Erfolgsgeschichte Vom Tagebau zum Naherholungsparadies: 28 Jahre nach "Flugasche" hat sich Monika Maron wieder in Bitterfeld umgesehen. "Bitterfelder Bogen" hat sie ihren Bericht genannt
B. ist die schmutzigste Stadt Europas.“ Einen ganzen Morgen grübelt Josefa Nadler, wie sie ihre Reportage beginnen soll. Die Berliner Journalistin hat in Bitterfeld recherchiert. Einer kleinen Stadt in der DDR, wo ein überaltertes und umweltgefährdendes Kohlekraftwerk steht, das jeden Tag 180.000 Tonnen Flugasche über dem real existierenden Sozialismus abwirft. Jetzt kämpft sie mit der Schere im Kopf. „Du kannst alles schreiben, wenn du es nur richtig einordnest.“ Nadler entscheidet sich für die Wahrheit, gegen irgendeinen Kompromiss. Der Text der jungen Journalistin wird zum Beginn eines großen Abschieds.
Ein riesiges Q
AlsFlugasche"> Flugasche1981 erschien, war das eine Sensation. Das Stigma der Dystopie umgab den real existierenden
Flugasche"> Flugasche 1981 erschien, war das eine Sensation. Das Stigma der Dystopie umgab den real existierenden Sozialismus schon länger. Nun hatte es mit einem Mal eine empirische Basis, an der niemand vorbei konnte. Auch wenn Flugasche „nur“ Fiktion war: Zu Zeiten der erwachenden Umweltbewegung musste das Buch auch für jeden westdeutschen Linken zur irritierenden Lektüre werden. Das Signal nach innen: Wieder einmal begab sich eine Frau auf den Rückzug in das Refugium des Privaten. So wie schon 1974 Brigitte Reimanns Franziska Linkerhand">Franziska Linkerhand, die junge lebenshungrige Architektin aus dem Braunkohle-Kombinat Neustadt. Dass die Erfinderin der fiktiven Josefa, die 1941 geborene Monika Maron, Stieftochter des ehemaligen DDR-Innenministers Karl Maron, 1988 ihre Heimat verließ, war dann nur konsequent. Auch wenn das dem privilegierten Kind der Nomenklatura, leichter fiel als anderen.Knapp 30 Jahre später ist diese Frau wieder nach Bitterfeld zurückgekehrt. Ein Vorgang, wie er symbolträchtiger nicht sein könnte. Diesmal findet sie ein Paradies vor. Oder jedenfalls fast eins. Denn die dreckigste Stadt Europas geht einer – im wahrsten Sinne des Wortes – „strahlenden Zukunft“ entgegen. Der unwirtliche Flecken in Sachsen-Anhalt ist zum Standort des größten Solarzellen-Herstellers der Welt geworden. Auf den 20 Fotografien ihres Sohnes Jonas, die dem Buch beigegeben sind, sieht man das riesige Q auf dem Bürogebäude von Q-Cells schon von weitem auf der Autobahn vor Bitterfeld-Wolfen.Monika Maron ist mit dem Architekten der Solarzellenfabrik befreundet. Das mag einen Anstoß zu dem Stoff gegeben haben. Trotzdem dürften politische Motive für diesen Bericht eine ebenso wichtige Rolle gespielt haben wie poetische. Denn der Bitterfelder Bogen – benannt nach dem graziösen Stahlbogen, der die Landschaft seit der Expo 2000 überspannt – ist – betont sachlich – als „Bericht“ verfasst und nicht als Roman. Nicht Josefa Nadler kehrt zu ihren Anfängen zurück, sondern die Reporterin und politische Intellektuelle, die die Schriftstellerin Monika Maron auch ist.Die war mit ihren Invektiven gegen jede Art von Links- und DDR-Nostalgie in den letzten Jahren zu einer Art Galionsfigur des West-Establishments avanciert. Als am 4. November 1989 DDR-Intellektuelle auf dem Alexanderplatz den Aufruf „Für unser Land“ lancierten, spottete die gerade mal ein Jahr zuvor aus der DDR Übergesiedelte – über diese und ihre westdeutschen Sympathisanten mit einer Brecht-Paraphrase: „Diesmal ist nicht die Regierung vom Volk enttäuscht, diesmal sind es die Dichter“. Und als vor kurzem Günter Grass sein Tagebuch der Wende (der Freitag 16. 2. 2009) vorstellte, in dem er darauf bestand, die Einheit sei ein Fehlschlag, entgegnete sie ihm in der Süddeutschen Zeitung mit dem – auf ihr Buch vorgreifenden – Satz: „Die Unke hat geirrt“.Insofern verwundert es nicht, dass im Bitterfelder Bogen. Ein Bericht">Bitterfelder Bogen das Wort „Erfolgsgeschichte“ auftaucht. Maron beschreibt darin die Geschichte von drei Kreuzberger Linken, die im Osten erfolgreiche Unternehmer geworden sind. Es klingt ja auch wie eine Farce, dass ein Mann wie Rainer Lemoine, „Marxist und Kettenraucher“, Kopf eines „sozialistischen Ingenieurkollektivs“ aus einem Kreuzberger Hinterhof nun als Beweis für die späte Erfüllung der „blühenden Landschaften“ herhalten muss; ein Motto, das dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl den Spott aller Linksintellektuellen eingetragen hatte. Landschaften, die übrigens keineswegs nur metaphorisch zu verstehen sind. „Bitterfeld ist immer noch kein schöner Ort“, gesteht Maron in einem Interview zu. Doch das einstige Tagebauloch der Goitzsche ist heute ein Binnensee in einem Naturschutzgebiet. In Bitterfeld haben sich 360 Betriebe angesiedelt, 11.000 Arbeitsplätze sind entstanden.Die Börse ist dummGemessen an dem emotionalen Triumphgeheul, mit dem sie die deutsche Einheit begrüßt hatte, überzeugt Maron in diesem, „Bericht“ übertitelten Buch mit einem angenehm zurückhaltenden Tonfall. Direkt nach dem Mauerfall 1989 war Maron, so beschreibt sie es in ihrer Familiengeschichte Pawels Briefe (der Freitag 26. 2. 1999), aus Hamburg zu ihrer Mutter in den Osten gefahren. Und konnte es sich nicht verkneifen, ihr schon am Gartentor „Ich bin der Sieger der Geschichte“ zuzurufen. Mit der Überheblichkeit des Konvertiten kostet sie diesen Moment voll aus: „Von diesem Triumph hatte ich geträumt“.Ganz anders nun 20 Jahre später in Bitterfeld-Wolfen. Maron schreibt keine Aufbau-Ost-Prosa, sondern untersucht die Dinge mit einer Art melancholischen Präzision. So genau und unprätentiös, wie sie sich alle Probleme sprachlich aneignet. Von der Standortförderung bis zur Silicium-Herstellung kommt in diesem „Bericht“ die proletarische Ästhetik wieder zu Ehren, die die SED vor genau 60 Jahren in einem großen Kulturkongress in der Stadt ausgerufen hatte und seitdem als „Bitterfelder Weg“ zu einem geflügelten Wort aufstieg.Dass bei Maron keine Arbeitslosen auftauchen, ist ein Schönheitsfehler dieses Buches. Doch den Menschen, die sie trifft, begegnet sie auf Augenhöhe und einfühlsam. Schon in dem Kapitel, in dem sie die Geschichte des einstigen Chemiedreiecks von der Zeit an rekapituliert, als Walther Rathenau 1893 die ersten Anlagen bauen ließ, sieht sie die „duldsame Ehrbarkeit“ der Menschen, über die sie sich schon zu DDR-Zeiten geärgert hat, in milderem Licht. Sie sieht die vielen Fehler der Treuhand mit eigenen Augen, versteht das Gefühl vieler Ostdeutscher besser, „auf eigenem Terrain deklassiert oder entmündigt“ worden zu sein. So fällt denn auch die Abrechnung mit Günter Grass vergleichbar milde aus. Seine Idee einer Konföderation nennt sie dessen „geträumte Welt“.Maron erteilt den Ideen eine Absage, die ostdeutschen Länder zum „Experimentierfeld für postindustrielle Lebensformen“ zu machen. Eine Idee, die zuletzt der Berliner Soziologe Wolfgang Engler in seinem Buch vertreten hatte (der Freitag 11. 10. 2002). Doch trotz der kapitalistischen Erfolgsbilanz, die sie da auffächert, meint man ihre Sympathie für Männer wie Rainer Lemoine aus Kreuzberg zu spüren, dem vermutlich nichts ferner lag, als dem Kapitalismus neues Leben einzuhauchen. Mehr als einmal zitiert sie nachdrücklich das Motto des 2006 an Krebs gestorbenen Unternehmers: „Scheiß auf dem Kommerz. Lass uns was Richtiges machen“. Seine Stiftung, die alternative Energie in Entwicklungsländern fördert, existiert noch heute.Mit dem liebevoll gezeichnten Bild Lemoines und seiner Weggefährten, die heute aus der Firma ausgestiegen sind, propagiert Maron ein Vorbild für ein unkonventionelles, sozial verantwortliches Unternehmertum. Im Grunde entdeckt sie bei ihren Recherchen aber auch eine antikapitalistische Ader wieder. Nach der Wirtschaftskrise verfolgt sie die Börsenkurse von Q-Cells und leidet „unter diesem einzig auf Gewinn oder Verlust gerichteten Interesse“. Sie hält „die Börse für dumm“, seit sie festgestellt hat, dass der Wert von Solaraktien auffällig mit dem Rohölpreis korreliert. Und als sie mit einer aus der DDR stammenden Ingenieurin darüber grübelt, ob es immer so sein muss, dass Unternehmen, wenn sie einmal an die Börse gehen, „ihre Seele verlieren“, beschreitet Maron einen Bogen zurück zu den Anfängen. So wie sie Vision und Tatkraft der Q-Cell-Gründer beschwört, meint man die Sympathie der Sozialismusflüchtigen für etwas zu spüren, was in der DDR so gründlich schief ging: Das „Glück der gemeinsamen Arbeit am Richtigen“.
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