Bücherland ist abgebrannt

Kommentar Bibliotheksbrand in Weimar

Man konnte die Bilder nichts anders denn als Zeichen sehen. Fragte man heute einen googlesüchtigen Gymnasiasten nach der Bibliothek der Herzogin Anna Amalia im Grünen Schloss zu Weimar, würde der vermutlich entgeistert den Kopf schütteln. Gewiss war die Bibliothek öffentlich zugänglich und eine wissenschaftliche Anlaufstelle. Im breiten Massenbewusstsein war die Sammlung aber nicht unbedingt verankert, mit der die Regentin des Kleinstaats zu Sachsen-Weimar und Eisenach ihren Hof dem ihrer Familie in Wolfenbüttel mit seiner Herzog-August-Bibliothek ebenbürtig machen wollte. Der Brand der vielfrequentierten Amerika-Gedächtnisbibliothek in Berlin-Kreuzberg hätte sicher mehr Betroffenheit hervor gerufen. Was zählte, war das Zeichen.

François Mitterrand krönte zwar 1996 noch das Ende seiner 14-jährigen Präsidentschaft mit der Einweihung der gläsernen Bibliotheque de France mit ihren zehn Millionen Bänden. Und Ägypten eröffnete 2002 ein Remake der legendären Bibliothek von Alexandria. Doch die Bibliotheken verflüchtigen sich immer mehr ins digitale Netz. Wie um den sich anbahnenden Wandel der Bibliothek zu versinnbildlichen, verbrannten in Weimar 30.000 Bände jener Sammlung, die als Mittelpunkt der deutschen Aufklärung galt - ihre materiale Urgestalt mithin. Den Einfall von Napoleons brandschatzenden Truppen überstand die Bibliothek 1806 noch unbeschadet. Nicht aber den mutmaßlichen Kabeldefekt des Jahres 2004.

Ein Zeichen, das sich auch als Menetekel lesen lässt: Ausgerechnet in Zeiten ihrer ärgsten Bedrängnis durch die grassierende Leseunlust und die neuen Medien geht eines der Sinnbilder der Buch- und Lesekultur in Rauch und Flammen auf. Nicht nur der Mythos Weimar hat einen Kratzer abbekommen. Bücherland ist abgebrannt. Das schienen die Fernsehbilder von den verkohlten Buchrücken in Weimar auch zu suggerieren. Während allerorten mit großem Aufwand feuerfeste Innovationszentren aus dem Boden gestampft werden, sah man in Weimar zugleich wie in einem Brennspiegel den wahren Zustand der Fundamente der viel beschworenen Geisteselite: unrenoviert, unzureichend gesichert, zu wenig Platz und alles auf sumpfigem Grund.

Geht es in Deutschland nun bergab mit der Kultur? Stürzt nach dem Sozialstaat nun auch noch die Kulturrepublik ein? Der Verlust ist groß. Doch auch nach dem Bibliotheksbrand von Alexandria, bei dem die wichtigsten Schriften der griechischen Antike vernichtet wurden, ging zwar ihre Überlieferung, nicht aber die Welt an sich unter. Der Brand könnte ein Anlass werden, das darnieder liegende Bibliothekswesen zu beleben. Und wahrscheinlich werden wir in ein paar Jahren in Weimar ein perfektes Remake der zerbrechlichen Rokokoarchitektur Anna Amalias betreten. Dann wird sich wieder einmal bewahrheiten: Kultur entsteht zum großen Teil aus dem Versuch, mit dem Verlust umzugehen.


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