Checkpoint

Abend in Ramallah Kolumne

Plötzlich steht dieses Kind im Bus. Es spricht nicht israelisch, nicht englisch, es spricht äthiopisch. Viel älter als 17 Jahre kann es nicht sein. Ein Maschinengewehr im Anschlag, den grün getarnten Helm auf dem Kopf, geht es mit schusssicherer Weste durch den Mittelgang, blickt sich finster aber unsicher um. Ich ducke mich instinktiv, suche fieberhaft nach dem Pass. Da ist das Kriegskind durch den Hinterausgang schon wieder verschwunden. Checkpoint heißt das Netz der Kontrollpunkte, das die Israelis über ein Territorium geworfen haben, das ihnen nicht gehört. Und wir zappeln jetzt fünf bange Minuten darin.

Streng genommen ist auch der Checkpoint Calandia hier im Norden Jerusalems, über unsere Gruppe nach Ramallah will, illegal. Er liegt nicht mehr auf israelischem Gebiet. Trotzdem kommt hier nur durch, wer sich ausweisen kann. Wir passieren die Grenze vergleichsweise einfach. Draußen humpeln arabische Männlein durch ein Labyrinth aus Betonblöcken und zeigen martialisch maskierten israelischen Soldaten zerknitterte Papiere. Eine endlose Schlange gelber Taxis und Busse wartet auf einem Sandweg. Arabische Kinder strecken mir wertlose Habseligkeiten zum Busfenster hoch: "Ein Euro".

Wie eine gefährliche Brutstätte des Terrorismus wirkt Ramallah, wenige hundert Meter auf der anderen Seite, nicht gerade. Die Palästinenser-"Metropole" ist eine wuselige Kleinstadt, die Gebäude der Macht sind schäbig. Das Kulturministerium ist ein abgetretener Mietsbau am Stadtrand. Hier lebt Yassir Arafat noch. Hinter jeder Stellwand in den grauen Büros hängt sein Plakat. Im obersten Stock empfängt uns in einer Mansarde der stellvertretende Kulturminister, ein alter Kämpe mit grauem Bart, zu großer Hornbrille, traurigem Seehundsblick und mimt große Politik: "This is very important visit" schmeichelt er den paar deutschen Kulturfreunden unbeholfen.

Mitten im Gespräch über die Theater zerrt einer seiner Adlaten einen Holzrahmen von der Wand und hält ihn hoch: Eine handgestickte Karte von Palästina! Grenzfrei vom Mittel- bis zum Toten Meer, Israel ist darauf nicht zu erkennen. Mit anklagender Stimme ruft er "We are the victims". Ich erstarre und flüstere Regula neben mir zu: "Etgar Keret hat Recht". Vor ein paar Tagen hatte der israelische Schriftsteller in Tel Aviv noch gespottet, seine Landsleute wetteiferten mit den Palästinensern um die Rolle des "ultimativen Opfers". Aber eine so bühnenreife Nummer im Theater der Schuldzuweisungen haben die Israelis noch nicht geschafft.

In punkto Checkpoint nehmen es die Palästinenser nicht so genau. Ein kurzer Wortwechsel unseres Guides aus dem Busfenster genügt, um uns nach dem Besuch auf das nach der al-Aksa-Moschee Allerheiligste Palästinas zu lotsen - die palästinensische Autoritätsbehörde gleich nebenan. Die Tore der Barackensiedlung öffnen sich, ein paar Männer in dunklen Anzügen und Sonnenbrille schauen gestresst und ehe wir uns versehen, stehen wir vor einem flachen Glaspavillon. In seiner Mitte ruht das blumenübersäte Grab des Chefs. Ich traue mich nicht so richtig heran. Vier junge Soldaten stehen starren Blicks um das schwarze Rechteck. Über dem Foto am Kopfende hängt das unvermeidliche schwarz-weiße Kampftuch.

Als sich die Gruppe pietätvoll aus dem Schneewittchen-Sarg trollt und den zerschossenen Trakt in Augenschein nehmen will, in dem die Legende bis vor kurzem residierte, wird es plötzlich doch sicherheitsrelevant. Mit quietschenden Reifen rast ein Pulk schwarzer Limousinen auf das Gelände. Zwei blau Uniformierte springen aus einem Jeep und gehen an den Gebäudeecken jamesbondmäßig in Anschlag. Die schwarzen Männer dirigieren uns freundlich hinter Absperrgitter. Von ferne sehen wir einen älteren Herrn mit weißem Haar aussteigen und in die baufällige Turnhalle verschwinden - Mahmut Abbas sieht aus wie ein arabischer Landarzt. Die Spontanaudienz ist beendet. An dem Wachhäuschen am Ausgang der Staatskaserne lehnt ein junger Palästinenser in Jeans und T-Shirt in der Sonne und beobachtet neugierig wie ich ihn vor der Wand mit den Graffitis des ewig grinsenden Arafat fotografiere.

Es wird Abend. Wir müssen zurück. Die Checkpoints schließen um zehn. Die Zeit reicht gerade noch für einen Abstecher in die Wüste. Von einem Parkplatz schaue ich in die zerklüfteten Berge Judäas. Richtig Spaß kann es in biblischen Zeiten nicht gemacht haben, als Religionsstifter durch diese gottverlassenen Steinöde zu pilgern. In einer Gebirgsspalte kleben ein paar Häuser wie Schwalbennester an einer Hauswand, gekrönt von zwei winzigen blauen Turmkuppeln. "Das ist das griechisch-orthodoxe Kloster St. Georg" erklärt Itzig, unser Guide und preist die Gastfreundschaft der frommen Eremiten. Von links führt eine Wasserleitung aus Herodes Zeiten durch die Wüste in das Wadi. Ein paar letzte Sonnenstrahlen fallen auf den gräulichen Häuserklumpen in der gähnenden Tiefe - ein Checkpoint des Herrn.


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