Stratosphärischer Ärger

Ozon Das Loch ist wieder da! Erstmals macht es sich über dem Nordpol breit. Das ist nicht bloß eine Spätfolge von FCKW und Co.

Viel hörte man dieser Tage über ungewöhnlich starke UV-Strahlung, die auch in Deutschland bereits im Frühling zu Verbrennungen führen kann – vor allem bei Kindern. Ärzte und Meteorologen empfehlen, sich vorsorglich einzucremen, ehe man nach draußen geht.

Wir erfahren: Die Debatte ums Ozonloch ist zurück. Man hatte sie fast schon vergessen, diese chemische Lücke in der schützenden Lufthülle der Erde. Spraydosen funktionieren heute ja längst ohne Treibgase, Kühlschränke und Klimaanlagen werden ohne ozonschichtschädigende Sub­stanzen gebaut und betrieben. Auch so genannte Halone, Halogenkohlen­wasserstoffe, die Brom enthalten und bis zu 50 Mal zerstörerischer sind als Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe (FCKW), werden heute kaum noch verwendet. Mit der Unterzeichnung des Protokolls von Montreal verpflichteten sich bis heute 195 Staaten, schrittweise auf die Herstellung und Verwendung dieser chemischen Substanzen zu verzichten. Nach Angaben des Bundesumweltministeriums ging ihr globaler Einsatz bis 2004 um rund 95 Prozent zurück. Das Problem wurde dadurch aber nicht gelöst: Die zerstörerischen Verbindungen reichern sich in der Atmosphäre an und bleiben dort über Jahrzehnte stabil.

Experten sind sich mithin einig darin, dass die starke UV-Strahlung in diesem Frühjahr auf einen verstärkten Ozonabbau in der arktischen Stratosphäre – in 15 bis 22 Kilometern Höhe – zurückgeht. Aber die Wissenschaft beschäftigen dabei noch ganz andere Fragen als die nach dem passenden Lichtschutzfaktor: Besteht ein Zusammenhang zwischen dem verstärkten Ozonabbau in der polaren Stratosphäre und dem Klimawandel? Welche Prognosen lassen sich für die Zukunft treffen?

Eiskalter, dünner Schleier

Am Südpol beobachtet man das Phänomen des Ozonlochs seit Mitte der achtziger Jahre: Am Ende des antarktischen Winters bildet sich dort dank des Sonnenlichts ein Loch. Eine wesentliche Rolle spielen dabei ein stabiler Tiefdruckwirbel über der Antarktis und polare stratosphärische Wolken, dünne Schleierwolken, die sich in dieser Luftschicht bei Temperaturen unterhalb von minus 78 Grad Celsius bilden. In ihrer Gegenwart verwandeln sich die Abbauprodukte von FCKW und Halonen in aggressive Ozonkiller.

Einen ähnlichen Prozess beobachtet man nun auch in der Arktis. Ein Tiefdruckwirbel, 40 Mal so groß wie die Bundesrepublik, driftet über der zentralen Arktis hin und her. Mit ihm verschiebt sich dieses Frühjahr eine stark ausgedünnte Ozonschicht abwechselnd nach Südwesten und Südosten. Derzeit liegt der nördliche Polarwirbel über Russland, alsbald könnte er sich aber auch Richtung Mittel- und Südeuropa bewegen. „Ungewöhnlich war in diesem Jahr, dass es in der Stratosphäre sehr lange kalt bliebt“, erklärt Mark Weber, Umweltphysiker an der Uni Bremen. Im März seien die Temperaturen dort sonst höher. Dazu kommt ein zweiter Faktor: So war die großräumige Zirkulation der Luftschichten innerhalb der Stratosphäre von den Tropen in die mittleren und polaren Breiten dieses Jahr sehr schwach, sodass wenig Ozon zu den Polen transportiert werden konnte.

Auch in anderen Jahren dünnt sich die Ozonschicht rund um den Nordpol im Laufe des arktischen Frühlings aus, dabei handelt es sich laut dem Klimaforscher Markus Rex vom Alfred Wegener Institut in Potsdam aber normalerweise um ein Abtragen der Spitze eines „Ozonbergs“. In diesem Jahr jedoch stand von vornherein viel weniger Ozon zur Verfügung, deshalb wird man – sollten sich die derzeitigen Einschätzungen bestätigen – jetzt erstmals von einem echten Ozonloch in der Arktis sprechen, erklärt Rex.

Ein echter Trend zum steten Loch ist dabei bislang nicht erkennbar: „Letztes Jahr hatten wir so hohe Ozonwerte (in der Stratosphäre) wie seit 20 Jahren nicht mehr“, sagt Weber. Der Wissenschaftler weist dabei dem anthropogenen Klimawandel eine entscheidende Rolle zu. In der unteren Atmosphäre, der Troposphäre, sinkt die Temperatur mit zunehmender Höhe. In der Stratosphäre nimmt sie wieder zu, denn das Ozon aborbiert die Sonnenstrahlen: „Wenn es nun unten durch die Wirkung der Treibhausgase wärmer wird, (weil diese die Infrarotstrahlen absorbieren,) gerät weniger Wärmestrahlung in die Stratosphäre, und diese kühlt ab“, erklärt Weber. Damit wird ein stärkerer Abbau des Ozons begünstigt. Gleichzeitig prognostiziert der Umweltphysiker einen gegenläufigen Effekt: „Die Ozonzirkulation von den Tropen in die hohen Breiten wird zunehmen.“ In ihrer Folge steigen die Temperaturen in der arktischen Stratosphäre und weniger Ozon wird abgebaut. Gerade dieses Wechselspiel aus stärkerer Abkühlung der Stratosphäre einerseits und stärkerer Ozonzirkulation andererseits könne zu großen Schwankungen führen und damit zu einem Wechsel zwischen Ozonberg und Ozonloch.

Wenig weiß man bisher über die Folgen einer so launigen Ozonschicht für die arktische Flora und Fauna. Bis zum Frühling ist das Plankton noch von Seeeis bedeckt. „Es hat noch kein Licht gesehen. Wenn das Eis bricht und die Lichtsäule auf das Plankton trifft, beginnt der Wettlauf, die Nährstoffe aufzubrauchen, es kommt zur Algenblüte“, beschreibt Markus Rex die Vorgänge im arktischen Frühling im Meer. „Dabei gibt es verschiedene Planktonarten, die unterschiedlich empfindlich auf UV-Strahlen reagieren“, erklärt er. Arten mit ausgeprägteren Schutzmechanismen haben bei einer stärkeren Strahlung einen Wettbewerbsvorteil. „Es kann da zu Veränderungen in der Zusammensetzung der Planktonarten kommen, die wir im Moment noch nicht abschätzen können“, sagt Rex. Da das Plankton ganz am Anfang der Nahrungskette steht, könnte das auch zu weiteren Veränderungen in der Artenzusammensetzung höherer Lebewesen führen.

Achillesferse des Menschen

Allgemein ist die zentrale Bedeutung der Ozonschicht für jegliches Leben auf der Erde unbestritten. Ihre teilweise und zeitweise Zerstörung führt zu Ernteausfällen, schädigt alle Organismen und erhöht beim Menschen das Hautkrebsrisiko und die Wahrscheinlichkeit, an Grauem Star zu erkranken. In der Pressemitteilung zur Verleihung des Chemie-Nobelpreises 1995 an die Forscher Mario Molina und F. Sherwood Rowland, die 1974 den Zusammenhang zwischen FCKW und der Zerstörung von stratosphärischem Ozon entdeckt hatten, heißt es, die Ozonschicht sei „eine Achillesferse der Menschheit (...), die durch scheinbar maßvolle Veränderungen der Zusammensetzung der Atmosphäre ernsthaft geschädigt werden kann“. Bis sich die Ozonschicht über den Polarregionen einigermaßen erholt hat, wird es nach Ansicht der Forscher noch Jahrzehnte dauern. Erst dann werden die langlebigen Ozonkiller abgebaut sein. Sofern sich die Balance des Ozonsschutzschildes bis dahin stabilisiert, können wenigstens unsere Nachfahren an einem Frühlingstag wieder nach draußen gehen, ohne sich gleich einen Sonnenbrand zu holen.

Inge Wenzl schreibt für den Freitag seit vielen Jahren über Umweltthemen

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