Pressesprecher zum Stöhnen bringen

Auskunftsrechte Medienwerkstatt im Berliner taz-Café ermutigt Journalisten, auch unangenehme Fragen zu stellen

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Ob bei Unternehmen oder öffentlichen Einrichtungen: Presseabteilungen scheinen immer größer zu werden. Über alle verfügbaren Kanäle werden Mitteilungen in die Welt gepustet. Trotzdem heißt das nicht, dass Journalistinnen und Journalisten auch immer einfacher an Informationen kommen – zumindest nicht an solche, die heiklere Themen berühren.

Unangenehme Fragen können redselige Pressesprecher und Pressesprecherinnen plötzlich einsilbig werden lassen. "Sie werden Verständnis haben, dass wir hierzu keine Auskunft geben können", heißt es dann. Dass man für solche Aussagen jedoch gerade kein Verständnis haben sollte, unterstreicht Jost Müller-Neuhof vom Tagesspiegel bei der Medienwerkstatt im taz-Café, veranstaltet vom Deutschen Journalistenverband (DJV) Berlin, der Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju in ver.di) und dem mekolab. Unter dem Titel "Bundespresseauskunftsrecht wanted" spricht Tina Groll von der dju mit Müller-Neuhof und seinem Kollegen Hans-Martin Tillack vom Stern über die Möglichkeiten, an Informationen von Behörden zu kommen.

Amtsverschwiegenheit als Kulturtradition

Der Abend gestaltet sich als Plädoyer dafür, Fragen zu stellen, hartnäckig zu sein und sich nicht abwimmeln zu lassen. Eine rechtliche Grundlage hierfür bietet das Informationsfreiheitsgesetz (IFG), das 2006 auf Bundesebene erlassen wurde. Es garantiert jeder Person – nicht nur Journalistinnen und Journalisten – ein Recht auf Informationen von Bundesbehörden. Damit sind alle Arten von Aufzeichnungen gemeint – also nicht nur Akten, sondern auch Digitalisiertes oder Tonaufzeichnungen sein. Auch in den meisten Bundesländern existieren Informationsfreiheitsgesetze.

Bei ihrem Recht auf Auskunft können sich Journalistinnen und Journalisten außerdem auf die Landespressegesetze stützen, die es in einem Teil der Bundesländer gibt.

Das Recht an sich sei gut, sagt Jost Müller-Neuhof. "Die Frage ist: Ist es auch gut durchsetzbar?" Seiner Erfahrung nach werde der Rechtsanspruch auf Information von Verwaltungsseite her oft restriktiv gehandhabt. Das habe aber nicht unbedingt etwas mit böser Absicht zu tun, sondern mit einer preußischen Kulturtradition, in der Amtsverschwiegenheit eine hohes Gut darstelle. Sich im Recht fühlende Beamte träfen also auf Journalistinnen und Journalisten, die sich ebenfalls auf der guten Seite wähnten.

Gehen Streitfälle vor Gericht, werde jedoch häufig im Sinne des journalistischen Interesses entschieden, sagt Müller-Neuhof. "Wir bekommen gute Urteile. Aber zu wenige."

Auskunftspflichten direkt aus dem Grundgesetz abgeleitet

Früher setzten Journalistinnen und Journalisten ihren Anspruch auf Information gegenüber Bundesbehörden auch auf Grundlage der Landespressegesetze durch. 2013 jedoch entschied das Bundesverwaltungsgericht im Fall einer Klage gegen den Bundesnachrichtendienst, dass dieser als Bundesbehörde nicht durch die Pressegesetze auf Landesebene zu Auskünften gegenüber der Presse verpflichtet werden könne. "Damit standen wir als Journalisten praktisch nackig da", sagt Jost Müller-Neuhof.

Aus diesem Grund fordern viele Journalistinnen und Journalisten ein Bundesauskunftsrecht, das – wie die Landespressegesetze auf Landesebene – Auskunftsrechte auf Bundesebene durchsetzbar machen solle.

Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts verwies aber auch ohne ein solches Gesetz auf die Pflicht des Staates zur Erteilung von Auskünften. Ein Minimalstandard an Auskunftspflichten sei direkt aus dem Grundgesetz ableitbar, genauer: dem Grundrecht der Pressefreiheit, Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.

Gerade auf Bundesebene scheint vieles ungeklärt – beispielsweise was Auskunftsrechte gegenüber der Justiz oder dem Parlament angehe, erklärt Hans-Martin Tillack. Bei Anfragen an Parteien etwa werde argumentiert, dass diese nicht Teil der staatlichen Verwaltungsangelegenheiten sind. Was das Informationsfreiheitsgesetz jedoch garantiere, seien beispielsweise Einblicke ins Vereinsregister, ins Handelsregister und – bei berechtigten Anfragen – auch ins Grundbuch.

Beide Journalisten betonen, dass man seine Rechte als Journalistin oder Journalist nicht nur kennen, sondern im Zweifel auch bereit sein sollten, diese durchzusetzen. "Ich muss meiner Drohung auch was folgen lassen", sagt Jost Müller-Neuhof. Das heißt: Nicht nur mit Klagen drohen, sondern es drauf ankommen lassen.

Allerdings ist bedeuten Klagen einen zeitlichen und finanziellen Aufwand, der für größere, nicht tagesaktuell arbeitende Redaktionen eher leichter zu stemmen ist als für kleine. "Im normalen Alltagsgeschäft lohnt sich das nicht", sagt der Tagesspiegel-Redakteur Müller-Neuhof. Nur bei interessanten Sachverhalten und Fragen, die nach ein paar Monaten immer noch spannend sind, ergebe das Sinn.

Bei bestimmten Sätzen von Pressestellen sollte man aufhorchen, betont Müller-Neuhof. Einer davon sei: „Uns liegen dazu keine Statistiken vor." Natürlich lägen zu Anfragen von Journalistinnen und Journalisten keine fertigen Statistiken vor, sagt er. Das heiße aber nicht, dass diese Informationen nicht irgendwo vorhanden sind. Es könnte sich also lohnen, anders zu fragen: "Hat die Behörde Zugriff auf diese Informationen?"

Auch wenn es heiße, dazu würden grundsätzlich keine Informationen rausgegeben, sollte man nachfragen. "Grundsätzlich gibt es nicht. Grundsätzlich ist abgeschafft." Im Einzelfall müsse belegt werden, warum bestimmte Daten und Fakten nicht vorgelegt werden.

Behörden sind in Deutschland zur Wahrheit verpflichtet

Was das Informationsfreiheitsgesetz betrifft, sind die beiden Journalisten unterschiedlicher Meinung. Hans-Martin Tillack outet sich als "großer Fan". Anträge können grundsätzlich von jedermann formlos, also zum Beispiel telefonisch, per E-Mail oder schriftlich gestellt werden. Für die Bereitstellung der Informationen werden allerdings Gebühren erhoben. Wenn das nicht zum erwünschten Ergebnis führe, müsse man nicht direkt klagen, sagt Tillack. Es gäbe die Möglichkeit, sich bei der Bundesbeauftragten für Datenschutz zu beschweren.

Ein Recherche-Projekt, bei dem er auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes Informationen bekommen habe, war die Frage, welche Ministerien Politiker und Politikerinnen im Wahlkampf unterstützt haben.

Jost Müller-Neuhof sagt: "Ich bin kein so großer Freund vom IFG." Das Problem sei, dass Verfahren teilweise mehrere Jahre dauerten. Für die alltägliche Arbeit sei es einfacher, auf Grundlage des – seiner Meinung nach unterschätzten Presseauskunftsrechts – zu agieren. Bei einer Anfrage könne man selbst eine Frist von drei bis fünf Tagen setzen. Wenn das gerichtlich durchgesetzt werden müsse, würden die Gerichte einen Eilanspruch anerkennen – beim Informationsfreiheitsgesetz nicht.

Das Auskunftsrecht erstrecke sich sogar auf das Wissen von Behördenmitarbeitern, die wie Behörden in Deutschland generell zu Wahrheit verpflichtet sind. Sogar die Bundeskanzlerin sei auf dieser Grundlage verpflichtet worden, auszusagen, ob sie das Schmähkritik auf Erdogan aus der Feder von Jan Böhmermann gelesen habe.

Journalismus in Opportunismusgefahr

Beide Journalisten ermutigen Kolleginnen und Kollegen grundsätzlich, Fragen zu stellen – auch unangenehme. "Es ist ein gutes Zeichen, wenn Pressesprecher stöhnen", betont Jost Müller-Neuhof. "Es gibt viele, die denken, sie fahren besser, wenn sie sich mit dem Pressesprecher gut stellen", sagt Tillack. "Journalisten sind im Prinzip ständig in Opportunismusgefahr."

Und das anscheinend nicht ohne Grund: Jost Müller-Neuhof kritisiert, dass sogar Bundesbehörden bestimmte Medien bevorzugt mit Information versorgten. Wenn es ein Bundesauskunftsrecht geben sollte, müsse diese Praxis dadurch verhindert werden.

Seine persönliche Meinung – im Gegensatz zu seinen Forderungen als Gewerkschafter – zum Bundesauskunftsrecht sei jedoch: "Wir brauchen es nicht." Darin schwingt die Sorge darüber mit, wie ein solches Gesetz dann aussehen würde. Es dürfe auf keinen Fall hinter den Landespressegesetzen zurückbleiben, fordert er.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Inga Dreyer

Freie Journalistin in Berlin. Schreibt über Kultur, Gesellschaft und Politik. Für die Meko Factory berichtet sie über Veranstaltungen.

Inga Dreyer

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