Bleib skeptisch, Nigger!

SCHWARZ VERKUPFERTES WEISSBLECHHERZ Paul Beattys erster Roman »Der Sklavenmessias« ist eine hinreißend komische Tour de Force durch den Identitätsdschungel von Rasse, Klasse und Geschlecht

Ich kann mich noch an den Tag erinnern, an dem ich zur Farbigen wurde.« Diesen Satz der schwarzen Schriftstellerin Zora Neale Hurston stellte der 1950 geborene amerikanische Literaturwissenschaftler Henry Louis Gates Jr. seinem Erinnerungsband Farbige Zeiten. Eine Jugend in Amerika als Motto voran, einer melancholischen Erinnerung an die Zeiten der Rassentrennung im amerikanischen West Virginia der 50er- und 60er Jahre. Er könnte auch das Motto abgeben für den ersten Roman Der Sklavenmessias des 1962 geborenen, farbigen amerikanischen Poeten Paul Beatty, dem neuen Star am Rap- und Pop-Himmel der amerikanischen Literatur. Denn Hurston, die Pionierin der »schwarzen« Kurzgeschichte der zwanziger Jahre in den USA, ist auch die Lieblingsautorin von Beatty's Held Gunnar Kaufman. Im Los Angeles der 90er Jahre, in dem das schwarze Ghetto-Kid aufwächst, dürfen Farbige zwar alle Geschäfte betreten, kein Schwarzer entkraust sich mehr die Haare mit Kartoffelbrei und keiner muß die goldene Regel der Zurückhaltung befolgen. Hier lassen die Ghettokids auf den Klassenbildern ihrer Schule den Schwanz aus der Hose hängen. Aber immer noch wird Rasse gemacht: »Wenn man will, daß ein Ghettokid eine schwarze Identität entwickelt, muß man es nur auf eine weiße High School schicken« läßt Beatty sein alter ego Gunnar klagen.

Sein cooler Sprücheklopfer in den zu weiten T-Shirts und den abgelaufenen Sneakers kämpft sich durch ein Wechselbad der Zugehörigkeiten. Auf der Mestizen-Mulatten-Mischlings-Grundschule, einer weißen, multikulturellen Schule im schneeweißen Santa Monica fühlt er sich als »weißester Neger in der Geschichte der Sklaverei«. Der reißerische Titel Der Sklavenmessias entsprang einem marktschreierischen Kalkül des Verlages. Denn der Originaltitel White Boy Shuffle drückt das Oxymoron aus dem weißen Jungen, der Gunnar gar nicht ist, als der er sich aber fühlt, und der schwarzen Bewegung viel besser aus: Auf der farbig dominierten Manischewitz Junior High School fühlt er sich als »schwarz verkupfertes Weißblechherz«. Erst auf der El Campesino Real High School im feinen San Fernando Valley fängt er an, sich aus Protest gegen seine angepaßten Hautfarbegenossen als Schwarzer zu fühlen. Doch mit Identitätspolitik hat Beatty, der in seinem Gedicht Rührt Euch für ein deospray/gegen den gestank der ismen rappt, nichts am Hut. Schon im ersten Satz seines Romans schafft er Distanz und Nähe. Er erzählt seine als Memoiren verpackte Lebensgeschichte in der oralen Erzähltradition Afrikas, ironisiert aber den mythischen Stammbaum der black-pride: »Im Gegensatz zum erdverbundenen, volkstümlichen schwarzen Voodoo-Priester bin ich nicht der siebte Sohn des siebten Sohns des siebten Sohns. Ich bin der erste Sohn eines rückgratlosen farbenblinden Hurensohns«. Gunnars Vater Rölf arbeitet ausgerechnet bei der wegen ihres Rassismus berüchtigten Polizei von Los Angeles. Daß Beatty dessen Sohn von einem verschüchterten, mädchenscheuen schwarzen nobody zum Schwarzen Messias werden läßt, der in den Ghettoparks von LA Schwarze Bacchanalische Elendsfeste abhält, den kollektiven Selbstmord predigt, sich unter den Augen der Kameras den kleinen Finger abhackt, um die »wächsernen Afroamerikaner« aus ihrer Lethargie zu rütteln, ist natürlich eine ironische Kritik an den militanten Predigern und Rassendemagogen, die via Fernsehen ihre Anhänger mobilisieren. Sein bester Freund Nicholas nimmt sich Gunnars Predigt so zu Herzen, daß er sich tatsächlich vom Dach stürzt.

Nach dem Massaker von Littleton konnte sich die entsetzte Welt nicht erklären, woher der Gewaltkult und der Waffenfetischismus der jungen Amerikaner kommen. Beattys Roman ist eine beißende Satire auf das kranke Herz der amerikanischen Gesellschaft. Seine Kids liebäugeln mit dem verführerischem Reiz von zerknautschtem Gestaposchwarz, sie vergasen Ameisenstämme mit den Kampfrufen »Dresden! Dünkirchen! Banzai!« und spielen nachts im Schlafzimmer Hiroshima und Nagasaki. Die Initiation in dieses Gewaltsystem findet im spritzenverseuchten Sandkasten des schwarzen Ghettos von Hillside durch zwei minderjährige Ghettomegären statt, direkt neben der mauergeschützten Reichenenklave und Klassenscheide Cheviot Heights. Er plündert mit seinen neuen Freunden von der Gun Totin'Holligans-Gang Geschäfte während der Rassenunruhen. Auf ihre nächtlichen Schießfahrten gehen die auch schon mal wie Dennis Rodman im cross-dressing als aufgemotzte Fummeltunten. Besorgter Pädagogismus ist gegen diese Widersprüche machtlos. Martin Luther Kings in der Schule nachdeklamiertes Ideal der »farbenblinden« Gesellschaft läßt diese kids angesichts der Farben der Welt kalt. Cool, wie sie sind, unterscheiden sie Schulklassenmultikulturalismus und Pausenhofmultikulturalismus. Denn die »Asphaltlektionen« sprechen eine andere Sprache als die Querbeettoleranz der Lehrer.

Paul Beatty wird gern als »Barde des schwarzen hip-hop«, gar als »Stimme des 21. Jahrhunderts« apostrophiert. Auch wenn er die Muse Thalia mit aufgedunsenem Leib den LA-River heruntertreiben lässt und einen schwarzen Handabdruck im Text plaziert - nach den begeistert aufgenommenen, neologistischen und dekonstruktivistischen Wortspielen in seinen ersten zwei Gedichtbänden Big Bank Take litte Bank und Joker, Joker, Deuce hat er sich mit diesem Entwicklungsroman in ein eher klassisches Genre eingeschrieben. Von dem Rapper-Sound der frühen slam!poetry-Verse: b'diddly bop repetiver schrott/vergiß nicht den stop an meiner schlappen schlamp co-op/hör meinen loizada/lambada/tostada/cholesterinfreien blah blah blah blödsinn ist ein Konzept von Literatur geblieben, die aus dem Leben wächst. Seine ersten Gedichte sprüht Gunnar an eine Ghettowand. Das Abschiedsgedicht »elegie auf einen giftzwerg« für einen seiner ermordeten Gangfreunde macht ihn zum Poéte maudit der Schwarzen. Der Literatur-Professor an der Bostoner Universität, an die es Gunnar verschlägt, eine köstliche Karikatur von Beattys Entdecker Allan Ginsberg und der amerikanischen creative-writing-Kurse für Schwarze, ist fassungslos vor Begeisterung, daß der legendäre Straßenpoet plötzlich leibhaftig in seinem Kurs sitzt. Am Tag der Rassenkämpfe in LA, bei denen er seine eigene Gewaltbereitschaft wie einen Kokon aufplatzen spürt, kommt ihm die Erkenntnis, daß es nicht reicht, ein Dichter zu sein: »Man muß Dichter und Farmer, Dichter und Hafenarbeiter, Dichter und Möchtegern-Revolutionär« sein.«

Der Suizidpakt der Schwarzen, den sich der Schwarze Messias Gunnar von dem japanischen Dichter Yukio Mishima abgeguckt hat, zeigt: Beatty schreibt im Spannungsfeld von schwarzer Identität und gescheiterter Integration. Black-Power-Apologeten dürften aber keine Freude an Beatty haben. Denn sein Buch, das mit der Entdeckung einer dritten, unabgeworfenen amerikanischen Atombombe endet, ist kein plakativer Verweis auf die kommenden Rassenkämpfe, keine Ästhetik der Militanz, sondern eher das Gegenteil. Denn Gunnars eigentliche Schutzengel im Dschungel der Gewalt sind neben dem Basketball die Bücher. Er liest Homer und Schopenhauer. Seine rotzige Coolness grundiert zunehmend eine existentialistische Ironie. Gunnars Entwicklung steht für eine fröhliche Skepsis. »Bleib schwarz, Nigger!« ruft Nicholas seinem Freund Gunnar zu. Bleib skeptisch, Nigger! ist Beattys Message hinter seiner Ironie auf die festgelegten Identitäten. Sein Gunnar legt zum Basketballspiel schon mal weiße Schminke auf.

Beatty ist ein begnadeter Jongleur mit den Versatzstücken der Alltagssprache. Der etwas bemühte Gossenjargon a la »Das mußt Du Dir von der Backe putzen«, in den Ulrich Blumenbach diesen Ghettosound gezwängt hat, kann einen großartigen Roman nicht verdecken. Beattys scharfes Zeitbewußtsein, seine grelle Phantasie, die hinreißende Situationskomik und die lässige Kraft seiner Sprache suchen ihresgleichen. Die Militanz von Beattys kraftvollem Roman ist eine Militanz der Lebendigkeit und der Ironie. Nach Saphires Roman Push ist Beatty ein weiteres Beispiel dafür, wie die amerikanische Literatur durch eine Ästhetik von unten aufgemischt wird. Die Hymnenkränze, die ihm derzeit in der amerikanischen Kritik gewunden werden, machen einen mißtrauisch, ob das Lob nicht eine neue Kolonisierung ist, die die ausgebrannten Batterien der weißen Normalkultur mit einer Potenzreserve auffrischen will, wie die Frau des Professors, der Gunnar für die Harvard Universität werben will und ihm beim Vorstellungsgespräch zwischen die Beine schaut. Vermutlich wird sich Paul Beatty bald an den Tag erinnern können, an dem er zum Poeten wurde.

Paul Beatty: Der Sklavenmessias. Aus dem Amerikanischen von Ulrich Blumenbach. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 1999, 379 S., 42,- DM

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