Möhren aus dem U-Bahn-Schacht?

Ernährung Die Weltbevölkerung wächst. Immer mehr Menschen ziehen in Städte. Was bedeutet das für die Ernährung? Eine Diskussion über Gemüse in Containern und freilaufenden Salat.

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Fleisch aus dem Labor und Gemüse ohne Erde: Ist das die Zukunft unserer Ernährung? Oder liegt sie in der vermeintlichen Gegenbewegung: kleine, ökologische und solidarische Landwirtschafts-Betriebe, alte Sorten und Bezug zum Boden? Die Dezemberausgabe des Netzwerktreffens young+restless im Telefónica Basecamp in Berlin stand unter dem Titel „Essen neu denken“.

In der Diskussion zwischen Food-Aktivisten, Landwirten und Wissenschaftlern zeigte sich, wie gegensätzlich Vorstellungen von der Ernährung der Zukunft sind. Dabei erscheinen die Ziele klar: weniger Wasserverbrauch, weniger CO2-Ausstoß, bessere Lebensbedingungen für Tiere, weniger Landverbrauch und weniger Dünge- und Pflanzenschutzmittel. Auch die Probleme liegen auf der Hand: Die Bevölkerung auf der Erde wächst, immer mehr Menschen ziehen in Städte, der Klimawandel verändert Lebensräume.

Fisch- und Insektenzucht im Container

Professor Christian Ulrichs vom Albrecht-Daniel-Thaer-Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften an der Humboldt Universität Berlin stellt mit dem „Cubes Circle“ eine Idee vor, die auf diese Probleme reagiert. Das Projekt, das von einem interdisziplinären Verbund von Forscherinnen und Forschern sowie Unternehmen entwickelt wird, will Landwirtschaft in die Stadt bringen.

Die Bilder, die Christian Ulrichs zeigt, sehen auf den ersten Blick etwas gewöhnungsbedürftig aus: verschiedenfarbige Container, in denen Pflanzen, Fische, oder Insekten gezüchtet werden. Diese sogenannten Cubes sind miteinander vernetzt. So wird beispielsweise Fischwasser in der Pflanzenproduktion genutzt und pflanzliche Ernterückstände in der Insektenzucht verwendet. Abfälle würden auf diese Weise vermieden, sagt Christian Ulrichs. Die Cubes können in unterschiedlichen Umgebungen eingesetzt werden – auch mitten in der Stadt. Sie können so als Baustein der zukünftigen Ernährung der Gesellschaft dienen, sagt der Professor.

Weitere Beispiele dafür, wie sich die Landwirtschaft entwickelt, präsentiert Stephan Becker-Sonnenschein. Er ist Veranstalter des Global Food Summits, bei dem in März 2019 Wissenschaftler, Unternehmer, Politik und Verbände in München über die Zukunft von Lebensmitteln diskutieren. Ungeheure Geldmittel flössen schon heute in Forschungsprojekte im Bereich der urbanen Agrikultur, berichtet Becker-Sonnenschein. In China beispielsweise, wo in den vergangenen Jahren große Ackerflächen für städtische Strukturen gewichen sind, würden Innovationen im Bereich des Vertical oder Inhouse Farming vorangetrieben. Dabei werde auf mehreren Stockwerken in Gebäuden ganzjährig Obst und Gemüse gezüchtet. Ob in U-Bahn-Schächten oder Kellern: In jeder Nische könne so Landwirtschaft betrieben werden. Die Vorteile seien: hoher Ertrag, lokale und sehr saubere Produktion, hohe Digitalisierung und Freiheit von Pflanzenschutzmitteln, erklärt Stephan Becker-Sonnenschein. Ein Nachteil hingegen sei die Energiebilanz.

Schmeckt Salat vom Feld anders?

Ob nun ein Salat vom Acker anders schmeckt als einer, der unter Kunstlicht im Keller aufgewachsen ist? Die Meinungen gehen in der anschließenden Podiumsdiskussion auseinander. Skeptisch zeigt sich Christian Heymann, Betreiber der solidarischen Landwirtschaft SpeiseGut. „Ich bin natürlich ein Kritiker gegenüber diesen Projekten“, sagt der Landwirt mit 25-jähriger Erfahrung im Ökolandbau. Es gäbe noch keine Ergebnisse, wie sich solche Nahrungsmittel langfristig auf den menschlichen Körper auswirkten. „Ich weiß, dass Lebensmittel, die auf freiem Feld wachsen, einfach anders sind von der Qualität“, betont er.

Auch Hendrik Haase, Aktivist, Künstler, Food-Aktivist und Mitbegründer der Metzgerei und Speisewirtschaft Kumpel & Keule plädiert für die Rückkehr zu traditionellen Arten, Sorten und Geschmäckern. Selbst in der Food-Welt seien einigen die natürlichen Kreisläufe nicht bewusst. So gehörten auch zur Produktion von Gemüse Tiere dazu. „Wer scheißt denn auf deine Bio-Möhre?“, fragt Haase rhetorisch.

Christian Ulrichs widerspricht der These, dass auf dem Feld gewachsenes Gemüse anders schmecke. „Ich kann ihnen im Gewächshaus einen Salat produzieren, da schmecken sie keinen Unterschied“, betont der Professor. Er selbst wolle keine Möhre, „auf die jemand draufgesch...“ hätte. Die ackerlose Produktion von Lebensmitteln sei die einzige Richtung, in die man gehen könne.

Deutsche sind skeptisch gegenüber synthetischem Fleisch

Das ist wohl eine Frage der Perspektive: Geht es um Deutsche, die es leid sind, billige geschmacklose Lebensmittel zu kaufen? Oder geht es um die Ernährung der Weltbevölkerung und Menschen, die sich derzeit überhaupt kein Fleisch leisten können?

Könnte „Clean Meat“ dieses Problem lösen? Die industrielle, synthetische Herstellung von Fleisch, bei der keine Tiere mehr sterben müssen, wird derzeit viel diskutiert. Bisher scheint diese Perspektive jedoch in Deutschland noch keinen großen Anklang zu finden. Moderatorin Lisa Ksienrzyk präsentiert Zahlen des Meinungsforschungs-Start-ups Civey, wonach nur 19 Prozent der Deutschen künstlich gezüchtetes Fleisch essen würden. Rund neun Prozent sind unentschieden und mehr als 70 Prozent würden „eher nicht“ oder „auf keinen Fall“ zum Fleisch aus dem Labor greifen.

Ob nun Insekten-Burger, veganes Essen oder Bio-Schweine: Klar ist, dass sich etwas tut und viele Menschen bewusst über ihre Nahrung nachdenken. Essen wird fotografiert und in den sozialen Medien geteilt – Tendenz steigend, berichtet Jan Wimmel von Ubermetrics, der sich mit der Kommunikation im Bereich der Nahrungsmittelindustrie beschäftigt hat. „Food is emotional“, betont er. So hätten Konzerne mit einem schlechten Ruf Boykotte zu befürchten, während sich ein positives Image durchaus verkaufssteigernd auswirke.

Die Diskutanten sind sich einig: Auch in der guten alten Lebensmittelindustrie tut sich was. „Vor zehn Jahren war ich noch der Freak“, sagt der Food-Aktivist Hendrik Haase. Heute kämen Unternehmen zu ihm und fragten nach Rat.

Das gute Gewissen beim Einkaufen scheint bei vielen Kunden eine Rolle zu spielen – genauso wie bei Gastronomen. Am Ende des Abends stellt sich Philipp Reichel, Mitgründer des ISLA Coffee in Berlin-Neukölln vor. Die Tassen sind aus Kaffeesatz gemacht, Ricotta und Joghurt werden aus Milchresten hergestellt. Philipp Reichel kritisiert, dass gerade die reichen Deutschen so wenig Geld für Lebensmittel ausgeben, statt auf hohe Qualität und fairen Handel zu achten. „Wir saufen Kaffee wie blöd, aber haben keine Ahnung, was dahintersteckt.“

Ob Fleisch durch synthetische Herstellung noch günstiger wird oder das Bio-Schwein in der Mitte der Gesellschaft ankommt, wird sich zeigen. Klar scheint: „Wir werden viele verschiedene lustige neue Sachen essen“, sagt Hendrik Haase. Er hoffe, dass auch ein paar alte dabei sein werden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Inga Dreyer

Freie Journalistin in Berlin. Schreibt über Kultur, Gesellschaft und Politik. Für die Meko Factory berichtet sie über Veranstaltungen.

Inga Dreyer

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