Jetzt, da es wärmer wird, sieht man sie in der Dämmerung wieder um die Straßenlaternen kreisen: Die nicht mal daumengroßen Zwergfledermäuse sind auf Mückenfang. Auch andere Fledermausarten haben ihre Winterquartiere verlassen, um wieder etwas auf die Rippen zu bekommen: Wasserfledermäuse flitzen über die Oberfläche der Seen, die Silhouetten der Großen Abendsegler zeichnen sich am Abendhimmel ab, wenn sie geradlinig dahinziehen oder sich im Sturzflug auf ein Insekt werfen. Die Großen Mausohren richten ihre – wahrhaft großen – Ohren auf den Boden, um Laufkäfer zu orten und zu erbeuten.
Fledermäuse umgibt ein großes Geheimnis. Im Abendland wurden sie aufgrund ihrer verborgenen Lebensweise lange dämonisiert, der Forschung geben sie noch immer Rätsel auf. „Vögel werden seit Jahrhunderten untersucht, denn sie sind bunt, fliegen am Tage und singen. Fledermäuse sind dagegen relativ unerforscht“, sagt Markus Dietz vom Institut für Tierökologie in Laubach. „In Europa werden sogar noch neue Arten entdeckt.“ Nach den Nagetieren bilden Fledermäuse mit geschätzten 1.100 Spezies die artenreichste Säugetiergruppe, außer in den Polargebieten und Wüsten sind sie überall auf der Erde vertreten. Je nach ökologischer Nische variiert ihr Speisezettel: Während die europäischen Fledermäuse sich von Insekten ernähren, fressen die Verwandten in südlichen Breiten auch Früchte, Nektar, Fische oder Frösche. In Südamerika sind drei Arten bekannt, die vom Blut anderer Säugetiere leben – Menschen fallen sie allerdings nicht an.
Die kleinen Jäger zeigen auch sonst viele Eigenarten: Manche Weibchen paaren sich im Herbst, werden aber erst im Frühling trächtig. In großen Wochenstuben ziehen sie oft zu Tausenden binnen weniger Wochen ihre Jungen auf. Beeindruckend sind auch die weiten Wege, die einzelne Arten zurücklegen – beim Großen Abendsegler sind es bis zu 2.000 Kilometer –, oder die Strategie vieler Fledermausarten, ihre Beute per Echo zu orten. Dabei stoßen sie Schreie im Ultraschallfrequenzbereich aus, deren Echo sie auf Hindernisse oder Beute schließen lässt.
Aber Fledermäuse sind auch von ökologischer Bedeutung: In den Tropen bestäuben Nektar-trinkende Arten Pflanzen, in unseren Breiten vertilgen sie große Mengen an Insekten und helfen Landwirten und Förstern so in der Schädlingsbekämpfung. Um so schlimmer, wenn sie dauerhaft verschwinden, meinen Forscher um Justin Boyles von der Universität in Pretoria, etwa durch ein Massensterben, wie es sich derzeit in den USA ereignet. In ihrer jüngst in Science veröffentlichten Studie beziffern die Wissenschaftler den Wert US-amerikanischer Fledermäuse für die dortige Landwirtschaft mit durchschnittlich 23 Milliarden Dollar pro Jahr.
Flaum um die Schnauze
Das ominöse Sterben begann vor vier Jahren, als im Bundesstaat New York tote Fledermäuse im Schnee gefunden wurden. Inzwischen sind dort und in den umliegenden Staaten bereits mehr als eine Million Tiere verendet. Die Bestände der Kleinen Braunen Fledermaus sind so schnell geschrumpft, dass Boyles ihr baldiges regionales Aussterben prophezeit. Schuld an dem Desaster ist nach Erkenntnissen David Bleherts vom National Wildlife Health Center in Madison der Pilz Geomyces destructans, der sich während des Winterschlafs als weißer Flaum um die Schnauze der Tiere legt – weshalb die Krankheit auch Weißnasensyndrom (WNS) heißt.
Eingeschleppt hat den Pilz mutmaßlich einer der vielen europäischen Besucher von amerikanischen Fledermaushöhlen: In Europa kennt man Geomyces destructans seit mehr als 25 Jahren, allerdings sterben die Tiere dort nicht. „Es handelt sich um einen Pilz, der extern wächst“, erklärt Christian Voigt vom Berliner Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IWZ). Bei europäischen Fledermäusen penetriere er die Haut nur unwesentlich. „In den USA dringt er dagegen viel tiefer in die Haut ein. Die Fledermäuse wachen öfter auf und verbrauchen schneller ihre Fettreserven“. Woher der Unterschied rührt, ist unbekannt. Möglich, dass die europäischen Fledermäuse bereits Abwehrkräfte gegen den Parasiten entwickelt haben. Vielleicht ist zusätzlich noch ein Virus im Spiel. Zudem überwintert die Kleine Braune Fledermaus dicht an dicht in riesigen Ansammlungen, die dem Pilz ein gutes Klima bieten. „Andere Arten hängen einzeln, da ist die Übertragungswahrscheinlichkeit geringer“, sagt Voigt.
Andere Forscher vermuten, dass Insektizide zumindest einen Teil der Schuld tragen. In einem Land, in dem die Landwirtschaft so stark industrialisiert ist wie in den USA, liegt das nahe. Auch wäre es nicht das erste Mal, dass Fledermäuse in großem Stil der Giftspritze zum Opfer fallen. In den 1960er Jahren verschwanden einige Arten durch den massiven Einsatz von DDT mancherorts vollständig. „Diese Gifte sind fettlöslich, werden über den Darm in den Blutkreislauf aufgenommen und dann in den Fettpolstern gespeichert. In der Winterruhe werden sie wieder mobilisiert, wenn die Fettreserven aufgebraucht werden“, erklärt Roland Heuser, der an der Marburger Uni über Fledermäuse lehrt. Kurunthachalam Kannan von der Staatlichen Universität New York in Albany fand in Kleinen Braunen Fledermäusen aus New York tatsächlich hohe Konzentrationen an Pestiziden, in Tieren aus Kentucky allerdings auch.
Andere Forscher vermuten, dass die betroffenen Fledermäuse sich vor ihrem Winterschlaf schlichtweg zu wenig Reserven anfressen. Der Biologe Karl Kugelschafter, der deutschlandweit Quartiersmonitoring für Fledermäuse betreibt, kritisiert den Mangel an Grunddaten: „Mit welchem Gewicht sind die gestorbenen Tiere in den Winterschlaf gegangen? Was brauchen sie an Reserven, um über die Runden zu kommen?“ Boyles aber weist die These der Unterernährung zurück: „Es gibt keine Beweise dafür, dass die Fledermäuse zu Beginn des Winterschlafes zu leicht gewesen wären, aber durchaus dafür, dass sie ihre Fettreserven während des Winterschlafes zu schnell aufbrauchen“, sagt er.
Markus Dietz findet es noch zu früh, um über die Gründe für das Fledermaussterben zu spekulieren. „Wir fordern, dass ein Monitoring eingerichtet wird, um besser reagieren zu können, wenn solche Phänomene auftreten“, sagt er. Auch könnte eine nähere Erforschung europäischer Fledermäuse mit WNS den Amerikanern wichtige Aufschlüsse geben. „Wenn wir verstehen, warum die Tiere hier damit gut klarkommen, würde das vielleicht helfen, die Tiere dort zu schützen“, meint Voigt.
Windräder sind eine Gefahr
Auch wenn das WNS die europäischen Fledermäuse nicht umbringt, brauchen sie auch bei uns dringend Schutz. „Die Landnutzung wird immer intensiver“, sagt Kugelschafter. Durch Städte und Gewerbegebiete fallen immer mehr Flächen für die Nahrungssuche aus, die intensive Landwirtschaft vergiftet sie mit Pestiziden und das Forstmanagement zerstört ihren Lebensraum. Auch Windkraftwerke stellen ein Problem für Fledermausarten dar, die im freien Luftraum jagen. „Es ist in der Diskussion, wie man Fledermäuse auf die Anlagen aufmerksam machen kann“, sagt Kugelschafter. Für Fledermäuse wichtige Orte könne man außerdem in die Planung neuer Windparks miteinbeziehen: „So gibt es etwa am Flughafen von Landau immer in der zweiten Septemberhälfte Ameisenschwärme, die die Großen Abendsegler anlocken. Bei den Untersuchungen geht es darum, diese Orte zu Tabuzonen zu erklären.“
Besondere Bedeutung kommt auch dem Erhalt der letzten großen Refugien zu wie etwa dem Nationalpark Edersee-Kellerwald, in dem mit 15 Spezies mehr als zwei Drittel aller bundesweit vorkommenden Fledermausarten leben. „Das liegt an den unberührten Wäldern dort, die durch ihr Alter Strukturen entwickelt haben, die im Wirtschaftswald nicht vorkommen. Dort gibt es Höhlenbäume oder Bäume, in denen sich durch Wetterereignisse Risse gebildet haben“, erklärt Dietz, der dort forscht. Der NABU ermuntert außerdem zum fledermausfreundlichen Bauen, indem man etwa auf giftige Holzschutzmittel verzichtet und Spaltenquartiere für einige Arten schafft: Damit wir Fledermäuse an lauen Abenden auch künftig auf der Mückenjagd bewundern können.
Inge Wenzl ist freie Autorin. Für den Freitag schreibt sie über Ökologie und Artenschutz
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