Denken

linksbündig Hat das Feuilleton eine Zukunft?

"Vergangenheit, die nicht vergehen will". So hatte der Historiker Ernst Nolte einen Aufsatz überschrieben, der am 6. Juni 1986 im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschien. Die Publikation von Noltes Text gilt als Wegscheide des deutschen Feuilletons. Denn der "Historikerstreit", der sich darob erhob, erschütterte nicht nur die Republik in ihren Geistesfesten. Sondern er bahnte auch einer neuen publizistischen Spezies den Weg: dem Debattenfeuilleton. Monatelang ergoss sich eine Artikelflut über die Nation: Habermas gegen Nolte, Nolte gegen Habermas, ein Großessay zur Streitfrage "Was war zuerst da, Auschwitz oder der Gulag?" jagte den nächsten.

Ob nun die FAZ wirklich "Erfinderin" des neuen Genres war? Auch auf der Konferenz zur "Zukunft des Feuilletons" vergangenes Wochenende in Halle wurde diese Legende aufgewärmt. Doch der Briefumschlag mit dem explosiven Nolte-Aufsatz, das gab FAZ-Feuilleton-Chef Patrick Bahners dort zum Besten, landete eher zufällig auf dem Frankfurter Manuskriptestapel. Das Debattenfeuilleton ist der klassische Fall eines überdeterminierten Ereignisses wie die Geburt des Kinos. Ob es die Gebrüder Skladanowsky erfunden haben oder die Gebrüder Lumiere ist eigentlich zweitrangig. Irgendwann musste es kommen. Und ein Jahr nach Helmut Kohls und Ronald Reagans Auftritt auf einem Bitburger Soldatenfriedhof und drei Jahre vor dem Berliner Mauerfall gab es einen Bedarf an historischer Welterklärung, den die Politik nicht mehr befriedigen konnte. Seitdem gilt die Kultur als die eigentliche Politik.

Doch wenn das Debattenfeuilleton schon eine Zeitenwende markiert, warum es nun schon wieder abschaffen? Natürlich ächzen wir Feuilletonisten bisweilen unter dem Erbe dieser intellektuellen Feldschlacht: zu jedem irdischen Rätsel einen so genannten Debattenbeitrag ins Blatt zu hieven: Von der Tour de France bis zur neuen Macht der Alten. Unter der Lawine schwerer Besinnungsanfälle droht das gute, alte Rezensentengewerbe leise, leise zu verschwinden. Manchmal bleibt auch die Distanz auf der Strecke. Für den "Sündenfall" des Debatten-Feuilletons, als sein großer Zampano Frank Schirrmacher das von Craig Venter entschlüsselte menschliche Genom auf fünf Seiten ins Feuilleton der FAZ einrückte und ein neues Alphabet des Lebens weissagte, geißeln ihn seine einstigen Jünger heute noch. Doch soll man, nur weil es einer auch mal übertreibt, oder weil auch das Geld fürs Feuilleton spürbar knapper wird, das Kind nun mit dem Bade ausschütten? Zurück zum Rezensionsfeuilleton?

Nicht, dass es bei den Zeitungen pekuniär nicht kriselte. Doch wenn das Blatt aus Frankfurt in diesen Dürrejahren statt der bewundernswerten zehn Kulturseiten nur noch fünf machen kann, sind das immer noch vier Seiten mehr als in den sechziger Jahren der legendäre Friedrich Sieburg das FAZ-Feuilleton vom schwäbischen Alterssitz aus redigierte. Ein "Strukturwandel der Öffentlichkeit", wie ihn Thomas Steinfeld, Literaturchef der Süddeutschen, früher bei der FAZ, fürchtet, ist das noch nicht.

Natürlich muss man das alte Ressentiment bekämpfen, das die neue Sparwelle wieder nach oben spült, Kultur sei elitär. Mit einem ästhetischen roll-back wird man ihr Organ, das Feuilleton, aber nicht retten. Wenn Stephan Speicher von der Berliner Zeitung, früher beim Feuilletonder FAZ, nun die Rückkehr zum Kerngeschäft des Kritikers, zu "Singen, Spielen, Tanzen" fordert; wenn Zeit-Feuilleton-Chef Jens Jessen, ebenfalls ein Abkömmling der Ordensburg von FAZ-Männern, die das deutsche Feuilleton fest im Griff haben, in einer elitären Aufwallung den Pop verabschieden will, zusammen mit dem letzten Bildungsbürger der Welt, Dr. Tilman Krause, früher auch mal Mitarbeiter der FAZ, der das Lob der klassischen Fachkompetenz singt - dann sollte man hellhörig werden. Als ob Kultur immer noch aus Gipsbüsten, Kammerkonzerten und Buddenbrook-Romanen bestünde.

Kulturelle Weltdeutung trifft zwar manchmal auch daneben. Beweisen durfte das Frank Schirrmacher, als er im Juli eine "Männerdämmerung" ausfindig gemacht haben wollte. Cool killen sollte man das Debattenfeuilleton wegen seiner anregenden Ausrutscher aber bitte, bitte nicht. Das Projekt Schöner Denken hat einen unverzichtbaren Freiraum aus Kritik und Phantasie geschaffen, den man vielleicht einfach nur besser machen müsste. Stoff genug gäbe es in einer Welt, die zwar mit Wonne in den Abgrund singt, spielt und tanzt, aber derzeit eines fürchtet wie der Teufel das Weihwasser: Kritisches Denken.

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