Abschied

Linksbündig Gibt es auf Kuba noch Sozialismus?

Cuba Si. Wer würde nicht gern wieder in den Ruf der internationalen Solidarität einstimmen. Im Januar 1959 wurde der Traum einer Revolution wahr. Von diesem Bilderbuchbeispiel des gerechten Volksaufstandes, der mit Witz, Mut und literarischer Rede einen korrupten Diktator verjagte, bezog Kuba unter Fidel Castro lange seine Legitimität. Dass einem dieses Bekenntnis nicht mehr recht von den Lippen gehen will, dazu hat derselbe Castro den letzten Anstoß gegeben, als er im März 2003 in Kuba 75 Dissidenten inhaftieren ließ. Und auch jene Sympathisanteninitiative, die trotz dieser beispiellosen Repression immer noch lauthals Cuba Si! jubelt. Auf ihrer Homepage verbreitet diese Trutzburg prinzipienfester Sozialisten extravagante Thesen. Universalismus und Menschenrechte beispielsweise, die Errungenschaften der französischen Revolution, nennt sie das "luxuriöse Schanzwerk" europäischer Intellektueller, wie dem neuerdings kubakritischen Literaturnobelpreisträger und Marxisten José Saramago. Die würden sich nicht gern die Finger im Blutbad des Lebens schmutzig machen. So sprechen die Kollaborateure der Unterdrückung. Haben Sie den Volkshelden Kubas, José Marti, gelesen? Der lehnte schon Ende des 19. Jahrhunderts alle nationalistischen Sonderrechte mit den Worten ab: "Ein Fehler in Kuba ist ein Fehler in Amerika, ist ein Fehler in der modernen Menschheit"? Von diesem Fehler wird die Geschichte Castro nicht freisprechen.

Die Diskussion um Kuba wird seit den Verhaftungen mit einer Erregung geführt, die in umgekehrtem Verhältnis zur politischen Bedeutung des Eilandes steht. Aber noch ist Kuba eben mehr als eine Insel. Kuba ist eine linke Ikone. Was im eigenen Land nicht mehr möglich ist, soll nun in der Karibik gerettet werden. Doch wer sich zu lange an Projektionen klammert, versperrt sich die Kraft zur Erneuerung. In Castros Land verdichtet sich quasi täglich der Verdacht, dass es sich - freier Bildung und Medizin zum Trotz - längst nicht mehr um den Vorschein des Paradieses handelt, dem die Genossen von Cuba Si unverdrossen Stahlkränze winden. Vielmehr ähnelt es dem repressiven System zum Verwechseln, das Günter Wallraff dieser Tage im Nachhinein in der DDR ausgemacht hat. Von Wallraff stammt auch die Erkenntnis, dass es ein Fehler der Linken war, in den achtziger Jahren die Menschenrechte im damaligen Ostblock nicht energischer zur Sprache gebracht zu haben, aus der falschen Angst heraus, die einzige Alternative zum Kapitalismus ins Wanken zu bringen. Nun hat die Bundesregierung den deutschen Schwerpunkt auf der Buchmesse in Havanna im nächsten Frühjahr abgesagt. Ohne Not hat sie sich der perfiden Blockadepolitik der USA untergeordnet. Damit lässt auch sie den spätstalinistischen Rückzugsgefechten eines verhärteten Regimes freien Lauf. So schadet sie nicht nur den inhaftierten Intellektuellen. Sie hätte auch den Dialog anstoßen können, den Kuba braucht, um nach dem Abgang Castros einen eigenständigen Weg zu gehen, der nicht zurück zum Bordell der USA führt.

Ein Kuba nach dem Geschmack George Bushs und der Miami-Boys ist gewiss das letzte, was man sich wünscht. Doch was nützt der Welt eine revolutionäre Alternative, wenn sie sich nur mit Leib und Leben Unschuldiger retten zu können glaubt? Dass sich ein paar verbohrte Altmarxisten als Schreibtischtäter gefallen, wird man verschmerzen können. Doch wie konnte ein veritabler Intellektueller wie Ernesto Cardenal in die Aufrechnungsfalle gehen und die inhaftierten Kubaner und die Guantanamo-Gefangenen der USA gegeneinander halten? "Kuba tut weh" hat selbst Eduardo Galeano dieser Tage gesagt. In diesem Fall schmerzt es besonders.

Muss man den Christen Cardenal an den Kollegen Christus erinnern? Was ihr dem geringsten unter meinen Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan, hat der Sozialist der Bergpredigt einmal bemerkt. Wenn es stimmt, dass der Lyriker und Journalist Raul Rivero nicht vom CIA bezahlt wird und ohne ausreichende medizinische Versorgung in Isolationshaft sitzt, nur weil er sich für eine unabhängige Presse in Kuba eingesetzt hat; dann stellt sich die Frage, ob es dort ein gesellschaftliches System gibt, das den Namen Sozialismus zu Recht trägt. 1991 brach Rivero, als Autor vom Regime gefördert, mit dem offiziellen Journalismus, den er "fiction about a country that does not exist" nannte. Hoffentlich muss man am Ende auf diese Frage nicht antworten: Cuba No! Doch wenn Castro so weitermacht, wird er nicht als Held, sondern als Fluch der Karibik enden.

www.raulrivero.com, www.freemedia.at, www.cubafacts.com

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