsentieren üben. Einige von ihnen haben sich nämlich für die Endrunde im landesweiten Wettbewerb zu neuen Medien nominiert. Zum Beispiel Svenja Suhling über das Thema Fliegen: Der Beamer blendet das Wort "rundfliegen" ein. Brummend wie ein kleines Flugzeug fliegt das R mit den anderen Buchstaben im Schlepptau um ein Rechteck, auf dem "Himmel" geschrieben steht. Schließlich taucht das Wort ein und verschwindet. Schnitt. Wir lesen den Satz: "Sie sterben wie die Fliegen". Schwarze summende und schwirrende Fliegen verwandeln sich plötzlich in stumme weiße Totenköpfe. "Ich wollte, dass die Wörter das machen, was sie aussagen", erklärt die 14-Jährige ihr Projekt. Wie die 19 anderen Mitschüler auch hat sie ihr kleines multimediales Kunststück auf dem eigenen Laptop entworfen und mit Hilfe einer speziellen Software umgesetzt.
Die 8a der Walddörfer Gesamtschule ist eine der sieben Hamburger Notebook-Klassen und Teilnehmerin am bundesweiten Neue Medien-Projekt "SEMIK". Der Name steht für die "Systematische Einbeziehung von Medien, Informations- und Kommunikationstechnologien in Lehr- und Lernprozesse". In Hamburg liegt der Schwerpunkt auf der Entwicklung von Unterrichtskonzepten - vornehmlich für die Sekundarstufe I. Die Kosten für die 6.000 Mark teuren Notebooks je Schüler tragen Land und Bund gemeinsam.
"Ich will versuchen, die Schüler mit den Laptops zu mehr Selbstständigkeit und Projektarbeit anzuhalten", erläutert Klassenlehrerin Lessing ihr Hauptlehrziel. Dafür nutzt sie in der Regel keine vorgefertigten Lernprogramme - gute gäbe es noch zu wenige -, sondern entwickelt gemeinsam mit den Schülern eigenes Unterrichtsmaterial.
Im Englischunterricht zum Beispiel bereitet ihre Klasse zurzeit eine CD-Rom über Mensch, Tier und Land in Australien für eine Mitschülerin vor, die demnächst dorthin auswandert. "Die Schüler üben in diesem Projekt nicht nur englische Vokabeln und eignen sich landeskundliches Wissen an, nebenbei lernen sie, Informationen aus dem Internet zu ziehen, Bilder zu scannen, Texte statt in Hefte in Dateien zu schreiben und schließlich in einem Dokument abzuspeichern", fasst Lessing die Unterrichtsziele zusammen. Besonders positiv bewertet sie die damit verbundene höhere Eigenverantwortung und das projektorientierte Arbeiten der Schüler. Sie gebe der Klasse deshalb häufig Aufgaben vor, die mit Hilfe von Nachschlagewerken auf CD-Roms, von Internet und Büchern in kleinen Teams bearbeitet werden müssen.
"Im Grunde ist der Computer nur ein Medium neben anderen", meint Mathias Eggert, Lehrer einer Laptop-Klasse in der Hamburger Grundschule Öjendorfer Damm. Er glaubt nicht an das Allheilmittel Internet gegen Bildungsnotstand und mangelnde Schülermotivation. Allerdings sei der Umgang mit dem Computer heutzutage eben eine Schlüsselqualifikation und müsse den Kindern frühzeitig vermittelt werden. Die zunehmend als neue "elementare Kulturtechnik" neben Schreiben, Lesen und Rechnen geforderte informationstechnologische Grundausbildung (ITG) haben seine Kinder bereits frühzeitig während einer mehrwöchigen Einführungsphase gelernt, und der Computer wird von Anfang an spielerisch im Unterricht mit verwendet (Beispiele unter www.shuttle.de/hh.soeda). Aber er plädiert für einen sinnvollen, das meint, effizienten Einsatz von Neuen Medien. "Was nützt es, meine Kinder bei einem Fremdwort erst umständlich den Computer hochfahren zu lassen, eine CD-Rom einzulegen, um dann endlich die passende Übersetzung zu finden?" In solchen Fällen hätten Wörterbücher, Duden und Nachschlagewerke weiterhin ihre Berechtigung. Und es gehe um mehr als nur technisches Können.
"Im Zeitalter der Informations- und Kommunikationstechnologien werden die Kinder mit Informationen zugeschmissen. Wir helfen ihnen, sich in der Fülle zurecht zu finden, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, Zusammenhänge zu verstehen", beschreibt Ines Lessing eine zentrale Aufgabe beim Umgang mit Neuen Medien. Und obwohl ihr die Schüler an technischem Wissen oft weit voraus seien, sei nach wie vor sie diejenige, die auf Grund von Erfahrung, Wissen und pädagogischer Befähigung den Unterricht lenke und inhaltlich gestalte. Großes Plus: Durch die häufige Gruppen- und Einzelarbeit sei es möglich, besser auf unterschiedliche Lernniveaus der Jungen und Mädchen einzugehen.
Die Gefahr, dass Lehrer eines Tages überflüssig werden könnten, sieht Lessing ebenfalls nicht. Vielmehr wandele sich langsam ihre Position in der Klasse von der "Belehrenden" zur "Moderatorin". Statt vorne an der Tafel frontal zu unterrichten, trockenes Wissen bloß weiter zu geben, würde sie dieses nun gemeinsam mit ihrer Klasse erarbeiten. Den guten alten Frontalunterricht nutzt sie immer noch: als Pause für sich und ihre Schüler, sowie um in Ruhe Grundwissen oder Vokabeln zu vermitteln.
Ein Problem mit dem multimedialen Unterricht sieht die 46-Jährige vor allem in der Notengebung. Wie die im Zusammenhang mit Notebook, Scanner und digitaler Kamera erbrachten Leistungen gerecht zu bewerten sind, wissen weder sie noch der Hamburger SEMIK-Projektleiter Michael Valendor. Es fehle an geeigneten, mit anderen Ländern abgestimmten Leistungs- und Bewertungskriterien. Alte Lernziele ohnehin überladener Lehrpläne, das fächerspezifische Notensystem, aber auch die klassische Schulstunde von 45 Minuten müssten für eine Arbeit mit neuen Medien dringend neu überdacht werden. Lessing wehrt sich zudem dagegen, den Kinder die klassische Menge an Vokabeln abzuverlangen und ihnen in der gleichen Zeit Projektarbeit, technologisches Grundwissen und auch noch Wissensmanagement beizubringen: "Das überfordert bloß."
Die Anschaffung eines persönlichen Laptops für alle Schüler und Schülerinnen, wie sie Bildungsministerin Edelgard Bulmahn für das Jahr 2006 stolz angekündigt hat, wird - da sind sich die Lehrer Eggert und Lessing einig - für die Zukunft noch das kleinste Problem sein. An vielen Schulen gibt es immer noch keine technische Grundausrüstung, kein Geld für Folgekosten wie Reparaturen und die ständige Weiterentwicklung von Soft- und Hardware. Es fehle an Lehrer-Fortbildungen und an Zeit, sagen sie, und vielfach auch an Einsicht und Bereitschaft, sich überhaupt den neuen technischen Möglichkeiten und Notwendigkeiten zu stellen.
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