Büfett des Westens

Osten am Rand Das Museum of Modern Art zu Gast in Berlin

Wo wurde eigentlich die Moderne erfunden? In Florenz? Als Michelangelo seinen menschengleichen David aus Marmor schlug? In Paris? Als Picasso die Zentralperspektive der Renaissance wieder zerlegte? In Weimar? Als das Bauhaus öffnete? In Triest? Als James Joyce den Ulysses schrieb? Oder in New York? Als Jackson Pollock Öl auf eine Leinwand träufelte?

Die Moderne entstand überall und nirgends. Sie setzte sich, wie man so schön sagt, durch. Wenn man in diesen Tagen die Berliner Nationalgalerie besucht, könnte man allerdings meinen, die Moderne stammt aus Amerika. Von den 200 Meisterwerken des Museums of Modern Art, dem Mekka der Kunstliebhaber, die dort zu einem lukullischen Traditionsbüfett aus Tafelbild und Skulptur angerichtet worden sind, kommen ein gutes Drittel aus den USA. Dann folgt das Europa der klassischen Moderne. Osteuropa ist noch immer der Appendix, der er in Zeiten des Kalten Krieges war. Zum Zeitpunkt seiner härtesten Prüfung reinszeniert sich in Berlin noch einmal der gute alte Westen über seine Hausgötter von Rousseau bis Jasper Johns, die ihn am Ende sehr abstrakt aussehen ließen. Von Grußworten Joschka Fischers und Colin Powells bis zum ausufernden Kulturprogramm "American Season" flankiert, wird diese private Initiative zu einem prunkvollen Zeichen des transatlantischen Liberalismus, der Ideologie der "freien Welt" stilisiert. Doch ob dieser Kanon den Westen revitalisieren wird?

Die Berliner Luxusgalerie reicht vom Beginn des 20. Jahrhunderts gerade einmal bis zu den achtziger Jahren. Von dem Geschichtsdatum 1989 und einer größer gewordenen Welt nach dem Ende des Ost-West-Konflikts ist die Schau unberührt. Und wer sich schon gerne in einer vergangenen Moderne spiegelt, sollte sie wenigstens vollständig zeigen. Allein 15 Werken von Matisse stehen zwei Chagalls und drei Kandinskys gegenüber. Ein Bild sucht man jedoch vergebens: Frantisek Kupkas Der erste Schritt. Um 1909 malte der tschechische Maler eine blaue Planetenkonstellation auf schwarzem Grund. Das Werk mit dem beziehungsreichen Titel gilt als das erste abstrakte Bild der Welt. Es gehört dem MoMA. Für ein Museum, dessen Gründungsdirektor Alfred H. Barr Kandinsky-Bilder aus Berliner Kellern vor den Nazis rettete, geizt der polyglotte Tempel der Moderne mit seinen Schätzen Ost. 1993, als das legendäre Haus in Bonn schon einmal zu Gast in Deutschland war, sah man außer Constantin Brancusi keinen einzigen osteuropäischen Künstler - bis auf Kupka. Warum fehlt er ausgerechnet an der Spree?

Berlins hymnisch begabter Museumschef Peter-Klaus Schuster jubilierte zur Eröffnung der Mammutschau über die "Rückkehr der verlorenen Moderne". Tatsächlich ist mit Max Beckmanns Abfahrt von 1932/33 einer der von den Nazis Verfemten aus dem amerikanischen Exil nach Berlin zurückgekehrt. Die Berliner Schau mit dem auratischen Overkill ruft unübersehbar in Erinnerung, dass das Alte Europa, das Donald Rumsfeld verächtlich abgeschrieben hat, die geistige Grundlage der Neuen Welt ist. Diese gemeinsame Moderne mag die Ausstellung wiedervereinigt haben. Europa hat sie erneut geteilt.


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