Alles mal noch nicht anders machen

Naivität als Ausrede Florian Illies hat seiner "Generation Golf" ein paar Sorgenfalten aufgemalt

Generation Ratlos. Wenn man der Inflation der Generationskohorten von der Kriegsgeneration über die Flakhelfergeneration, von der "Vergessenen Generation", von Helmut Schelskys "Skeptischer Generation" zur Generation 68, den Generationen X, 78 und zuletzt der Generation Berlin (alias: Generation Bagel) noch eine schimmernde Etikette hinzufügen will, dann vielleicht die Generation Ratlos. Das Kriterium ist so unscharf, dass es gut in diese Reihe passt. Gleichzeitig bezeichnet es am besten, was übrig ist von der "Generation Golf". Die Lebenszeit dieser harmlosesten Stubenfliege der Berliner Republik währte kaum drei Jahre. Der Lack ist ab vom Playmobil.

Darf man triumphieren, dass die biedere, unpolitische, markengeile Generation in die Sackgasse geraten ist, der die Frage Geha oder Pelikan wichtiger war als die Frage nach Reform oder Revolution? Darf man Schadenfreude hegen, dass der Mann, der sich mit naiver Selbstgerechtigkeit über Achtundsechziger und sozialdemokratische Lehrer lustig machte, jetzt wie eine gehobene Ich-AG zu Hause sitzt, deprimierende Post von der Bank öffnet und entgeistert den Sinkflug der DAX-Kurve verfolgt? Man darf. Andererseits ehrt es den 1971 geborenen Florian Illies auch wieder, dass er sich nicht klammheimlich in die Etappe verkrümelt hat und dort so tut, als ob nichts gewesen wäre. Auch wenn er sich die Analyse einfach macht und für das Scheitern flugs den Buddha seiner Kindheit verantwortlich macht, der alles nur ausgesessen hat: "Ich finde, wir sollten uns darauf einigen, dass Helmut Kohl schuld ist."

Warum denkt einer neu über seine Generation nach? Nur um mitzuteilen, dass es die ersten grauen Haare gibt? Dass Freundin Carolin einen Krähenfuß am Auge hat? Dass die ersten kleinen Abgrenzungsschlachten in den Beziehungen beginnen? Gewiss nicht. Dass der Vorschuss, den der plötzliche Starautor Illies für seine ungeschriebenen Bücher kassiert hat, halt irgendwie abgeschrieben werden muss, ist schon ein stärkeres Argument. Was aus dieser Reflexion herausgekommen ist, ist zwar selbst unter Gesichtspunkten der ganz einfachen Pop-Literatur kaum der Rezension wert. Es ist dieselbe, identifikationserzwingende Innenperspektive, dieselbe Oberflächenbegeisterung - früher für die Yogurette, heute für den Caipirinha. Und derselbe Doppelcharakter wie bei der ersten Ausgabe macht das Buch zu einem ähnlichen literarischen Bastard wie Jana Hensels Zonenkinder - banal, seltsam unhistorisch und doch aufschlussreich. Hatte Illies mit seinem ersten Golf noch ganz in jugendlicher Selbstgewissheit die Jugendorganisation der Neuen Mitte unübersehbar nach Berlin verfrachtet, spiegelt sein neuer Text deren Desillusionierung. Die Spaßgesellschaft ist vorbei, die New Economy auch und die Arbeitslosigkeit rückt näher, die bisher bekanntlich nur ein albernes Nürnberger Ritual und eine Erfindung von Frau Engelen-Kefer war. Welchen Erdrutsch diese geistige Erosion in einem nicht ganz unerheblichen Segment der Dritten Republik nach sich ziehen wird, ist noch nicht ganz auszumachen. Es steht nur fest: da bröckelt etwas.

Konsequenzen aus der massiven Verunsicherung will Illies noch nicht ziehen. Nicht dass ihm nicht aufgefallen wäre, wie schlecht die Welt ist. Nicht, dass ihm nicht dämmerte, dass der utopielose Pragmatismus seiner Generation seine Verlogenheiten mitschleppt. Doch in Generation Golf zwei scheut er sich, all diese Erkenntnisse zu Ende zu denken. Stattdessen gibt er weiter den jungen Naiven, der seine vermotteten Aversionen gegen die Gewerkschaften, "Jürgen-Dosenpfand-Trittin" und den Kartenabreißer im Kreuzberger 68er-Museum, Hans-Christian Ströbele, pflegt. Nur bei noch monströseren Auswüchsen der Gentechnik, gesteht er zu, "könnte es sein, dass wir mit auf die Straße gehen." Nun ist niemand gezwungen, zum politischen Widerstandskämpfer zu werden. Doch gegen diese halbherzige Koketterie ist Jana Hensels modischer Retrovirus in Sachen DDR schon fast eine revolutionär zu nennende Haltung. Ein Jahr nach dem 11. September 2001 hatte Illies in einem Interview zwar von den Grenzen der politischen Abstinenz gesprochen und zu Protokoll gegeben: "Aber irgendwann wird Naivität dann eben doch zu einem Vergehen, nicht in der Sektion Aktienanlage, sondern im Bereich Moral und Politik." Ein Jahr später wird ihm Naivität noch einmal zur Ausrede.

Illies versteckt sich und seine älter gewordene Generation zwar hinter dem halbherzigen Passepartout-Satz: "Ich könnte mir auch vorstellen, mal was ganz anderes zu machen". Das ist, beim Kaffee in Mitte dahin geplaudert, zwar ungefähr so ernst gemeint wie der Spruch auf Alt-68er-WG-Plakaten: "Lebe wild und gefährlich". Trotzdem grundiert diese Hinhaltetaktik eine latente Unzufriedenheit und Veränderungsbereitschaft wie bei Jana Hensels modisch getöntem Ärger über die Entsorgung der Ostgeschichte. Nimmt man die melancholische Ziellosigkeit von Judith Hermanns Protagonisten noch dazu, wird das Deutschland der Zukunft von drei höchst diffusen Sehnsüchten in die Zange genommen. Man darf wirklich gespannt sein, wohin sich diese Geistesdämmerung entwickelt.

Bei Illies sollte man sich freilich nicht allzu große Hoffnungen machen. In Stil und Habitus hat dieser Autor nie recht den Typ des verschreckten Primaners abgelegt. Das hat seine Erhebung zur Ikone, zum Vorschein des Intellektuellen der Zukunft, der alles so anschaulich auf den Arm nehmen aber nichts richtig analysieren kann, nicht zu überdecken vermocht. Im Grunde seines Herzens ist Illies immer der Kunsthistoriker im hellbraunen Sakko und Brille mit Goldrand geblieben. Mag er auch noch so schicke Heinz-Bude-Kommunikationsbrillen der Marke "Berlin Mitte" aufgesetzt haben. Friedlich besuchte er Anfang der beschaulichen neunziger Jahre die Vernissagen des durchaus avantgardistischen Bonner Kunstvereins und schrieb wirklich gescheite Artikel in der FAZ. Bis er sich aus bis heute ungeklärten Umständen von einem Mephisto namens Frank Schirrmacher zum neuen Fesselballon der Post-68er aufpumpen ließ. Nachdem er entnervt aus des großen Zampanos Medienzirkus ausgestiegen ist, hätte man eine profunde Bilanz dieses publizistischen Wolkenkuckucksheims erwarten können, aus dem Illies immerhin geschieden ist, weil er "wieder kreativ" arbeiten wollte. Doch unverdrossen pflegt er die Mär von dem Jungen aus dem Fuldaer Land, der erst nach Frankfurt und dann nach Berlin zog wie einst Eichendorff nach Italien.

Wüssten wir es nicht aus der FAZ, dann wären wir nie auf die Idee gekommen, dass hier der Ex-Chef der Berliner Seiten und des Feuilletons der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung schreibt. Dass hier einer in jungen Jahren an den Schalthebeln von Hans Magnus Enzensbergers "Bewusstseinsindustrie" gesessen hat, ist ihm kein Quentchen Selbstreflexion wert. Bei ihm klingt es immer wie Schülerzeitung. Und abgesehen davon, dass der Name Schirrmmacher in diesem Buch, das sich wie eine Gebrauchsanleitung für besonders einfallsloses name dropping liest, nicht ein einziges Mal vorkommt, fällt diese Bilanz ungefähr so aus wie die brave Beichte eines Studenten, der in den Semesterferien zu Hause am liebsten wieder in den flauschigen Bademantel kriechen würde, in dem er im ersten Buch samstagabends mit frisch gewaschenen Haaren schlüpfen durfte. Der Theorieskeptiker Illies bringt das Kunststück fertig, mit einer dezidiert antisoziologischen Erzählhaltung Züge eines kollektiven Sittenbildes zu zeichnen. Doch der Ich-Erzähler, der das zustande bringt, wirkt nie so, als ob ihn die schreckliche Entfernung von der süßen Unschuld wirklich erschüttert. Woran liegt das? War das Honorar vielleicht doch zu üppig? Hat er sich allzu sehr hinter dem großen WIR versteckt, mit dem er den Rest der Jugend ständig in Geiselhaft zu nehmen versucht? Die einzige - interessante - Gemeinsamkeit, die er mit Jana Hensel hat. Eine Bilanz, die wirklich ans Eingemachte rührt, ist dieses Buch nicht geworden.

In Generation Golf eins konnte Illies noch eine Metapher durchspielen. Generation Golf zwei liest sich dagegen wie ein unendlich verlängerter Latte Macchiato, jenem Grundnahrungsmittel aus Berlin Mitte. Um Seiten zu schinden, schreckt Illies nicht vor den plattesten Pointen, Sottisen und Wortspielereien zurück. Und gefällt sich, weil ihm offenbar zu den geistigen Untiefen seiner Generation nicht mehr so viel einfällt, im billigsten Trendgeplauder vom Preissystem der Deutschen Bahn bis zur kommunikationsverhindernden Dialektik der Telekommunikation. Wie, fragt man sich entgeistert, konnte dieser begabte Autor so auf den Horx kommen? Mentor Schirrmacher hat Illies´ Abgang vor einem Jahr als seine "bitterste Niederlage" bezeichnet. Nach diesem faden Zweitaufguss artiger bis nachlässiger Pennälerprosa ist man darüber doch einigermaßen ratlos.

Florian Illies: Generation Golf zwei. Blessing, München 2003, 256 S., 16,90 EUR

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