Adam und Eva am Plattensee

Sündenfall In seinem neuen Roman "Adam und Evelyn" variiert Ingo Schulze ein uraltes Motiv

War die DDR ein Paradies? Die Frage liegt auf der Hand. Denn wenn ein Autor einen Roman über das plötzliche Verschwinden derselben Adam und Evelyn nennt, dürfte klar sein, welche Assoziationen er damit bezweckt. Die Helden des neuen Romans von Ingo Schulze sind nicht nur der Damenschneider aus Ostberlin und seine Freundin, eine verhinderte Kunsthistorikerin, als die sie in diesem Buch auftreten. Sie sind in erster Linie Wiedergänger zweier Gestalten, die einem etwas älteren Traktat entstammen. Und diese beiden wurden bekanntlich aus einem Garten namens Eden vertrieben. Damit fing das Elend an, das unter dem Namen Menschheitsgeschichte bekannt ist. Will also ausgerechnet der 1962 in Dresden geborene Ingo Schulze nun das Paradies namens DDR wiederhaben?

Natürlich wäre es ein Kurzschluss, den Roman so zu lesen. Zwar hat Schulze schon in Simple Storys, dem Roman, mit dem ihm 1998 der Durchbruch gelang, den desillusionierenden Alltag Ost nach der Wende aufs Korn genommen, wo die gewohnte Welt plötzlich aus den Fugen geriet. Doch der Berliner Autor ist ein viel zu kluger Mann, als dass er irgendwelchen Nostalgikern in die Hände arbeiten würde. In der letzten Zeit hat dieser überaus freundliche Zeitgenosse allerdings immer kritischere Töne angeschlagen. Bei der Verleihung des von dem Energiekonzern E.on gespendeten Thüringer Literaturpreises im November 2007 kritisierte er die "Refeudalisierung" des Kulturbetriebes. Und einem Interview zog er kürzlich mit den Worten eine bittere Bilanz der Einheit, "dass die Bundesrepublik vor neunzehn Jahren eine gerechtere Gesellschaft war als heute".

Oberflächlich scheint das Personal seines Romans in das sich verdüsternde Weltbild eines Autors zu passen, der zu Wendezeiten ausgezogen war, "die Demokratisierung zu begleiten". Denn der sonst so fröhliche Adam, ein Mann von knapp 30 Jahren, der in der DDR als Damenschneider und Frauenheld sein bequemes Auskommen hatte, endet als missmutiger Wendeverlierer. In einem Garten in Süddeutschland verbrennt er zum Schluss alte Fotos. Doch erst einmal reist er in seinem alten Wartburg der geliebten Evelyn nach. Die hat ihm nach einer seiner zahlreichen Affären endgültig den Laufpass gegeben und will mit ihrer Freundin Simone und deren West-Cousin Michael an den Plattensee. Auf verschlungenen Wegen über Prag, Ungarn, Österreich und Bayern landet Adam schließlich eher unfreiwillig in der großen Freiheit. Schneidernde Lebenskünstler à la Adam sind im Goldenen Westen leider doch nicht so gefragt wie in der modearmen DDR. Am Ende droht sogar ein Job in Flickschneiderei.

Trotz des traurigen Schicksals heißt das Buch aber nicht, so wie Schulzes Roman Simple Storys im Untertitel Roman aus der ostdeutschen Provinz hieß, "Roadmovie aus der Wendezeit oder so ähnlich. Adam und Evelyn werden in Ungarn von der plötzlichen Grenzöffnung überrascht. Wenn sie im Hotelzimmer in Ungarn darüber streiten, ob sie in den Westen gehen sollen oder nicht, wird noch einmal eine Entscheidungssituation nachgespielt, die sich für Westdeutsche so nicht gestellt hat. Und das bemerkenswert unpathetisch. Adam hat zwar unterwegs die Tramperin Katja im Kofferraum über die Grenze geschmuggelt. Für ihn kommt der Gang in den Westen aber nicht in Frage. Schließlich siegt Evelyn mit ihrem Argument: "Ich weiß auch nicht, ob es mir drüben wirklich gefällt, aber ausprobieren will ich es." Mit fliegenden Fahnen macht sich dieses Paar nicht in den vielgelobten Westen auf. Eher fällt es ihm schwer, sich aus den alten Mustern zu lösen. Schon Evelyn gibt kein gutes Bild ab, wenn sie sich im Verlauf der Reise erst dem schicken Wessi Michael an den Hals wirft, um sich an ihrem notorischen Schürzenjäger zu rächen, sich dann aber doch wieder an ihn kuschelt, weil "Adam ihr vertraut" war. Bei aller Ost-Spezifik scheint darin ein Grundkonflikt auf, mit dem sich Menschen aller Himmelsrichtungen konfrontiert sehen, wenn sich die Grundkoordinaten ihres Lebens unversehens auflösen und die Frage im Raum steht: Gehen oder bleiben? Schulzes eigenem Anspruch, "den alten Geschichten von Liebe und Tod etwas von unserer eigenen Zeit einzuschreiben, indem ich mich vorhandener Muster bediene", wie er in seiner Leipzger Poetikvorlesung erläutert hat, wird er damit durchaus gerecht.

Es liegt ein gewisser Reiz darin, dem Ende des Gestalt gewordenen Sozialismus mit Hilfe eines Mythos nachzuspüren. Schon Heiner Müller versteckte in dem scheinbar unverdächtigen Medium seinen Sarkasmus über dessen Deformationen. Auch bei Schulze trägt die Anleihe bei der Kulturgeschichte Zinsen. So wie er einen Ur-Mythos in ein federleichtes Alltagsgewand kleidet, macht er ihn wieder konsumierbar. Adam und Evelyn ist keine strenge Parabel zum Sündenfall. Eher denkt man an Gottfried Kellers Romeo und Julia auf dem Lande. Letzlich gleicht die luftige Machart mit ihren endlos plätschernden Dialogen aber mehr TV-Vorabendserien deutscher Provenienz als den Größen der amerikanischen Short-Story von Raymond Carver bis John Cheever, die immer bemüht, wer Schulzes Erzähltalent charakterisieren will. Anders als in seinem schwerfälligem Briefroman Neue Leben (Freitag 43/2005) kommt der geschichtsmächtige Stoff noch in der heitersten Form daher. Wenn Adam und Evelyn im Hotel in einer gefundenen Bibel schmökern und sich darüber ereifern, dass der liebe Gott die Weisheit vom Baum der Erkenntnis für sich allein reservieren will, transportiert das mythische Motiv sogar seine eigene Kritik. Auch wenn Schulze es noch so überzeitlich anlegt. Unterschwellig rumort in diesem Buch die ominöse Idee von der DDR als geschützter Werkstatt. Aber wenigstens das Paradies der Respektlosigkeit, das in ihr ganz offenbar gedieh, wollen wir gerne wiederhaben.

Ingo Schulze Adam und Evelyn" target="_blank">Adam und Evelyn. Roman. Berlin, Berlin 2008, 318 S., 18 EUR

Ingo Schulze Tausend Geschichten sind nicht genug: Leipziger Poetikvorlesung: Leipziger Poetikvorlesung 2007" target="_blank">1000 Geschichten sind nicht genug. Leipziger Poetikvorlesung 2007. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2008, 76 S., 7 EUR

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