Ceci n´est pas une montagne. Es hätte des Winks mit dem surrealistischen Zaunpfahl nicht bedurft, um zu sehen, dass kein echter Berg ist, was sich in der Mitte des Palasts der Republik in Berlin erhebt. Das seltsame Ungetüm aus Stahlrohren, bespannt mit transparentem Büttenpapier, das sich da bis zur Decke von Erichs altem Lampenladen türmt, ist nur ein Modell. Doch die Magie des Magritte-Spruches entfaltet dieses Natursurrogat nicht, mag es nachts auch noch so verführerisch schimmern wie ein Bergkristall.
Wer bislang vom Brandenburger Tor Richtung Alexanderplatz fuhr, stieß auf eine der letzten architektonischen Hinterlassenschaften des Zeitalters der Extreme. Wie ein gestrandeter Wal lag dieses viereckige Historientier da im Berliner Zwielicht zwischen Bertelsmanns schimmernden Retortenmöbel namens Kommandantur und dem kühlen Kubus des Auswärtigen Amts. Mehrere Architekturwettbewerbe bissen sich die Zähne aus an dem erblindeten Koloss samt umliegender Walstatt. Nun kann man zum letzten Mal in seinem Skelett stochern.
Seit dem Epochenbruch gab es verschiedene Versuche, dem bronzierten Leichnam wieder Leben einzuhauchen. Warum auch nicht? Direkt gegenüber ersteht mit der 175 Jahre alten Berliner Museumsinsel das bürgerliche Arkadien billiardenschwer wieder auf. Jede historische Narbe wird da gehegt und gepflegt, dass es eine ruinöse Pracht ist. Links neben dem Palast darf eine European Management School das ehemalige Staatsratsgebäude der DDR zur schnieken Yuppie-Schmiede umfunktionieren. Wären da nicht auch ein paar Notgroschen für das sozialistische Volkserbe drin gewesen?
Kreativbesetzung statt Abrissbirne sagten sich da im Sommer ein paar Unentwegte wie Matthias Lilienthal, Chef des Hebbel am Ufer und Amelie Deuflhard vom Berliner off-Theater Sophiensäle. Klammheimliche Sympathisanten fanden sie in der neuen Kuratorin des Hauptstadtkulturfonds Adrienne Goehler und Berlins Kultursenator Thomas Flierl. Ein kultureller Kraftakt sollte doch noch das Schlossgespenst bannen, das in Gestalt des Humboldtforums drohte. Geboren war der Volkspalast.
Das Projekt besaß den Charme des Kontrafaktischen. Urplötzlich sah man da seit letzten Sommer eine ähnlich bunte Truppe in allen Winkeln des Gerippes werkeln wie bei der neuen alten Linkspartei. Das ausgeweidete Restgestänge begeisterte die Avantgarde Ost wie West. Bei der Eröffnung sah man Bruno Flierl und Robert Wilson, Ivan Nagel und Frank Castorf fachsimpeln. Allerlei populistische Freudenfeuer wurden abgefackelt: Wochenlang strahlte im eisigen Januar diffus ein Zweifels-Zeichen am First des Palastes. Und siehe: In dem bengalischen Schein der Spieler und Gaukler, zwischen der "Insel der Liebenden" und dem Palastkino verwandelte sich das düstere Mythenhaus zu einer Geschichtsruine wie du und ich. Die Aneignung eines öffentlichen Raums, die zivile Konversion eines Herrschaftssymbols gelang. Aus dem hässlichen Entlein der Wende wurde zumindest eine coole Location, fast so cool wie Möbel Olfe oder der Club der Visionäre.
Doch wie es bei Protestbewegungen so ist: der Anfangserfolg versandet rasch. Im Frühsommer gab es ein letztes ästhetisches Zwischenhoch mit Frank Castorfs Alexanderplatz. Der Berg, den man jetzt dort bis Ende August besteigen kann, ist freilich bloß ein flaches Nachspiel des genialen Beginns. Zwar beschwören noch einmal mit Tränen der Erinnerung im Knopfloch Zeitzeugen die von Thomas Flierl gepriesene "Ambivalenz" des untergegangenen Hauses - von der Volkskammer bis zur Jugenddisco. In einer Klanginstallation hört man die verzückte Stimme einer Besucherin, die ein Juwel der sonst so tristen DDR-Alltagskultur preist: "Na, allein die sanitären Anlagen. Also im Palast auf`s Klo zu gehen, das war ja schon ein kulturelles Ereignis", flüstert es aus dem Off in die menschenleere Halle. Doch die Karaoke-Späßchen in seinen dunklen Nischen und die "Bergpartei", die sich zu seinen Füßen gegründet hat, dürften den Abriss der geliebten Volkslatrine wohl kaum noch aufhalten. Nicht, dass sich die Massen sehr für das Humboldtforum begeistern würden. Die Herzen der Hauptstadt schlugen für den bunten Abenteuerspielplatz und die Improvisationskunst seiner "temporären" und "darstellenden" Architekten. Aber Bundestagsbeschluss ist nun mal Bundestagsbeschluss. Mit einem nicht ganz so abgeranzten Haus der exakten Wissenschaften und der Künste in der Berliner Mitte könnten die meisten zwar leben. Die Frage, die sich nach dem lustigen Jahr mit dem Volkspalast insgeheim jetzt aber alle stellen: Wer kippt wenigstens die pseudo-barocke Schlossfassade?
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