Arbeit am Mythos

GESCHMACKSPOLITIK Zwei Biografien über Jackie Bouvier Kennedy Onassis

Als der amerikanische Präsident Bill Clinton und seine Frau Hillary im Sommer 1993 Jacqueline Kennedy zwei Jahre vor ihrem Tod auf der Insel Martha's Vineyard vor der amerikanischen Ostküste besuchten, hielt Jackie ihren damaligen Lebengefährten, den Diamantenhändler Maurice Tempelsman plötzlich zurück und schickte ihren Schwager Ted Kennedy vor, um die First Family zu begrüssen. "Maurice braucht sich nicht um seine Wiederwahl zu kümmern" wies sie den Senator von Massachussetts an. Selbst in einem Lebensabschnitt, in dem die ehemalige First Lady der USA nach übereinstimmender Meinung der amerikanischen Historiker Donald Spoto und Sarah Bradford nach Jahrzehnten öffentlicher Inszenierungsarbeit zu ihrem eigenen, unverstellten Leben fand, verließen sie ihr politischer Instinkt und ihr Sinn für Bühnenwirkung nicht. Vor allem mit ihm hatte sie jenen Mythos begründet, von dem auch Clinton profitieren wollte.

Geschaffen hatte sie ihn im Jahr 1964. Ein Jahr nach der Ermordung ihres Mannes John F. Kennedy in Dallas, so berichten beide Biographen übereinstimmend, prägte sie im Gespräch mit dem amerikanischen Journalisten Teddy White den Mythos von Camelot. Sein ihm von Jackie posthum angedichtetes Lieblingslied vom Ritter der Artus-Sage kannte Kennedy gewiss nicht. Doch die Glorifizierung seiner Präsidentschaft glückte. Die Inszenierung des Mythos steckte Jackie sozusagen im Blut. Ihr Großvater John Vernon Bouvier III pflegte seine Enkel eine selbsterfundene Fibel auswendig lernen zu lassen, mit der er die von südfranzösischen Kuhhirten abstammende Familie in ein altes Adelsgeschlecht verwandelt hatte.

So genau die beiden, sechs Jahre nach Jackie Kennedys Krebstod 1995 erschienenen Bücher diesen und andere, zielsicher gesetzte Mythen um einen Mythos zerpflücken, so sehr scheitern sie im Ganzen. Die "tiefe Empathie" Jackies für andere Menschen, die Spoto so rühmt, scheint den langjährigen Religionslehrer und Autor zahlreicher Biographien von Jesus bis Marlene Dietrich während des Schreibens auch überfallen zu haben. Der rosa Umschlag seines Buches ist Programm. "Nichts deutet darauf hin..." lautet sein Standardsatz, wenn er es bei heiklen Themen wie dem Drogenkonsum oder den Seitensprüngen John F.Kennedys lieber nicht allzu genau wissen will. Doch was bei ihm an kritischer Darstellung zu kurz kommt, übertreibt die "Book-of-the-year"-Preisträgerin Sarah Bradford. Sie geht zwar erheblich kritischer mit der "zwiespältigen" Persönlichkeit Jackies um, kritisiert ihre Verschwendungssucht, die Geldbesessenheit und die Unterdrückung missliebiger Familiennachrichten. Zwar zeigt ihre aufschlussreiche Analyse der Liebe Jackies zu ihrem Vater "Black Jack" Bouvier und der Furchtliebe John F. Kennedys zu seinem Vater Joe, beide skrupellose und trunksüchtige Geschäftmänner, einem notorischen Hang zum Seitensprung und unerfüllten Ambitionen, die für die USA charakteristische Verwandlung psychischer Deformationen in politisch-soziale Energie. Für die Eltern sterben die Kinder - diese Triebkraft des amerikanischen Generationenverhältnisses erfüllt sich derzeit erneut bei George W. Bush. Die frühkindlich geprägte Abhängigkeit Jackies von starken "Piraten"-Männern wie ihrem Vater trieb sie in die Arme des griechischen Tycoons Aristoteles Onassis. Er versprach ihr Schutz, Privatleben und Geld - die Dinge, um die sie immer fürchtete. Eine Griechin, wie sie im Herzen Französin war, wurde sie aber nicht, auch wenn sich die wissbegierige, literatursüchtige Intellektuelle eine Zeit lang intensiv mit der griechischen Philosophie und Kunst beschäftigte. Viel Erfolg hatte sie damit bei Onassis nicht. Versuchen Sie mal mit einem Mann über Sokrates zu diskutieren, der lieber als an Land auf den Barhockern seiner Yacht sitzt, die mit Leder aus Walhoden bezogen sind und mit Matrosen um die Wette trinkt.

Bradford gewährt einen spannenden Einblick in die Klassenmechanismen und die Intimsphäre der WASP-Geldaristokratie der Ostküste, die Politik eher wie Sport denn aus Überzeugung betreibt. Doch sie entwertet ihre ungeheure Detail- und Archivarbeit, so wie sie auf den Schlüssellochblick des Lesers spekuliert. So minutiös sie die unzähligen Seitensprünge John F. Kennedys, und die erotischen Eskapaden Jackies in ihrer Witwen- und Partyzeit nachzeichnet, dass man sich an Kenneth Starrs Clinton-Report erinnert fühlt, so sehr vermisst man, dass sie das Individuelle aus dem Historischen entwickelt. Wie es dazu kam, dass die Frau, die zeit ihres Lebens der "Stratossphäre der Superreichen" verhaftet blieb, sich für die Bürgerrechtsbewegung engagierte, warum Jackie aus Verzweiflung über die Tragödie in Vietnam eines Tages dem ehemaligen Verteidigungsminister ihres Mannes, Robert McNamara an die Brust trommelte und ihn anschrie: "Sie müssen diesen Krieg beenden", kann man sich nach beiden dicken Büchern nur schwer erklären.

Lange nicht so politisch wie die ehrgeizige Hillary Clinton, war Jackie Kennedy auf lange Sicht gesehen womöglich dennoch erfolgreicher. Die Frau, von der Bradford sagt, sie habe kein soziales Gewissen gehabt, die nicht an politischen Diskussionen teilnehmen oder bei feministischen Gruppen mitmachen wollte, stattdessen lieber zur Fuchsjagd ausritt, hat mit ihrer Geschmackspolitik das Stilempfinden einer Nation so nachhaltig geprägt wie kaum jemand sonst, Im interkontinentalen Chat gestand mir letzthin ein junger Amerikaner, der sie nur als historische Gestalt kennen konnte: "Sie war eine Lady wie dieses Land keine zweite sehen wird.". Damit ist nicht nur das Bild der schwarzumflorten, antiken Trauergestalt im Kapitol in Washington im November 1963 gemeint, das sich unauslöschlich ins kollektive Gedächtnis der USA eingeprägt hat. Sondern auch das Bild zeitloser, entrückter Eleganz, mit dem sich Jackie Kennedy von der amerikanischen Hemdsärmeligkeit absetzte. Dem ruppigen Kennedy-Clan brachte sie erst einmal Essmanieren bei. Den auch in ihrer Immigrantenfamilie tief sitzenden Minderwertigkeitskomplex kompensierte sie mit ihrer Liebe zur französischen Kultur. Im Weissen Haus, so Bradford, versuchte sie die deren vergangene Größe nachzugestalten. Doch sie transformierte diese typische Leidenschaft für das alte Europa zu Ansätzen einer amerikanischen Nationalkultur. Dazu gehörte die historische Restauration des Weißen Hauses und seine Deklaration zum Nationalmuseum.

Jackie Kennedy war die lebende Verkörperung der These von der sozialen Macht der Schönheit. Ob es General de Gaulle oder KP-Chef Chruschtschow, amerikanische Bergarbeiter oder mexikanische Revolutionäre waren. Wenn Jackie Kennedy im Designerkleid und Pill-Box-Hut, der Grundausrüstung des Jackie-Kults, der allmählich einsetzte, mit ihrer unnachahmlichen Kleine-Mädchen-Stimme auftauchte und nur sagte: "Ich freue mich hier zu sein", lagen ihr mehr Menschen zu Füssen, als ihrem charismatischen Mann, als er in seiner Inaugurationsrede den Begriff der New Frontier prägte. Nur mit dem Stichwort Design lässt sich die Faszination dieser Politik des Unpolitischen nicht abtun. Und trotz der Schwächen beider Biographien kann man in ihnen eine Emanzipationsgeschichte erleben - Emanzipation von Macht, Ruhm, Luxus und starken Männern. Mit dem paradoxen Ergebnis: als die "Königin Amerikas" (Frank Sinatra) im normalen Leben ankam, als die Lektorin Jackie Kennedy jeden Morgen ihre Wohnung gegenüber dem Central Park in New York verliess, um zur Arbeit im Verlag Doubleday zu gehen - schien ihr Mythos am größten.

Sarah Bradford: Jackie Kennedy Onassis. Ein leidenschaftliches Leben. Aus dem Amerikanischen von Petra Dudas. Wolfgang Krüger Verlag, Frankfurt am Main 2000, 832 S., 68,- DM

Donald Spoto: Jackie O. Das Leben der Jacqueline Bouvier Kennedy Onassis. Aus dem Amerikanischen von Ilse Utz. Europa-Verlag, Hamburg-Wien 2000, 416 S., 39,50 DM

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