"In Blei denkt man anders"

Digitalisierung Netzwerktreffen young+restless zum Thema Tradition und Transformation

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Wenn junge Leute aus Start-up-Szene, Medienwelt und Kreativwirtschaft zusammenkommen, stehen häufig die Chancen der Digitalisierung im Vordergrund – und die Frage, wie die Welt noch schneller und noch vernetzter werden kann. Bei der November-Ausgabe des Berliner Netzwerktreffens young+restless im Telefónica BASECAMP zum Thema "Digitalisierung vs. Althergebrachtes" war das anders.

Gleich zu Anfang brach eine junge Frau eine Lanze für das Althergebrachte. Lena Naerger von der Kulturprojekte Berlin GmbH erzählte, sie sei Tochter einer Töpferin und eines "Dachziegelbäckers". "In mir schreit es ganz laut: Tradition!" Sie sei in einer kreativen, vom Handwerk bestimmten Umgebung aufgewachsen und habe sich selbst früh für "die kleinste Einheit der Sprache" interessiert: den Buchstaben. An der Fachhochschule Düsseldorf hat sie Kommunikationsdesign studiert und angefangen, eine Leidenschaft für etwas Altmodisches zu entwickeln: den Bleisatz. Bleisatz sei langsam, mühselig – und biete deshalb mehr Möglichkeiten zur Auseinandersetzung mit der Materie. "Ich habe Bleisatz als künstlerischen Prozess genutzt."

Natürlich aber blieb es nicht dabei. Bei unterschiedlichen Arbeitgebern wie etwa Flyeralarm habe sie hauptsächlich digital gearbeitet und wisse die Vorteile wie zum Beispiel die Schnelligkeit zu schätzen.

Ob die Digitalisierung der Gegner von Kreativität sei, fragt Lena Naerger und beantwortet die Frage gleich selbst: Beides sei sehr wichtig füreinander. Die Vorteile der Digitalisierung solle man nutzen, ohne dabei das Althergebrachte zu vergessen. "In Blei denkt man anders als im Digitalen."

In der anschließenden Diskussionsrunde, moderiert von Diana Scholl, der stellvertretenden Leiterin Volkswirtschaft beim Bundesverband mittelständische Wirtschaft, treffen drei sehr unterschiedliche Branchen aufeinander. Yannick Haan, Sprecher des netzpolitischen Forums der SPD, berichtet von den Herausforderungen, Parteipolitik moderner zu gestalten. Er habe gedacht, in eine Partei einzutreten und alles digitalisieren zu können, erzählt er schmunzelnd. Aber so einfach sei das nicht. "Das musste ich lernen."

Christoph Nitz, Mitglied des Vorstandes beim Deutschen Journalistenverband DJV Berlin e.V., berichtet aus der Perspektive eines Verbands, der eine Branche im Wandel hin zum Digitalen vertritt. Ähnlich wie bei der Erfindung des Buchdrucks stelle die Digitalisierung die Möglichkeit dar, eine ganz andere Medienwirkung zu erreichen. Man solle dem Print nicht hinterherweinen, sagt Nitz. Online-Journalismus biete beispielsweise die Möglichkeit, Videos und Bilder in Texte einzubinden. "Die Chancen sind viel vielfältiger." Das, was man schaffen müsse, seien allerdings Erlösmodelle für digitale Produkte.

Für den Verband bedeute die Transformation auch, nicht mehr nur die klassischen Print-, Radio- und Fernsehjournalisten zu vertreten. "Wir müssen auch die Blogger mitnehmen und uns in eine Medieninteressenvertretung wandeln", betont er.

Etwa beim Thema Recherche habe die digitale Technik Erleichterung gebracht. Nitz nennt als Beispiele die Panama- und die Paradise-Papers, die Journalisten in analoger Form niemals in so kurzer Zeit hätten bearbeiten können. Er plädiert dafür, die Chancen der Digitalisierung zu sehen und gesellschaftlich neu auszuhandeln. Auch dem Thema künstliche Intelligenz verschließt er sich nicht: Es gäbe im Journalismus Dinge, wie zum Beispiel den Wetterbericht, die nicht unbedingt von Menschenhand gemacht werden müssten.

Ähnlich wie bei Verbänden ist auch bei Parteien Modernisierung häufig ein schwieriges Thema. Yannick Haan plädiert dafür, Parteistrukturen zu öffnen. Viele junge Leute hätten zwar Lust, sich zu engagieren, wollten aber nicht vier Abende in der Woche bei Sitzungen verbringen. Als Vorbild nennt Haan die "Sektion 8" der österreichischen Sozialdemokraten in Wien, die sich als NGO innerhalb der Partei begreifen.

Beim Thema Digitalisierung verweist Haan darauf, dass viele Menschen noch immer in Regionen ohne Breitbandversorgung leben. Mit einer verbesserten Infrastruktur müsse man dafür sorgen, die Regionen wieder zusammenzubringen. Die Digitalisierung dürfe nicht zu einer sozialen Spaltung führen.

Digitale Chancen können sich auch ins Negative verkehren, warnt Haan und nennt als Beispiel die Sharing Economy. "Das war eigentlich, fand ich, eine tolle Idee." Allerdings habe die Wirtschaft das Prinzip, Güter zu teilen, aufgegriffen und zu Geld gemacht. Unternehmen wie Airbnb verursachten inzwischen Verdrängungsprozesse beim Thema Wohnraum. "Auf der einen Seite nutze ich das auch selber", erklärt er. "Auf der anderen Seite sehe ich auch die negativen Folgen." Früher habe die Digitalisierung die Menschen gespalten – in die Super-Euphorischen und diejenigen, die sagten: "Die Welt geht unter". Jetzt sei man an einem Punkt, an dem man diskutieren könne, welche Art von Digitalisierung man wolle, sagt Haan. Dabei appelliert er auch an die jüngere Generation, sich einzumischen.

Zwar sind sich die Diskutanten darin einig, Social-Media-Kanäle zu nutzen, doch auch beim Thema Kommunikation setzen sie teilweise auf altmodische Mittel. Wenn sie als Verband Menschen wirklich erreichen wollen, verschicken sie Briefe, berichtet Moderatorin Diana Scholl.

Auf einen Impuls im Publikum hin bestätigt Yannick Haan, dass die SPD – wie fast alle Parteien – im Bundestagswahlkampf zu wenig auf Social Media gesetzt hätten. Er selbst schlägt vor, auch das Medium E-Mail stärker zu nutzen – beispielsweise in Form von Newslettern. Christoph Nitz verweist dabei auf den Berliner Tagesspiegel, der viel mit Newslettern arbeitet – auch auf Bezirksebene. Dadurch werde auch der Lokaljournalismus revitalisiert, der so in der Printausgabe gar nicht abgebildet werden kann, betont Nitz. Auch die Auflage der Printausgabe sei dadurch gestiegen. Wie es für die Schallplatte eine Nische gibt, wird es auch für Printausgaben Verwendungen geben, ist er sicher.

Was er sich für die Zukunft wünsche sei eine Renaissance der Solidarität unter Medienschaffenden, die auch YouTuber und andere miteinschließe. "Man muss einfach vermitteln, dass Solidarität sexy und modern ist." Als ganz praktische Forderungen nennt er ein neues Urheberrecht und neue Entlohnungsstrukturen.

Auch Lena Naerger hegt den Wunsch, dass alte Werte nicht in Vergessenheit geraten. "Ich wünsche mir für meine und die nachfolgende Generation, dass auch immer eine Rückbesinnung stattfindet. Dass das Haptische nicht vergessen wird durch das ewige Getouche und Gewische", sagt sie und lacht.

In eine ähnliche Richtung geht Yannick Haan mit seiner Vorstellung von einer besseren Zukunft. "Ich hoffe, dass es eine Politik gibt, die schnell und langsam gleichzeitig ist." Damit er meine er, dass Dinge nicht schneller nach außen kommuniziert werden, als sie ausgehandelt werden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Inga Dreyer

Freie Journalistin in Berlin. Schreibt über Kultur, Gesellschaft und Politik. Für die Meko Factory berichtet sie über Veranstaltungen.

Inga Dreyer

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