Grüne Lügen

Kapitalismus Wer das Klima retten will, muss auch die Systemfrage stellen
Ausgabe 27/2021
Have a nice day, ich treibe dann mal weiter und erwürge ein paar Quallen
Have a nice day, ich treibe dann mal weiter und erwürge ein paar Quallen

Foto: Andrey Nekrasoc/Barcroft/Getty Images

Es sah so aus, als würde sich im Golf von Mexiko das Tor zur Hölle öffnen und jeden Moment ein flammender Dämon aus dem Ozean steigen. Zumindest wirkte die explodierte Gas-Pipeline mit der brodelnden Glut eher wie aus einem Fantasy-Film entsprungen, statt ein realer Unfall zu sein. Dabei handelt es sich um einen Vorfall von vielen. Ähnliche Bilder gab es 2010, als ebenfalls im Golf von Mexiko die Bohrinsel „Deep Water Horizon“ loderte. Im rumänischen Navodari am Schwarzen Meer gab es kürzlich ebenfalls eine Explosion in der landesgrößten Ölraffinerie. Auch hier gingen die Fotos der am Strand spazierenden Badegäste und der grauen Rauchwolke im Hintergrund um den Globus.

Es ist der ganz normale Wahnsinn in einer Welt, in der die kapitalistische Produktionsweise vorherrschend ist. Auf der Suche nach Profiten bohren Konzerne tief in die Erde, suchen nach seltenen Metallen, verbrauchen Unmengen an Wasser, roden Wälder oder verpesten den Boden. Staaten und Unternehmen treten dabei in unterschiedlichem Maße aggressiv auf, doch im Grunde arbeiten sie nach dem gleichen Prinzip: Es muss sich lohnen. Und solange es sich lohnt, im Meer nach Gas oder Öl zu bohren, wird auch weitergebohrt, wird es weiter zu Unfällen kommen.

Seit einigen Jahren jedoch – und durch die globale Klimabewegung beschleunigt – kommen immer mehr zu der Einsicht, dass diese Art Kapitalismus, die auf fossilen Brennstoffen beruht, nicht ewig überlebensfähig ist. Die Ressourcen sind endlich. Firmen nehmen Begriffe wie Nachhaltigkeit oder Klimaneutralität in ihre Portfolios auf. Selbst die CDU macht es in ihrem Wahlprogramm. Zum einen zur Werbung, weil es sich lohnt, bei Kunden oder Wählern verantwortungsvoll und vorausschauend aufzutreten. Zum anderen aus der Einsicht heraus, dass weite Teile der industriellen Produktion, seien es Autos oder Strohhalme, radikal verändert werden müssen, damit es sich weiter rechnet. Der fossile Kapitalismus kommt an sein Ende – und alle wissen es.

Es ist der rationale Teil eines ansonsten irrationalen und anarchischen Systems. Um weiter Profit zu machen, kommen Unternehmen nicht darum herum, sich mindestens grün zu geben, wenn nicht gar tatsächlich ihre Produktion umzustellen. Denn sobald sich der Kampf um die endlichen Ressourcen zuspitzt, möchte niemand das Nachsehen haben. Die Blockade des Suezkanals durch einen quer liegenden Tanker zeigte die Verwundbarkeit dieses globalen Liefersystems auf wunderbare Weise: Werden die Nadelöhre der Logistik blockiert, gibt es am Ende auch nicht mehr alle Produkte im Supermarkt nebenan. Allein zur eigenen Überlebensfähigkeit benötigen Unternehmen deshalb auch regionale oder nachhaltige Konzepte jenseits der global vernetzten Just-in-time-Produktion.

Dennoch haben weder einzelne Unternehmen noch einzelne Konsumentinnen die Möglichkeit, durch eigene Entscheidungen an diesem System etwas zu verändern. Solange es Abnehmer für Erdöl oder Schweineschnitzel gibt, wird es einen Markt geben, der diesen Bedürfnissen nachkommt. Erst wenn kollektiv entschieden würde, darauf weitgehend zu verzichten, bliebe das Öl in der Erde oder die Massentierhaltung wäre abgeschafft. Das ist allerdings unrealistisch in einer Welt, die nicht gerade auf kollektiven und rationalen Entscheidungen fußt, sondern auf den Interessen einiger weniger.

Preise regulieren reicht nicht

Was diejenigen, die vom heiligen Land des grünen Kapitalismus schwärmen, vergessen: Die Klimakatastrophe ist nicht nur durch die Bepreisung von CO₂ aufzuhalten, auch wenn klimapolitische Debatten sich stark darauf konzentrieren. Das Gleiche gilt für die Benzinpreis-Debatte. Viele sind davon überzeugt, durch Preise regulierend auf die Nachfrage reagieren zu können. Es ist im Sinne der Profiteure dieser Wirtschaftsweise, alle anderen glauben zu machen, mit Marktmechanismen allein könne man das Problem beheben.

Doch selbst im positivsten Szenario, in der es anpassungsfähige kapitalistische Regime schaffen, bis 2030 keine Emissionen mehr in die Luft zu pusten oder das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen (was bereits heute unrealistisch ist, aber nehmen wir es einmal an), wäre die Katastrophe nicht aufgehalten. Denn die Verwüstung unserer Lebensgrundlagen hat weitaus mehr Ursachen als Kohlenstoffdioxid in der Atmosphäre. Es ist der Müll in den Meeren, das Gift in den Böden, Monokulturen und Resistenzen gegen Antibiotika, das Artensterben. Man muss mittlerweile keine Klimaforscherin mehr sein, um zu wissen, dass wir uns auf Kipppunkte zubewegen. Punkte also, an denen wir der Natur irreversibel Schaden angerichtet haben.

Wirklich klimaneutral zu werden, würde für die Industriegesellschaften einen massiven Umbau der Industrie, der Energiegewinnung bedeuten, ein Umdenken in der Landwirtschaft, im Verkehr, beim Wohnen und in unserer ganzen Lebensweise. Wer glaubt, diese Mammutaufgabe den Marktkräften überlassen zu können, glaubt auch an den Trickle-Down-Effekt. In Wahrheit ist es jedoch so, dass jede soziale wie klimapolitische Errungenschaft im Kapitalismus hart erkämpft werden muss. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz beispielsweise musste ebenso langwierig und unter schwierigen Bedingungen durchgeboxt werden wie jetzt Forderungen eines Green New Deal. Derartige staatliche Projekte schaffen zwar den Kapitalismus noch nicht ab, sie sind im besten Fall aber der Zugriff der Linken, um das Schlimmste zu verhindern. Trotz jeder Anstrengung, die richtig und notwendig ist, um unsere Lebensgrundlagen zu schützen, kommen wir nicht umhin, darüber hinaus die existierende Produktionsweise zu überwinden und durch eine zu ersetzen, die nicht nach der Logik der Profitmaximierung funktioniert. Denn in dieser Logik ist die Ausbeutung von Mensch und Natur fest eingeschrieben.

Karl Marx bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt: „Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“ Einen Kapitalismus, der nicht seine eigenen Grundlagen irgendwann untergräbt, gibt es nicht. Deshalb ist der grüne Kapitalismus ein Widerspruch in sich, wenn er nicht nur bedeuten soll, grün angemalt zu werden. Wenn grün wirklich nachhaltig und überlebensfähig bedeuten soll, dann ist das im Kapitalismus nicht zu machen, selbst wenn wir die fossilen Brennstoffe hinter uns lassen sollten.

Avocados auf Toast

Zwar werden sich dann vielleicht keine flammenden Höllentore mehr im Ozean öffnen, doch es werden weiter Menschen zu unwürdigen Bedingungen arbeiten müssen. Vielleicht werden nicht mehr die Avocados geerntet, die alle im globalen Norden auf ihren Toasts essen wollen, dafür dann eine andere Frucht. Nur weil der Kapitalismus sich verändert, heißt das nicht, dass er seine Grundlage aufgibt. Die Ausbeutung verschiebt sich auf andere Bereiche, doch sie wird niemals abgeschafft werden, sonst würde das System zusammenbrechen. Und das werden diejenigen, die davon profitieren, mit allen Mitteln zu verhindern versuchen.

Naomi Klein stellte uns deshalb schon 2016 vor die Entscheidung: Kapitalismus versus Klima. Ihre Zuspitzung baut auf der Tatsache auf, dass wir das Klima und damit uns nur retten können, wenn wir uns gegen den Kapitalismus stellen. Nicht plump, sondern mit einem Plan, der die bestehenden Ressourcen besser einsetzt und trotzdem die Bedürfnisse der Menschen ins Zentrum stellt. Wie diese Vision heißt, ist nachrangig. Ihr muss die Einsicht vorangestellt sein, dass der grüne Kapitalismus eine Lüge ist.

Andernfalls erleben wir noch weitaus Dystopischeres als zu trockene Sommer. Nahezu jeder Sci-Fi-Film zeigt doch, wie Planeten aussehen, die unbewohnbar werden. Da gibt es dann wie in Blade Runner 2049 eine Welt mit fliegenden Autos und Partnerinnen aus Hologrammen, eine Welt mit unbewohnbaren Wüsten und Unterwelten des Proletariats, in denen Sklaven arbeiten. Das scheint übertrieben, doch wir stören uns auch nicht daran, dass die reichsten Menschen eher ins All fliegen, als den weltweiten Hunger zu beenden. Was sollte uns dazu bewegen, zu glauben, dass die gleichen Menschen im grünen Kapitalismus dafür sorgen würden, dass es allen besser geht? Es führt kein Weg daran vorbei, es selbst in die Hand zu nehmen. Sonst wird auch der grüne Kapitalismus zur Dystopie.

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