Wie kommt die Zahnpasta zurück in die Tube?

Journalismus Diskussion beim Mediensalon zu Finanzierungsmodellen und neuen Akteuren im Journalismus

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Wie es weitergeht mit dem Journalismus? So richtig scheint das niemand zu wissen. Für die nächsten drei Jahre sei die Prognose relativ sicher, sagt Anja Pasquay, Pressesprecherin des Bundesverbands deutscher Zeitungsverleger (BDZV). "Was danach kommt, wird schwierig."

Zumindest in einer Hinsicht dürfen die Medienmachenden im Publikum aufatmen: "Gute Journalisten werden immer gebraucht. Guter Journalismus wird immer gebraucht. Ich glaube, das ist nicht das Problem", sagt Pasquay. So scheinen das immerhin die Vertreter und Vertreterinnen der Branche zu sehen, die Ende Februar beim Mediensalon im Berliner taz Café diskutierten. Unter dem Titel "Zukunft des Journalismus: Nur eine Nische im Content-Flow?" kamen die großen Themen aufs Tableau: fortschreitende Digitalisierung, Bezahlschranken und neue Geschäftsmodelle.

Dass der Journalismus an sich mit all seinen hehren Zielen und Idealen erhalten bleibt, daran scheint kaum ein Zweifel zu bestehen. Die Bedingungen von Recherche etwa hätten sich durch die Digitalisierung sogar verbessert, sagt Rattana Schicketanz, Leiter Special Digital Broadcasting bei WeltN24. "Wir können extrem einfach recherchieren." Der Zugang auch zu Nischen-Geschichten sei über das Internet gegeben. "Ich denke, das Hauptproblem ist nicht die tatsächliche Arbeit, sondern die Vermarktung und der Vertrieb."

Die Diskussion dreht sich an diesem Abend dementsprechend weniger um Inhalte als um ganz praktische Fragen: Wie erreichen Medien ihre Leserinnen und Leser – und vor allem: Wie überzeugen sie diese, für Informationen zu zahlen?

Sabrina Markutzyk, Leiterin des Social-Media-Bereichs beim Tagesspiegel, plädiert für direkte Vertriebswege wie beispielsweise Newsletter. "Ich glaube, der Journalismus muss raus aus seinem Elfenbeinturm", betont sie. Sie hat das Portal "neukoellner.net" aufgebaut, das mit einem Grimme-Online-Award ausgezeichnet wurde. Eine Neuerfindung sei dies nicht gewesen, betont sie. "Wir haben eigentlich klassischen Lokaljournalismus gemacht." Im Gegensatz zu anderen lokalen Medien hätten sie jedoch keinen "Pressemitteilungs-Journalismus" gemacht, sondern behandelt, was Menschen vor Ort wirklich interessiert. Die aktuellen Probleme der Branche seien teilweise auch selbst verschuldet. "Ich glaube, man macht auch einfach zu schlechten Journalismus", Markutzyk. Das Team von "neukoellner.net" habe auf ein Abo-System gesetzt, aber auch Partys geschmissen, um sich zu finanzieren. So wussten Leserinnen und Leser, wer hinter dem Projekt steht.

Auch Philipp Schwörbel, Gründer und Geschäftsführer "Krautreporter", hat mit den "Prenzlauer Berg Nachrichten" ein lokales Projekt gegründet. Bei "Krautreporter" bezahlen die Leserinnen und Leser vor allem, weil sie die Journalistinnen und Journalisten kennen, sagt er. "Die Währung ist Vertrauen." Dass Menschen für digitale Inhalte bezahlen, finde er "total normal". Er betont: Wenn sich Medien mit ihrem Publikum verbünden, seien die Leute auch bereit, dafür zu zahlen.

Professor Ayad Al-Ani, Professor für Change Management und Consultig am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG), prophezeit, dass die Gesellschaft zunehmend in kleinere Communities zerfällt, die wiederum Medien brauchen, die sie begleiten. Die Digitalisierung könne auch dazu führen, dass Leserinnen und Leser mündiger werden. Damit sei die zivilisatorische Hoffnung verbunden, möglichst vielen Stimmen eine Plattform zu geben.

Hinsichtlich community-basierter Projekte äußert sich Anja Pasquay zurückhaltender. "Das funktioniert im kleinen Kreis", betont sie. Generell sei wichtig, dass Menschen ein Gefühl dafür bekommen, dass Informationen ein Wert an sich sind, für den man bezahlt. Umfragen zeigten, dass etwa ein Fünftel der Deutschen schon einmal für die Nutzung digitaler Medien bezahlt habe. Die Bereitschaft steige – aber langsam. "Es ist ein Marathon. Das funktioniert nicht von heute auf morgen", sagt die BDZV-Sprecherin.

Eine Zuhörerin aus dem Publikum äußert ihr Unverständnis darüber, dass immer noch so viele Verlage ihre Inhalte kostenlos im Netz zur Verfügung stellen. Diese Entwicklung wieder rückgängig zu machen, sei schwierig, erklärt Rattana Schicketanz. "Die Zahnpasta ist sehr schnell aus der Tube gedrückt, geht aber nicht so gut wieder rein."

Während Verlage nach neuen Geschäftsfeldern suchen, betätigen sich neue Akteure im verlegerischen Bereich. Fußballvereine wie Bayern München produzieren und vertreiben Sportnachrichten. Ähnlich ist es bei Autoherstellern, die eigene Newsrooms aufbauen. "Wird Daimler demnächst ein Verleger? Man weiß es nicht so genau", sagt Zeit-Online-Redakteurin Tina Groll, die den Abend moderiert.

Anja Pasquay macht das Dilemma deutlich: Unternehmen produzieren Inhalte vorbei am Markt und unabhängig vom Selbstverständnis der Medien als "Vierte Gewalt." Andererseits sei dies ihr gutes Recht – schließlich herrsche Publikationsfreiheit. Für Journalistinnen und Journalisten wiederum ist die Arbeit für solche Unternehmen eine lukrative Möglichkeit, Geld zu verdienen.

Wie der klassische, nicht durch andere Wirtschaftszweige querfinanzierte Journalismus mit solchen gut und aufwändig gemachten Produkten konkurrieren kann, bleibt offen.

Und wie steht es um das Sponsoring journalistischer Inhalte durch Unternehmen? Rattana Schicketanz rät zu Vorsicht, Sabrina Markutzyk ist pragmatischer: Solange es transparent gehandhabt wird, sei das in Ordnung – schließlich gebe es diese Problematik schon bei jeder Werbe-Anzeige.

Der Mediensalon soll von nun an regelmäßig stattfinden. Zu jedem letzten Mittwoch im Monat wollen der Deutsche Journalistenverband (DJV), die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju in ver.di) und die Meko Factory –Werkstatt für Medienkompetenz gUG ins taz Café einladen, um über aktuelle Themen zu sprechen. Der Ausblick an diesem Abend zeigt, dass es viel zu besprechen gibt. Sabrina Markutzyk verweist auf die Potentiale von Virtual-Reality-Anwendungen im Journalismus, Rattana Schicketanz auf die Bedeutung von Spracherkennungssystemen. Ayad Al-Ani unterstreicht angesichts aktueller politischer Verhältnisse in vielen Ländern noch einmal die Fähigkeit und Aufgabe der Medien, Kritik zu üben. "Wenn Journalismus irgendwann in der Geschichte wichtig war, dann jetzt", sagt er und betont: "Wir müssen durchhalten."

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Inga Dreyer

Freie Journalistin in Berlin. Schreibt über Kultur, Gesellschaft und Politik. Für die Meko Factory berichtet sie über Veranstaltungen.

Inga Dreyer

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