"Haarscharf an der Grenze des Sagbaren"

Journalismus Ein Mediensalon diskutiert den Umgang von Journalistinnen und Journalisten mit der AfD

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Serviervorschlag
Serviervorschlag

Foto: Sean Gallup/Getty Images

"Es ist kompliziert" beschreibt den Beziehungsstatus zwischen der Alternative für Deutschland (AfD) und den Medien ganz gut. Mit beleidigenden und rassistischen Tweets provozieren Mitglieder der Partei immer wieder – und Medien berichten. Während Journalistinnen und Journalisten einerseits mit dem Vorwurf konfrontiert werden, den Aufstieg der AfD befeuert zu haben, wird ihnen vonseiten dieser Partei häufig mangelnde oder falsche Berichterstattung vorgeworfen. Solche Schwierigkeiten, aber auch Strategien im Umgang mit der AfD haben Journalistinnen, Journalisten und Autoren beim Mediensalon im Berliner taz-Café diskutiert. Zu jedem letzten Mittwoch im Monat laden die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union dju in ver.di und meko factory dort zu Diskussionsrunden rund um die Medienbranche.

Fair und offen im Umgang

"Mein Ansatz ist, erstmal offen auf die Leute zuzugehen", sagt Tagesspiegel-Redakteurin Maria Fiedler, die über die AfD und Innenpolitik berichtet. Wie bei anderen Parteien auch habe sie zuerst Büros angeschrieben und zu Treffen gebeten, um Hintergründe zu verstehen. Genauso handhabt es Matthias Kamann, Politikredakteur der WELT. Auf der menschlichen Ebene funktioniere das ganz gut, bestätigt er. Diejenigen AfD-Politikerinnen und -Politiker, die sich auf Treffen einlassen seien im Umgang sogar ganz nett. Gleichzeitig betonen Matthias Kamann und Maria Fiedler, mit den Positionen und Äußerungen der AfD aufmerksam und kritisch umzugehen. Fairness, Nüchternheit und Distanz sind Grundsätze, die die beiden im Umgang mit der AfD – wie mit allen anderen Parteien – vertreten.

Ein Unterschied zu anderen Parteien liege darin, dass über interne Vorgänge wenig nach außen dringe, erzählt Matthias Kamann. Programmatische Entscheidungen fänden hinter verschlossenen Türen statt, während andere Parteien öffentlich darüber debattierten.

Natürlich stelle sich im Redaktionsalltag immer wieder die Frage: "Über welches Stöckchen wollen wir springen?", sagt Maria Fiedler. Einige AfD-Politikerinnen und -Politiker provozierten klug mit Aussagen "haarscharf an der Grenze des Sagbaren" und sorgten so bewusst für Aufmerksamkeit. Auch Personalstreitigkeiten und inhaltliche Weiterentwicklungen der noch jungen Partei seien Gründe, zu berichten.

Die Kränkung der eigenen Autorität

Etablierten Medien gegenüber scheint sich die Partei also immer noch häufig verschlossen zu geben – oder sogar offen feindselig, wie die Wortmeldung eines Deutschlandfunk-Reporters aus dem Publikum zeigt. Beatrix von Storch habe ihm vor einem Interview gesagt, sie spreche mit ihm – solange der öffentlich-rechtliche Rundfunk noch existiert.

Gleichzeitig scheinen die AfD und ihre Sympathisantinnen und Sympathisanten eine parallele Öffentlichkeit zu schaffen, indem sie beispielsweise auf Soziale Netzwerke setzen. Eine Überlegung sei sogar, einen eigenen Newsroom aufzubauen, berichtet Matthias Kamann. Für den Journalismus, einen "textgeleiteten Autoritätsberuf", wie es der Redakteur selbstironisch formuliert, sei diese Situation eine Kränkung. Es vergleicht das mit dem Gefühl eines Lehrers, wenn das Curriculum plötzlich vom Klassenkasper bestimmt werde. Die Autorität wird nicht nur in Frage gestellt, sondern gezielt angegriffen. Bei der Flut von persönlichen und beleidigenden Kommentaren im Internet müsse er sich selbst manchmal ermahnen: "Lass dich davon nicht so ärgern, dass du die Nerven verlierst."

Statt aber ins Jammern zu verfallen, üben die anwesenden Journalistinnen und Journalisten auch Kritik am eigenen Berufsstand. Tatsächlich – so scheinen sich die Diskutanten einig – wurden in der Berichterstattung über die AfD anfangs viele Fehler gemacht. "Die Überforderung war geradezu mit Händen zu greifen", sagt der Historiker Per Leo, der das Buch "Mit Rechten reden" geschrieben hat. Obwohl kein Journalist, sei er von Redaktionen eingeladen worden, um sie zu beraten. Ein Problem sieht er darin, dass Journalistinnen und Journalisten häufig das Gefühl gehabt hätten, die Demokratie retten zu wollen. Das habe zu einer Duellsituation im Umgang mit der AfD geführt – gepaart mit Überheblichkeit und schlechter Vorbereitung.

Matthias Kamann kritisiert eine verbreitete "Zitate-Fledderei", bei der ständig nach besonders krassen Aussagen von AfD-Mitgliedern geforscht werde, um sich darauf zu stürzen. Er fordert stattdessen, zu versuchen, die Dynamik der Partei zu verstehen.

Ist die AfD eine "normale" Partei?

Uneinig ist sich das Podium an diesem Abend bei der Frage der Etikettierung. Christoph Giesa, Autor des Buches "Gefährliche Bürger" kritisiert, dass oft der Begriff Rechtspopulismus verwendet würde, wenn über Rechtsradikale gesprochen werde. "Darin sehe ich eine gewisse Feigheit." Die AfD sei zwar eine demokratisch wählbare Partei, aber im Kern keine demokratische Partei. Ihr Führungspersonal falle immer wieder mit Forderungen auf, die sich gegen das Grundgesetz richten.

Per Leo widerspricht in Hinsicht auf die Wortwahl. Die AfD sei keine "normale" Partei. Sie konstituiere sich durch ihre Opposition zu allen anderen Parteien. "Das ist erstmal ein Alleinstellungsmerkmal." Wie jede erfolgreiche rechte Partei funktioniere sie als Sammlungsbewegung, vereine also viele unterschiedliche Positionen und könne nicht als grundsätzlich rechtsradikal bezeichnet werden. Wichtig sei, diese Situation präzise zu analysieren. "Der Rechtspopulismus ist ein unglaublich schwer zu beschreibendes Phänomen."

Ein lebendes Beispiel für die komplexe Zusammensetzung der Partei bietet ein AfD-Mitglied im Publikum. Er sei aufgewachsen in einem SPD-Haushalt, selbst ehemaliger Grün-Wähler und Kämpfer für die Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe. "Ich bin einer von denen, die Sie als durchgeknallte Rechte bezeichnen", sagt er. Sein Argument für die AfD: Ihr Grundsatzprogramm, bei dem er die meisten Punkte unterschreiben könne. Seine Frage, ob sich die Diskutanten auf dem Podium die Mühe gemacht hätten, dieses zu lesen, erweist sich jedoch als Eigentor. Christoph Giesa und Matthias Kamann bejahen das nicht nur, sondern ergreifen die Chance, um auf Aussagen von AfD-Politikern hinzuweisen, die der Schrift widersprechen. "Liebe Leute, lest mal euer eigenes Grundsatzprogramm", fordert Kamann von solchen Politikerinnen und Politikern. Laut Per Leo habe das Programm prinzipiell wenig mit dem Mobilisierungspotential der Partei zu tun. "Ich halte es für überschätzt", sagt er.

Recherche, Vorbereitung und Reflexivität

Gefordert wird an dem Abend mehrfach, Journalistinnen und Journalisten sollten sich stärker mit Hintergründen und Strategien beschäftigen. Narrative wie das von der "Professorenpartei" gelte es zu entlarven, sagt Christoph Giesa. Solche Narrative hätten der AfD geholfen, sich ein bürgerliches Image zuzulegen, das von Anfang an nicht gestimmt habe. Er plädiert dafür, gut vorbereitet in Interviews zu gehen, sieht aber auch das Problem, dass Medienmachende aufgrund von Zeitmangel immer weniger Möglichkeiten zur Recherche hätten. Auch Stefan Lauer von Belltower.news, einer Plattform der Amadeu Antonio Stiftung, fordert, bei bestimmten Positionen genauer hinzusehen und beispielsweise nachzufragen, was "Remigration" eigentlich bedeute. Hinter vielen Provokationen stecke Berechnung. "Darauf zu reagieren ist schwierig." Die Formulierung von schockierenden Aussagen führe zu einer Verschiebung der Realität – zuvor Unsagbares werde salonfähig.

Grundsätzlich rät Per Leo Journalistinnen und Journalisten dazu, nicht nur die Aussagen der AfD zu thematisieren, sondern auch die Funktionsweise ihrer medialen Verbreitung. Wie und warum etwa verbreiten sich bestimmte Tweets so schnell? "Momente der Reflexivität einbauen", nennt Leo das.

Eine einfache, allgemeingültige Antwort auf alle Fragen kann so ein Abend nicht bieten – aber immerhin einen Moment der Reflexion in einer komplexen Beziehung, die sich so schnell nicht lösen wird.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Inga Dreyer

Freie Journalistin in Berlin. Schreibt über Kultur, Gesellschaft und Politik. Für die Meko Factory berichtet sie über Veranstaltungen.

Inga Dreyer

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