Aufregend wie eine Klassenreise sei der Einzug in den Bundestag, so beschreibt es eine junge Sozialdemokratin. Und genauso wirkt es auch, als die 49 Jusos, die am 26. September ins Parlament geschwemmt worden sind, drei Tage später einen der mächtigsten Räume der Demokratie betreten. Fröhlich blicken sie in die Kameras: divers, jung, weiblich, mit Migrationsgeschichte. Repräsentation scheinen sie zu können. Werden sie auch inhaltlich etwas bewegen?
Immerhin stellen die Jusos jene Anzahl an Abgeordneten, die eine Ampelkoalition für die Mehrheit im Parlament benötigt. Genug Potenzial, um der eigenen Fraktion und vor allem der FDP Zugeständnisse abzuringen. Nicht zuletzt wurden sie, ob direkt oder über die Landeslisten, auf dem Ticket der sozia
der sozialen Gerechtigkeit gewählt. Damit wurde die Parlamentarische Linke, der linke Flügel in der Fraktion, deutlich gestärkt, zumindest potenziell.Lange Zeit sah es um den linken Flügel in der SPD-Fraktion nämlich düster aus. Zwar gehörte die Mehrheit der Abgeordneten ihm stets an, doch das Machtzentrum bildeten wie sonst in der Partei die Pragmatiker und der rechte Flügel in Gestalt des Seeheimer Kreises. Die Große Koalition band die Linken stets an den geltenden Fraktionszwang, was über Jahre hinweg ein angepasstes Abstimmungsverhalten eingeschliffen hat. Kritische Stimmen wurden leiser und seltener in der Fraktion; höchstens versuchte man ab und an, die sozialdemokratische Handschrift in der Koalitionsvereinbarung zu betonen.Mit den Neuen bietet sich nun eine Chance, die bisher relativ machtlose Linke innerhalb der SPD neu zu beleben. Auch bei der Organisation des linken Parteiflügels, dem Forum der Demokratischen Linken (DL21), kündigte sich am vergangenen Wochenende ein Führungswechsel an. Hilde Mattheis gab nach zehn Jahren den Bundesvorsitz an drei jüngere Genossinnen und Genossen ab. Sie war in der Zeit des Vorsitzes zur Fürsprecherin einer Option auf linke Mehrheiten geworden und vertrat diese Position gegen jede Wahrscheinlichkeit im Parlament. Ihre Nachfolger treten ein schwieriges, aber lohnenswertes Erbe an.Zeigen die Jusos klare Kante?Kevin Kühnert, der als Anführer gegen die Groko in der Partei groß geworden ist, hat seitdem eine gewaltige Transformation hingelegt: vom Enteigner von BMW zum Scholz-Unterstützer in unter drei Jahren. Die Dokumentation des NDR Kevin Kühnert und die SPD zeigt sehr deutlich, wie er sich vom linken Juso-Chef über die Unterstützung für ein linkes Vorsitzendenduo bis hin zur eigenen Bundestagskandidatur mauserte. Kühnerts Rolle ist weiterhin strategisch zentral, auch wenn nicht mehr als Juso-Vorsitzender. Ihm könnte nun die Rolle zufallen, einen linken Machtblock innerhalb der Fraktion anzuführen. Oder aber ihn in Scholz’ Sinne zu disziplinieren.Kühnerts Nachfolgerin Jessica Rosenthal zieht ebenfalls in den Bundestag ein, was eigentlich im Widerspruch zum klassischen Rebellentum der Jusos steht. Fest steht: Sollten die Jusos nicht schon in den ersten Wochen klare Kante gegen die FDP zeigen, werden sie es in der gesamten Legislatur nicht mehr tun. Zu stark sind die Wirkkräfte innerhalb einer Regierung, wenn man sich ihnen nicht von Anfang an machtstrategisch und gemeinsam widersetzt.Ein wichtiger Machtfaktor könnte Rolf Mützenich werden, der sich als außenpolitischer Sprecher und in Rüstungsfragen profilierte und als Fraktionsvorsitzender Akzente setzte (der Freitag 20/2020). Er wurde wiedergewählt, könnte aber bald Bundestagspräsident werden. Er und Lars Klingbeil sind integrierende Persönlichkeiten, die den zunächst fragilen Scholz-Kurs eigentlich erst in Fraktion und Partei ermöglicht haben. Sie werden weiterhin versuchen, dieses Gebilde zu erhalten, führte es im Wahlkampf dank der Schwäche von CDU und Grünen immerhin zum Erfolg. Und Erfolg diszipliniert auch diejenigen, die anfangs noch das sozialdemokratische Herz am linken Fleck haben mögen.Alles steht und fällt nun mit Olaf Scholz. Setzt er sich in einer Ampelkoalition durch und wird Kanzler, werden vermutlich auch die linken Abgeordneten folgen. Und das, obwohl Scholz nie einen Hehl daraus gemacht hat, nur ungern ein Mitte-Links-Bündnis anzuführen. Vielmehr hatte er sich in der Rolle des Ober-Merkelianers breit gemacht und damit in der Partei und letztlich auch bei der Bevölkerung gepunktet. Von ihm erwartet man keine großen Sprünge. Er verspricht eigentlich genau das Gegenteil: viele kleine Schritte, bis zur Unkenntlichkeit als Politik getarnt. Warum sollte er diesen Kurs verlassen?Ein mögliches Druckmittel wäre, über den Eintritt in eine Ampelkoalition die Parteibasis entscheiden zu lassen. Diese hat sich mit der Wahl von Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken erst vor anderthalb Jahren einigermaßen rebellisch gezeigt. Das Vorsitzendenduo wurde erfolgreich in den Apparat integriert, weil es selbst keine eigene Machtbasis aufgebaut hat. Dass die Basis ihre Zustimmung gibt, ist wahrscheinlich, aber nicht sicher. Denn sie könnte am ehesten ein Gespür dafür haben, dass eine „Ampel“ nicht das progressive Bündnis ist, das es vorzugeben scheint.Holt man sich die FDP ins Boot, fallen nämlich die wichtigsten Versprechen des Wahlkampfs einer neoliberalen Klientelpartei zum Opfer. Einzig der Mindestlohn als „günstigste“ Option wäre vermutlich als symbolischer Sieg durchzusetzen. Eine Vermögenssteuer, die Olaf Scholz ohnehin nie wirklich wollte, oder eine Bürgerversicherung, die Karl Lauterbach schon vor Koalitionsverhandlungen sicherheitshalber selbst versenkt hat, wären passé. Dem linken Flügel aber müsste es durch die neu gewonnene Stärke eigentlich gelingen, genau diese Kernthemen nach vorn zu spielen. Auch die Frage von öffentlichen Investitionen, jene des Aufbaus der Infrastruktur, könnte den Liberalen anheim fallen. Die Frage ist also, ob sich die eben konstituierte SPD-Fraktion nur jung und divers gibt oder ob sie die Wahlversprechen ansatzweise einhalten kann.Vorsicht, Lindner ist gewieftDie Jüngeren werden schnell erkennen, dass das, was sie im Wahlkampf unter dem Slogan vom „Respekt“ mit Scholz nach vorn stellten, schnell hinten runterfallen wird, wenn es um Geld und Ministerposten geht. Gerade die direkt gewählten Abgeordneten, vor allem jene aus dem Osten, sollten es sich zweimal überlegen, ob sie das neu gewonnene oder zurückeroberte Vertrauen leichtfertig verspielen wollen. Kandidatinnen wie Anna Kassautzki, die den Wahlkreis von Angela Merkel gewann, oder Erik von Malottki, der sich gegen Philipp Amthor direkt durchsetzte, stehen für ein wiedergewonnenes Selbstbewusstsein im Osten, also für mehr als innerparteiliches Kleinklein. Ihre Fallhöhe ist allerdings auch entsprechend hoch. Verlieren sie und die Fraktion das linke Profil wieder, könnte das eine Rückkehr zur Talfahrt der Sozialdemokratie bedeuten.In den Bundestag einziehen ist eben doch keine Klassenreise, sondern ein harter Kampf um Interessen von Tag eins. Einfacher wäre es gewiss, sich zunächst in der Opposition zurechtzufinden und einen linken Kurs zu stärken. Doch Christian Lindner und die FDP werden als Königsmacher ihre Rolle in der Verhandlung nutzen, wenn sie klug sind. Die Frage ist, ob die Neuen in der SPD-Fraktion in dem Spiel mithalten können.
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