"Straßenverkehrsordnung fürs Internet"

Mediensalon Journalisten, Internet-Unternehmen und Netzaktivisten diskutieren über eine EU-Urheberrechtsreform. Vor allem drei Punkte stehen in der Kritik

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Vorsicht auf dem Datenhighway.
Vorsicht auf dem Datenhighway.

Foto: Keystone/Hulton Archive/Getty Images

Dass eine Diskussion über die EU-Urheberrechtsreform auf den ersten Blick nicht zu den attraktivsten Formen der Feierabendgestaltung gehört, hat die Journalistin Tina Groll erlebt, als sie Kollegen zum Mediensalon im taz Café einlud. Gleich zu Anfang fragt die Gastgeberin des Abends, ZEIT-Online-Redakteurin und Verdi-Gewerkschafterin, wie man andere davon überzeugen könne, dass dies ein spannendes Thema sei.

"Als Journalist kommt man ja eigentlich an der Verwendung des Internets kaum vorbei", sagt Julia Reda (Piratenpartei), Abgeordnete des Europaparlaments. Wie darf man Fotos verwenden? Wie zitiert man? All diese Fragen berührten die EU-Urheberrechtsreform. "Das Urheberrecht ist so etwas wie eine Straßenverkehrsordnung fürs Internet", sagt Dr. Till Kreutzer, Urheberrechtsanwalt und Copyright-Aktivist. Der Unterschied aber sei, dass jeder verstehe, was ein Stoppschild bedeute. Beim Urheberrecht sei das anders.

Derzeit wird in den Ausschüssen des Europäischen Parlaments über eine EU- Urheberrechtsreform diskutiert – aber nicht nur dort. Bei Journalistinnen und Journalisten, Internet-Unternehmen, Netzaktiven und -aktivistinnen und anderen Gruppen stehen vor allem drei Punkte in der Kritik: das EU-Leistungsschutzrecht (Artikel 11), Upload-Filter (Artikel 13) und das sogenannte Text- und Data-Mining (Artikel 3).

In Deutschland wurde das Leistungsschutzrecht, das nun EU-weit diskutiert wird, bereits 2013 eingeführt. Es spricht Presseverlegern das ausschließliche Recht zu, an der Veröffentlichung von Presseerzeugnissen zu verdienen. Das soll die Verlage so davor schützen, dass andere Anbieter – wie zum Beispiel Suchmaschinen im Internet – mit den von ihnen veröffentlichen Inhalten Geld verdienen.

Der Einsatz von Upload-Filtern bedeutet, dass durch eine Software Daten beim Hochladen automatisiert überprüft. Bei der EU-Urheberrechtsreform geht es um die Prüfung von Urheberrechtsverstößen. Text- und Data-Mining wiederum bezeichnet die Anwendung automatisierter Methoden, um digitale Datenberge zu untersuchen und dadurch Muster, Zusammenhänge oder Bedeutungen zu erschließen.

Weihnachtsbaum mit Lobby-Geschenken

Die sechs Podiumsgäste vertreten unterschiedliche Positionen, was die Reform betrifft. Julia Reda erklärt, warum diese überhaupt nötig ist: die EU-Urheberrechtsrichtlinie stamme von 2001. Facebook gab es damals beispielsweise noch gar nicht. "Das war eine ganz andere Welt", sagt Reda. Ein Problem: Wer im Moment Dinge ins Internet stellt, berührt damit die Urheberrechte verschiedener Länder. Während es in Deutschland beispielweise erlaubt sei, Fotos von Gebäuden im öffentlichen Raum zu veröffentlichen (Panoramafreiheit), widerspreche dies in anderen Ländern dem Urheberrecht. Die Reform sollte deshalb eigentlich zu einer Vereinfachung unterschiedlicher Rechtslagen führen, sagt Julia Reda. "Das ist nur leider nicht passiert."

Aus ihrer Sicht sei die Reform so etwas wie ein Weihnachtsbaum. Im Ergebnis der Debatten hänge dort für jede Lobbygruppe ein Geschenk dran. Die Politikerin kritisiert, dass sich vor allem Deutschland und Frankreich mit ihren Interessen durchgesetzt hätten. Für Frankreich seien die Upload-Filter wichtig, für Deutschland das Leistungsschutzrecht, für das auch der Axel-Springer-Konzern erfolgreich Lobbyarbeit geleistet habe.

Ist das Leistungsschutzrecht gescheitert?

Dr. Ole Jani, Medienanwalt bei CMS Hasche Sigle, sieht in der Einführung des Leistungsschutzrechts einen "gelungenen Einstieg in die Plattformregulierung". Statt großer Online-Plattformen wie Google sollen durch das Leistungsschutzrecht diejenigen verdienen, die die Rechte an den Inhalten haben: die Verlage. Die häufig geäußerte Kritik, das vor fünf Jahren eingeführte Leistungsschutzrecht sei bereits gescheitert, teilt Ole Jani nicht. Für eine solche Behauptung sei es viel zu früh, betont er. Ein solches Recht in der Praxis umzusetzen, brauche immer seine Zeit.

Auch Dr. Stefan Heck von der VG Media, Gesellschaft zur Verwertung der Urheber- und Leistungsschutzrechte von Sendeunternehmern und Presseverlegern mbH, bewertet den Ansatz des Leistungsschutzrechtes positiv. Einige der Nutzer zahlten bereits, bei anderen – wie Google zum Beispiel – liefen die Verfahren noch, erläutert er.

Was ist mit den Rechten der Kreativen?

Dr. Till Kreutzer kritisiert Artikel 11 (EU-Leistungsschutzrecht) der Reform. Eines seiner Argumente: Nirgendwo in der Richtlinie stünde etwas über den Urheber. Denn eine zentrale Frage bei der ganzen Debatte lautet: Wer profitiert von der Reform? Beim wem kommt das Geld letztendlich an? Laut Till Kreutzer sind es nicht die die Kreativschaffenden, die eigentlichen Schöpfer der Werke.

Für deren Rechte plädiert auch Till Valentin Völger, Vorsitzender des InteressenVerbands Synchronschauspieler e.V. (IVS) und Beirat der Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL). In einigen Punkten gehe die EU-Urheberrechtsreform in die richtige Richtung. In Artikel 14 etwa geht es um die Transparenzpflicht: Kreative sollen demnach darüber informiert werden, welche Einnahmen mit ihren Werken erzielt worden sind. Till Valentin Völger führt als prominentes Beispiel für die aktuelle Situation Marcus Off an, frühere Synchronstimme von Johnny Depp in der "Fluch-der-Karibik"-Reihe. Off hatte eine Nachvergütung von Disney gefordert, als sich der große Erfolg der Filme abzeichnete. Inzwischen habe er vor Gericht Recht bekommen, berichtet Till Valentin Völger. Das Problem: Nun bekomme er keine Aufträge mehr von Disney und anderen in der Branche.

Es sei ein guter Schritt, wenn beispielsweise Synchronschauspieler in Zukunft in Erfahrung bringen können, wie groß die Einnahmen aus Filmen sind.

Völgers Beispiel aber zeigt auch: Recht zu haben allein hilft nicht. Es müsse Wege geben, dieses auch durchsetzen zu können – beispielsweise mit Hilfe der Gewerkschaften, betont der Synchronschauspieler. Die Frage sei: "Wie kann man diese Mechanismen so gestalten, dass auch eine Durchsetzung faktisch möglich ist?"

Unsicherheit bei datenbasierten Start-ups

Patrick Bunk, Gründer von ubermetrics, einem Media Intelligence & Analytics Tool, vertritt in der Runde die Start-up-Szene. Er kritisiert eine Rechtsunsicherheit, beispielsweise im Bereich der künstlichen Intelligenz. Denn diese basiert – wie viele Geschäftsmodelle von Start-ups – auf Daten. Sie braucht Informationen, um zu lernen. Allerdingst untersagt Artikel 3 der EU-Urheberrechtsreform kommerzielles Text- und Data-Mining.

Auch bei diesem Thema ist das Podium gespalten. Patrick Bunk fordert Rechtssicherheit für Unternehmen. Schließlich stelle sich für Start-ups die Frage, ob sie in etwas investieren wollen, für das sie hinterher verklagt werden können.

Dr. Ole Jani spricht hingegen für die Position derjenigen, die die Daten produzieren. "Wollen Sie mit Ihrer Arbeit die Roboter der anderen schlau machen und nichts verdienen?", fragt der Medienanwalt. Auch Unternehmen, die Müsli verkaufen, gingen schließlich nicht zur Getreidemühle und wollten die Haferflocken umsonst, argumentiert er.

Automatisierte Filter in der Kritik

Ein drittes Streitfeld sind Upload-Filter. Bisher sei jeder Nutzer selbst dafür verantwortlich, was er im Internet hochlädt, sagt Julia Reda. Plattformen – beispielsweise Online-Foren –müssen rechtwidrige Inhalte zwar entfernen, wenn sie diese bemerken. Allerdings könnten sie nicht für alle Inhalte haftbar gemacht werden. Der Entwurf der EU-Urheberrechtsreform bricht mit diesem Prinzip. Vorgesehen sind Upload-Filter, die Plattformen wie YouTube nutzen sollen, um durch Algorithmus-gesteuerte Software Urheberrechtsverstöße zu vermeiden. Julia Reda kritisiert jedoch, dass bestimmte Urheberrechtsverletzungen – wie etwa die Verwendung von Romanfiguren – kaum automatisch erkannt werden können.

Andererseits gäbe es Fälle, bei denen legale Inhalte fälschlicherweise herausgefischt werden. Es sei zum Beispiel erlaubt, sich kritisch mit Zitaten auseinanderzusetzen. Der automatische Filter hingegen erkennt dieses Zitat womöglich als urheberrechtlich geschützt und sperrt es.

Till Valentin Völger merkt an, dass sich nur große Unternehmen eigene Upload-Filter leisten können. Dies führe wahrscheinlich zu Abhängigkeiten von kleineren Plattformen, die beispielsweise die Angebote von Google nutzen müssten, sagt auch Julia Reda.

Die Stärke des Abends ist das breite Spektrum an Gästen, die aus unterschiedlichen Perspektiven auf das Thema blicken. Für drei Problemfelder und sechs Podiumsgäste allerdings ist eine gute Stunde sehr knapp. Aber: Die Debatte geht weiter. Immer wieder klingt im Zusammenhang mit der Urheberrechts-Diskussion bereits das Thema des nächsten Mediensalons am 9. Mai an: Robo-Redaktionen und automatisierte Texte.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Inga Dreyer

Freie Journalistin in Berlin. Schreibt über Kultur, Gesellschaft und Politik. Für die Meko Factory berichtet sie über Veranstaltungen.

Inga Dreyer

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