Buddha

Videokunst Nam June Paik ist tot

TV-Burying - so nannte Wolf Vostell 1963 eine Aktion, die er auf der Farm George Segals bei New York durchführte. Er umwickelte einen Fernseher mit Stacheldraht und versenkte ihn in die Erde. Manche Pädagogen dürften an diese Tat heute noch mit grimmiger Genugtuung zurückdenken.

Der Fernseher als Hass- und Kultobjekt - mit dem am Sonntag in Miami gestorbenen Koreaner Nam June Paik verband den 1998 gestorbenen Deutschen Vostell nicht nur das Geburtsdatum. Auch in den Arbeiten des 1932 geborenen Medienkünstlers ist die Alltags-Ikone Bildschirm zur Skulptur geronnen. Doch was die beiden Fluxus-Künstler trennte, war der Humor. Arbeiteten sich die Kulturkritiker alter Schule verbissen an den Dämonen der "Neue Medien" ab, die die moderne Kunst mehr veränderten als der Kubismus die Malerei, blieb Paik im Umgang mit ihnen stets der lächelnde Dritte. Sein Schlachtruf: "Das Fernsehen hat uns ein Leben lang attackiert, jetzt schlagen wir zurück - nun machen wir unser Fernsehen selbst" klang zwar kämpferisch. 1963 in einer legendären Ausstellung in der Wuppertaler Galerie Parnass, kippte er zwölf Fernseher um. Die Besucher wurden Zeugen einer Bildstörung. Doch zwei Jahre später in New York konnten die Besucher einer Galerieausstellung in Magnet TV Bilder (des US-Politikers Richard Nixon) auf den Fernsehschirmen mit Hilfe eines Magneten selbst manipulieren. Paik wollte das Medium nicht zerstören, sondern ihm neue, sinnliche Erfahrungsmöglichkeiten entlocken.

Titel seiner Arbeiten wie Zen for TV waren dabei keine Chiffren für die spektakuläre Inszenierung fernöstlicher Esoterik, mit der man im ahnungslosen Westen Kasse machen kann. Die Verbindung zwischen östlichem Denken und westlicher Avantgarde, um die es Paik ging, begann früher und reichte tiefer. Der Sohn einer koreanischen Industriellenfamilie, die im Koreakrieg nach Japan flüchtete, schrieb seine Abschlussarbeit an der Universität Tokio über Arnold Schönberg. Von da führt der Weg in das legendäre WDR-"Studio für elektronische Musik", wo die Begegnung mit dem amerikanischen Komponisten John Cage zu einem Schlüsselerlebnis für Paik wird. Paik war ein früher Grenzgänger zwischen Ost und West. In den sechziger Jahren stellte er auf einer Tonbandcollage ein koreanisches Gedicht des 9. Jahrhunderts neben Fragmente von Tschaikowsky. 1988, auf der Olympiade von Seoul, huschten Bilder koreanischer Rituale neben solchen von David-Bowie-Konzerten über seine 18 Meter hohe Videoinstallation aus über 1.000 Monitoren.

Der Titel "Pionier der Medienkunst" mit dem Paik nun neu bekränzt wurde, klingt nach einer fernen Zeit der einfachen Wunder. Und in der Tat war dieser Mann - neben Picasso und Beuys - einer der letzten Grenzerweiterer der Moderne. Von zertrümmerten Klavieren über tragbare Videorecorder bis hin zum Einsatz von Satelliten hat Paik die Kunst von der Grapho- erst in die Audio- und schließlich in die Videosphäre verschoben. In kaum einem Werk wurde deutlicher, wie uns die "zweite Natur" der Medien umgibt. Für die Arbeit TV Bra for living sculpture von 1969 ließ er seine langjährige Gefährtin Charlotte Moorman mit einem Büstenhalter auftreten, in den zwei winzige Bildschirme eingelassen waren.

Auch wenn Paik der Kunst so ungeahnte Dimensionen erschloss - von ihrem Anspruch, eine "neue Grammatik" des Bilderzeitalters geschrieben zu haben, ist die Videokunst nach der digitalen Revolution weiter entfernt denn je. Im Cyberspace sind Fiktion und Realität noch schwerer zu unterscheiden, Kunst und Kommerz eine unauflösliche Fusion eingegangen. Doch für die Situation, in der sich Kunst und Kultur am Ende des 20. Jahrhunderts befinden, hat Paik mit dem vielfach variierten TV Buddha schon 1974 ein Sinnbild geschaffen, das auch im 21. Jahrhundert Bestand haben wird.

Eine antike Buddha-Figur sitzt vor einem Fernseher und wird von einer Kamera aufgenommen. Der Buddha betrachtet sein seitengleiches Porträt auf dem Bildschirm. In dem "closed circuit" - so der Titel der Werkserie - stehen sich Natur und Kultur als Beobachter gegenüber: Ein Endloskreislauf, unentrinnbar. Doch er birgt auch tausend Möglichkeiten.


Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden