Zwischen Heldenpose und Feindbild

Legal Tech Digital-Start-ups versprechen, Rechtsfragen schnell und unkompliziert zu lösen

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Es gibt Branchen, die für ihre Technikaffinität und ihren Innovationsgeist bekannt sind. Von allem, was mit Recht zu tun hat, kann man das nicht behaupten. Dennoch gibt es junge Unternehmerinnen und Unternehmer, die die Welt der Rechtsanwälte mit digitalen Anwendungen aufmischen – teilweise mit Erfolg. Beim Netzwerktreffen young+restless im Telefónica Basecamp in Berlin-Mitte haben sich Anfang März einige dieser Legal-Tech-Start-ups vorgestellt.

Ein bekanntes Beispiel ist das in Potsdam ansässige Unternehmen Flightright, das für seine Kunden bei Flugverspätungen Entschädigungszahlungen bei Airlines einfordert. Viele Leute hätten Respekt vor großen Fluggesellschaften, sagt Oskar de Felice, Rechtsstratege

bei Flightright. "70 Prozent der Passagiere hören auf, den Fall nach der Ablehnung weiterzuverfolgen." Das vor acht Jahren gegründete Unternehmen habe schon 150 Millionen Euro an Forderungen durchgesetzt. Das funktioniere durch die große Menge an Daten, die Flightright im Laufe der Zeit gesammelt habe Dadurch lasse sich die Wahrscheinlichkeit einer Entschädigungszahlung relativ präzise berechnen.

Nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert das Berliner Start-up Abfindungsheld, das erst seit ein paar Monaten am Markt ist. Über eine Maske auf der Website können Kundinnen und Kunden ihre Daten eingeben – unter anderem, wie viel sie verdient und wie lange sie bei ihrem Arbeitgeber angestellt waren. "Wir prüfen vollautomatisiert den Fall", erzählt Pierre Koumou-Okandze von Abfindungsheld. "Am Ende wird die Abfindung angezeigt, die wir dir auch auszahlen können. Und damit ist die ganze Chose für dich gegessen." Klingt fast zu einfach, um wahr zu sein.

Kündigungen seien ein unangenehmes Thema, über das Menschen nicht gerne redeten, sagt Pierre Koumou-Okandze. Die Plattform solle es Nutzerinnen und Nutzern deswegen sehr einfach machen. Der Vorteil: Sie müssten keinen Termin beim Anwalt vereinbaren. Denn viele Menschen hätten Ehrfurcht vor Anwälten und Angst vor den Kosten, sagt Pierre Koumou-Okandze.

Legal-Tech-Unternehmen brüsten sich damit, ihre Kundinnen und Kunden schneller, einfacher und günstiger zu ihrem Recht kommen zu lassen. Doch natürlich ist das auch ein Geschäft: Einen bestimmten Prozentsatz der Abfindung oder Entschädigung behalten die Unternehmen ein. Abfindungsheld zahle an die Klientinnen und Klienten zwischen 64 und 75 Prozent der Summe aus, sagt Pierre Koumou-Okandze. Durch datenbasierte Berechnungen minimieren Unternehmen wie Flightright oder Abfindungsheld ihr eigenes Risiko. "Die kleine Unschärfe, die kann man sich dann leisten", erklärt Oskar de Felice.

Wie in anderen Branchen ist auch im Rechtsbereich die Digitalisierung ein großes Streitthema. Wie verändern automatisierte Prozesse die Arbeitswelt von Anwältinnen und Anwälten? Oskar de Felice betont, dass es nicht darum gehe, den Beruf abzuschaffen. Auch in Legal-Tech-Unternehmen würden Rechtsexperten gebraucht. "Wir haben ja auch Anwälte", sagt er. Philipp von Bülow, der die Start-ups "Jurato" und "Clarity Legal" gegründet hat, betont, dass durch Legal-Tech-Unternehmen bestimmte Märkte erst geschaffen werden. "Flightright hat niemandem etwas weggenommen."

Mit Jurato hat er selbst eine Plattform geschaffen, die Klienten mit Anwälten zusammenbringt. Über eine Maske können Fälle geschildert und Dokumente hochladen werden, woraufhin sich Anwälte mit einem Angebot melden können. Andererseits gibt es auch eine Art "Rechts-Shop", in dem Anwälte Angebotspakete verkaufen können. Über einen Video-Chat können Kunden mit ihrem Anwalt kommunizieren, ohne in die Kanzlei kommen zu müssen. Mit Clarity Legal entwickelt Philipp von Bülow außerdem digitale Tools für das Kanzlei-Management.

Auch Charlotte Kufus ist dabei, ein Start-up an den Markt zu bringen, das Unternehmen in einem Rechtsbereich helfen soll: der Arbeit mit Verträgen. Mit Legal OS sollen sie sich eigene, rechtskonforme Verträge zusammenbasteln können – aus einem Modulsystem, das von einem Juristen-Team des Start-ups entwickelt wurde. Gleichzeitig sind die erstellten Verträge mit einem Management-System verbunden. Beispielsweise könne automatisch angezeigt werden, wann Verträge auslaufen. Dadurch würden bestimmte Fehler ausgeschlossen, betont die Gründerin. "Zum Beispiel Rechtsänderungen, die niemand mitbekommen hat." Sie sehe insgesamt viel Potential im Bereich Legal Tech. "Eigentlich sehen wir die Disruption darin, dass wir Recht für jedermann zugänglich machen."

Insgesamt ist an dem Abend viel von der Vision zu hören, Menschen zu helfen. Der Begriff Revolution ziemlich häufig. Tatsächlich aber gefällt die Vorstellung von einer zunehmenden Digitalisierung im juristischen Bereich nicht allen. Abfindungsheld ist wegen eines Werbeslogans schon mal von einem Anwaltsverband verklagt worden. Dass das Unternehmen häufig angefeindet werde, zeige, dass es etwas Wichtiges tue und an alten Strukturen kratze – wie beispielsweise Uber, sagt Pierre Koumou-Okandze. Gerade der umstrittene und in Deutschland verbotene Fahrdienstleister Uber ist aber ein Beispiel dafür, dass neue Entwicklungen oft mehrere Seiten haben. Bei all den spannenden Ideen wäre an diesem Abend eine Stimme interessant gewesen, die nicht nur die Möglichkeiten, sondern auch die Risiken der zunehmenden Digitalisierung im Rechtsbereich einordnet.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Inga Dreyer

Freie Journalistin in Berlin. Schreibt über Kultur, Gesellschaft und Politik. Für die Meko Factory berichtet sie über Veranstaltungen.

Inga Dreyer

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