Dem Affen Bilder geben

Nachruf Zum Tod von Jörg Immendorff (1945-2007)

Hört auf zu malen! Das schrieb der am vergangenen Pfingstmontag verstorbene Maler Jörg Immendorff über eines seiner berühmtesten Bilder. Man schrieb das Jahr 1966. Die Studentenrevolte stand kurz bevor. Die Autoritäten kamen auf den Prüfstand. Auch die Kunst. Sie sollte sich keine Fiktionen ausdenken, die Menschen einlullen, sondern die realen Widersprüche zeigen. Sie sollte, wie es auf einem Schwarzweiß-Bild Immendorffs aus dem Jahr 1974 heißt: Kritik entfalten.

Das Paradox der Kunst, die der 1945 in einem niedersächsischen Flecken bei Lüneburg geborene Immendorff in seinem Sturm-und-Drang-Jahren anstrebte, war, dass die Kunst malerisch agierte, wo sie die Malerei zu überwinden trachtete. "Diese Fragen an die Künstler richten - auf Antwort bestehen!", schrieb er über eine comicartiges Bild aus dem Jahr 1972. "Für was? Für wen?" steht auf der roten Kladde, die ein Proletarier in die Höhe reckt. Im Hintergrund ängstigen sich die bleich gewordenen Vertreter der "Kapitalistenklasse". Noch das klassenkämpferischste Agit-Prop-Bild des roten Rebellen gegen den bürgerlichen Kunstbetrieb blieb eben ein Bild. Auch wenn es aus der "Roten Zelle Kunst" kam. Auch wenn sich ihr Urheber, der wegen akuter Umsturzgefahr von der Akademie geflogen war, an die Basis begab und Kunstlehrer an einer Düsseldorfer Hauptschule wurde.

Die Kritik an der "Lüge" der Malerei war nicht der einzige Irrtum dieses an Widersprüchen reichen Maler-Lebens, das nach 61 Jahren zwar sanft, aber doch tragisch zu Ende gegangen ist. Für den Kraftmeier Immendorff, den ästhetischen und politischen Aktivisten, muss es besonders schrecklich gewesen sein, dass er an einer unheilbaren Nervenkrankheit litt, die mit Muskelschwäche einherging. Unter sein Letztes Selbstporträt von 1998 schrieb er: Das Bild ruft! Und in der Tat zeigten gerade seine späteren Cafe Deutschland-Bilder, wie sehr der punkig-schrille Surrealismus, mit dem er Hitler und Heiner Müller, Helmut Schmidt und Erich Honecker in einen Raum platzierte, um wieviel besser die Malerei die verborgenen Schichten der Realität zu Tage fördern kann als noch die intelligenteste Agitation. Die Mauer zwischen beiden Teilen Deutschlands ließ Immendorff, der subversive Kontakte zu seinem Malerkollegen A.R.Penck in die DDR pflegte, ebenso prophetisch wie - damals - provokativ von einem Arbeiter aus dem Osten mit der Spitzhacke zertrümmern. Mit diesen bizarren Porträts des kollektiven Unterbewussten der Deutschen hat Jörg Immendorff nicht nur deutsche Kunstgeschichte geschrieben.

Ein weiterer Irrtum war die Idee von der Aktionseinheit von Geist und Faust. Der Sieg als Künstler ging einher mit der Niederlage als politischer Anstifter. Weder das Bündnis des Künstlers mit der Arbeiterklasse kam voran noch der Kampf für die "Mietersolidarität" oder gar der Aufbau einer "Antiimperialistischen Kulturfront". Am Ende ging das Künstlerindividuum mit erleuchtetem Kopf aber mutterseelenallein durch den dunklen Malerwald - so der Titel eines Bildes aus dem Jahr 1998 - vielfach ausgezeichnet, hochdotiert, aber eben doch gefangen im goldenen Käfig des Kunstbetriebs.

Trotzdem, seinen Humor hat Immendorff nie verloren. Zeit seines Lebens begleitete seine Kunst ein besonderes Wappentier, das er auf zahlreiche Bilder schmuggelte, sogar auf das - arg hagiographische - Goldporträt seines Freundes Gerhard Schröder, das Immendorff im letzten Jahr für die Ahnengalerie der Regierungschefs im Berliner Kanzleramt fertigte - der Affe: Symbol des genialen Dilettanten, (selbst)ironischen Spötters und Nachäffers der Schöpfung gleichermaßen.

Die boulevardesken Begleitumstände dieses wahrhaft schillernden Lebens: die Inszenierung als abgefuckter Malerfürst, das Gehabe mit Rolex-Uhren und Goldkettchen, Miezen und Nachtklubs, die rauschenden Düsseldorfer Künstlerparties und der Kokaingenuss im Kreise von Prostituierten dürften in der Erinnerung schnell verblassen. Unsterblich wird der große, weil radikale Künstler Immendorff gerade dadurch bleiben, woran er letztlich scheiterte: an der Suche nach einer Einheit von Kunst und Politik.


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