Trauerspiel

linksbündig Was wird aus dem Künstlerhaus Lukas in Ahrenshoop?

In zwei Monaten schließt das Künstlerhaus Lukas in Ahrenshoop, gelegen auf Fischland-Darß-Zingst, nach einem guten Jahrzehnt Arbeit in der Trägerschaft der Stiftung Kulturfonds. Ein harter Schlag ist dies nicht nur für die Leiterin und deren Mitarbeiterin - gekündigt wie alle ihre Mitstreiter in der in Liquidation befindlichen Stiftung - sondern auch und vor allem für die bildenden Künstler, Autoren, literarischen Übersetzer, Komponisten und Musiker aus ganz Deutschland und den Ostseeanrainerstaaten, die hier zur Arbeit kamen, fruchtbaren Austausch pflegten und der ehemaligen Künstlerkolonie eine lebendige künstlerische Gegenwart schenkten. Zwar war das Künstlerhaus Lukas, verglichen mit seinem Pendant, dem Schloß Wiepersdorf in Brandenburg eher klein, kam aber wegen der Kurzzeitstipendien auf eine ganz ähnliche Zahl von 50 bis 60 Stipendiaten im Jahr.

Wer Stipendien für einen Luxus und das Stipendiengeld für ein Zubrot der Künstler hält, weiß nichts über deren tatsächliche Situation. Die meisten Künstler können sich nur mittels artfremder Jobs ihren eigentlichen Beruf leisten. Sich genügend Raum (in direktem wie auch übertragenem Sinn) für die Arbeit zu sichern oder mit einem Buch, einem Katalog, einer Ausstellung, einer Musikaufnahme an die Öffentlichkeit zu treten, kostet Geld. Dessen Erwerb aber kostet Zeit, die für die kontinuierliche Berufsausübung fehlt. Eine lähmende Falle. Aufenthaltsstipendien können helfen, dieser zu entkommen. Kurzzeitstipendien, die kein längeres Herausreißen aus dem eigenen Lebensumfeld - Job, Kinder, Familie - bedeuten, sind besonders hilfreich. Denn was nutzt beispielsweise einer alleinerziehenden Mutter das wundervollste Halbjahresstipendium, 500 Kilometer von zu Hause entfernt, mit Residenzpflicht?

Die Kurzzeitstipendien im Künstlerhaus Lukas besaßen noch weitere Vorzüge: bei ihnen wurde auf eine Altersbeschränkung verzichtet, die Erbringung einer Gegenleistung seitens der Stipendiatinnen und Stipendiaten - zum Beispiel mit der Verpflichtung zu einer öffentlichen Präsentation während der Stipendienzeit - wurde nicht eingeklagt. Dennoch luden die Stipendiaten aus freien Stücken an jedem letzten Sonntag im Monat zu Lesungen, Konzerten, Filmvorführungen und Ausstellungen ein. Das Künstlerhaus war ein kleines, großes wichtiges Haus.

Sein Träger, die Stiftung Kulturfonds stirbt dieser Tage an einem Geburtsfehler. Bei der Gründung in der Nachfolge des Kulturfonds der DDR wurde für die fünf beteiligten Länder, die "neuen Länder", das Recht festgeschrieben, sich quasi nach Bedarf mit einem entsprechenden Säckel des Stiftungsvermögens - eines Vermögens, das sie nie anteilig eingebracht hatten, sondern das grundlegend aus hinterlassenen und übertragenen SED-Geldern stammte - selbständig zu machen. Wenn nicht direkt üble Absicht bei der damaligen Niederschrift dieser Klausel unterstellt werden soll, so muss es sich doch zumindest um ein gehöriges Verkennen der menschlichen Psyche und der Tradition deutscher Kleinstaaterei gehandelt haben. Das erste Land, das sich aus dem Länderbund verabschiedete, um eine eigene Kulturstiftung zu gründen, war zum Ende des Jahres 1997 der Freistaat Sachsen. Diesen Austritt überlebte die Stiftung mit Geschick; das Todesurteil sprachen sieben Jahre später Thüringen und Sachsen-Anhalt mit ihrer Aufkündigung der kulturellen Ländersolidarität. Das Geld, von dessen Zinsertrag in den vergangenen 14 Jahren viele bedeutende Kulturprojekte aller Sparten und Künstler gefördert und zwei Stipendiatenhäuser betrieben worden sind, wird nun - statt, wie einstmals erträumt, in einen größeren Verbund einzufließen - in Häufchen geteilt und verteilt. Besonders dumm dran sind die Länder, auf deren Territorium sich die Künstlerhäuser befinden. Das Geld reicht nicht, um sie mit Anstand weiterzubetreiben.

Die letzten Stipendiaten verlassen das Künstlerhaus Lukas am 15. Dezember. Es ist schwer, sich das Haus, das sich in den vergangenen zehn Jahren Monat für Monat mit wechselnder Bewohnerschaft chamäleonartig veränderte, dabei aber immer voll guten Geistes, leer vorzustellen. Es ist eine Schande, dass es zu diesem Umgang mit dem Künstlerhaus gekommen ist, und ebenso, dass wohl diejenigen Fädenzieher, die das Haus neu einspinnen wollen, eine seltsame Desinformationspolitik betreiben. Doch vielleicht übersteht das Haus, das seit seiner Eröffnung vor über 100 Jahren vieles erlebt hat, auch diesen Zustand der Ungewissheit und verschiedensten Begehrlichkeiten, und wird von neuen Trägern - wer immer sie sein werden - in seinem freien, weltoffenen Charakter weder zu einer Stadtschreiberbleibe noch zu einem lokalen Künstlerzoo verbogen.



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