Finanzen Das FDP-Projekt zum Einstieg in die kapitalgedeckte Rente ist eine gefährliche Mogelpackung. Die Journalistin Ines Schwerdtner über den geringen Nutzen der Aktienrente, die in Wahrheit nur die Macht des Kapitals stärkt
Deutschlands Jüngste: Für sie braucht es ein solidarisches Rentensystem
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In Frankreich gehen derzeit Millionen Menschen auf die Straße, weil das Renteneintrittsalter erhöht werden soll. Tatsächlich stecken die westlichen Industrien mit ihrer Überalterung in der Krise: Immer weniger Einzahlende stehen immer mehr Rentnern gegenüber. Deshalb muss das System über kurz oder lang reformiert werden, in Frankreich wie in Deutschland.
Doch wie und auf wessen Rücken das geschieht, ist immer eine politische Entscheidung. In Deutschland drückt sich die Ampelkoalition vor den entscheidenden Fragen: Denn bei der Rentenfrage geht es in Wahrheit vor allem um Fragen, die auf den ersten Blick mit den Zahlungen für Menschen im Ruhestand gar nichts zu tun haben: um die Produktivität einer Gesellschaft, um die Arbeitsteilung –
g – und erst dann auch um ein insgesamt gerechtes Umlagesystem für die Rente.Statt einer wahnsinnig unpopulären Reform, wie sie Präsident Emmanuel Macron in Frankreich durchzudrücken versucht, bei der vor allem jene Menschen länger arbeiten sollen, die sowieso schon seit jungen Jahren und oft körperlich hart malochen, setzt die Ampelkoalition in Deutschland halbherzig, aber nicht minder gefährlich das FDP-Wahlprogramm um. Sie will ein sogenanntes Generationenkapital einführen. Der wolkige Name bezeichnet das Vorhaben, dass der Staat als eine weitere Säule zur Finanzierung der Renten eine Aktienrente einführen und das bisher bestehende Umlageverfahren ergänzen will. Bisher müssen die Lücken der Rentenfinanzierung nämlich aus einem Bundeszuschuss ausgeglichen werden.Die Aktienrente der Bundesregierung, eine MogelpackungDiese kapitalgedeckte Rente, die nun die umlagebasierte ergänzen soll, kennt im Grunde zwei Formen: die der privaten Pensionsfonds wie in den USA oder in Schweden oder die der staatlichen Pensionsfonds wie in Norwegen. Im Wahlprogramm der FDP stand die Aktienrente nach dem Vorbild der Schweden, wo die Einzelnen entscheiden können, ob sie einen gewissen Prozentsatz ihrer Einzahlungen in den Rententopf an den Finanzmarkt bringen und von den erhofften Renditen profitieren können.Herausgekommen ist im Kompromiss der Ampelregierung jedoch eine Aktienrente nach dem norwegischen Vorbild mit einem Staatsfonds, der seinerseits durch Aktien und Anleihen zur Finanzierung der Renten beitragen soll.Der Witz an dem deutschen Modell: Während der norwegische Staatsfonds gestützt durch das dortige Öl- und Gasvermögen einen Umfang von einer Billion Dollar beträgt, setzt die Bundesregierung zunächst auf einen Fonds von zehn Milliarden Euro, was das Finanzierungsproblem selbst bei Renditen von sechs und mehr Prozent bei Weitem nicht lösen wird. Sie sind, selbst unter besten Bedingungen, ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Aktienrente, die nun eingeführt wird, ist im Wesentlichen eine Mogelpackung, die dazu dient, ein Wahlversprechen der Liberalen einzulösen, bei dem Grüne und SPD ohne große Konsequenzen aus der Nummer herauskommen. Mit Massenprotesten ist bei der Aktienrente deshalb nicht zu rechnen. Viel zu technisch ist diese Änderung, die kaum jemandem richtig erklärt wird.Diejenigen, die für die Aktienrente werben, sprechen von einer Streuung der Risiken. Man investiere in aufsteigende Volkswirtschaften, durch die Diversifizierung bestehe kaum ein Verlustrisiko für die Anleger. Kritikerinnen und Kritiker hingegen betonen die Krisenanfälligkeit, wie sie während der Finanzkrise, als die Börsen auch mal um zehn oder 20 Prozent abstürzten, und beim Kollaps der privaten Rentenfonds ersichtlich wurde. Doch das direkte Risiko, also die Vorstellung, die eigene Rente in einem Finanzcasino zu verspielen, ist bei einem staatlichen Fonds tatsächlich nicht das größte Problem. Schwerer wiegen die langfristigen Folgen, die eine schrittweise Finanzialisierung der Renten und unserer ganzen Daseinsvorsorge haben. Ihre Einsätze im FinanzcasinoEine gerechtere Rente ohne Anleihen ist möglichDie Aktienrente löst nämlich nicht nur keine Probleme, sie schafft sogar neue. Das Problem ist nicht, dass der Staat die Renten verzockt und nichts mehr davon übrig bleibt, sondern, dass er aktiv daran teilnimmt, den Finanzmarkt weiter aufzublähen. Denn mit der Aktienrente wird trotz der vergleichsweise mickrigen Summe, die eingesetzt wird, die Tür für eine Art der Privatisierung aufgestoßen, die wir bereits aus dem Riester-System kennen und die vor allem dafür gesorgt hat, dass private Rentenversicherer von staatlichen Subventionen profitieren. Mehr Gerechtigkeit brachte das nicht, im Gegenteil.Während das bestehende Umlageverfahren noch relativ strikt das Geld der Einzahlenden weitergibt und damit im Umlauf hält, folgt es ausschließlich dem Zwang, die Ansprüche der Empfänger zu bedienen. Der Staat vermittelt zwischen den Einzahlenden und den Ansprüchen der Rentner und Rentnerinnen. Reicht das Geld nicht, könnte man im existierenden Umlageverfahren statt der Zuschüsse darüber nachdenken, die Zahl der Einzahlenden zu vergrößern – etwa Politiker, Beamte oder Selbstständige in eine echte Bürgerrente einzahlen zu lassen oder die Beitragsbemessungsgrenze abzuschaffen. Jedenfalls hat das Umlageverfahren Stellschrauben, an denen gedreht werden könnte, um es effektiver und gerechter zu machen. Es geht schließlich dabei um die Verteilung der bestehenden Vermögenswerte in der Gesellschaft.Das Verfahren der kapitalgedeckten Rente folgt dagegen einer gänzlich anderen Logik, nämlich dem Zwang des Profits. Institutionelle Kapitalsammelstellen wie Pensionsverwalter sind heute die größten Treiber der Finanzialisierung, was bedeutet, dass im Interesse der Leistungsempfänger und vor allem der Hedgefonds- und Vermögensverwaltungs-Manager die Renditen maximalisiert werden müssen. Weil es weltweit immer mehr Pensionsfonds gibt, führt dies zur einer Inflation der Vermögenspreise. Die als „sicher“ geltenden Anlageklassen werfen immer weniger Rendite ab. Kurz: Je mehr einsteigen und profitieren wollen, desto weniger profitabel wird das Geschäft.Dieser Logik folgend wächst der Druck auf Pensionsfonds, auch den Einstieg in Anlageklassen mit höheren Renditen und damit höheren Risiken zu verfolgen. So haben vor allem amerikanische Pensionsfonds in den vergangenen Jahren vermehrt in Hedgefonds und Private Equity Fonds investiert. Diese „alternativen“ Anlageklassen wie Private-Equity-Firmen sind dafür bekannt, dass sie Geld in Unternehmensübernahmen leiten oder in Immobilien, Krankenhäuser und Pflegeheime auf der ganzen Welt investieren.Profiteure sind Unternehmen wie BlackstoneAuf eine absurde Art und Weise investieren diejenigen, die in die Rentenkasse einzahlen, dann in den Ankauf der Wohnungen, in denen sie möglicherweise sogar selbst wohnen. Das bedeutet: Zum Preis der Rentenfinanzierung gibt es womöglich schlechtere Löhne, höhere Mieten oder eine schlechtere Gesundheitsversorgung. Davon profitieren wiederum nur Unternehmen wie Blackstone, die zu großen Playern herangewachsen sind und damit eine riesige Marktmacht auf sich konzentrieren. Im Freitag (Ausgabe 10/2023) war jüngst nachzulesen, wie Pensionsfonds, die für ihre Anlagen Rendite suchen, Mietern in Städten wie Kopenhagen das Leben schwer machen, weil sie deren Wohnungen in ein Spekulationsobjekt verwandeln.Unternehmen wie Blackstone und andere tragen insgesamt zum Wachstum eines Asset-Management-Sektors bei, der seinerseits die Ungleichheit global vergrößert und auf den man politisch im Grunde kaum mehr Einfluss nehmen kann. Die Macht des Finanzmarktes im Verhältnis zur Realwirtschaft wächst. Zugleich lobbyieren genau diese Firmen dafür, immer mehr Bereiche des Lebens zu kapitalisieren. Eines der hierzulande bekanntesten Gesichter, das des früheren Aufsichtsratschefs des Vermögensverwalters Blackrock in Deutschland, sitzt als Fraktionschef der CDU wieder im Bundestag. Ginge es nach diesem – Friedrich Merz – oder der FDP, würden noch viel höhere Milliardensummen in die Aktienrente fließen.Die Aktienrente kommt als Verheißung daher, sie bedeutet in Wahrheit aber eine weitere Verschiebung der Macht des Kapitals gegenüber der Arbeit. Denn sie ändert grundsätzlich Machtverhältnisse für Prozesse, die – einmal angestoßen – schwer wieder rückgängig zu machen sind. Auch das kennen wir aus vorigen Privatisierungswellen der öffentlichen Daseinsvorsorge: Wohnungen oder die Energieversorgung wieder in die öffentliche Hand zu überführen, ist teuer und schwierig umzusetzen.Genau deshalb müsste der Protest gegen das „Generationenkapital“ größer sein. Es ist der Türöffner für ein staatlich gestütztes System, das Renditen aus den Bereichen Wohnen, Pflege, Arbeit und Gesundheit zieht und damit genau das Gegenteil von der Generationengerechtigkeit, die es verspricht. Schlimmer noch: Es verbaut damit systematisch die Möglichkeiten, wirklich ein solidarisches Rentensystem zu bauen, das es so dringend bräuchte.Placeholder infobox-1