Der Tod des Autors. So lautete das Urteil der Postmoderne über ein markantes Subjekt. Die Verhältnisse, hieß es nicht nur bei Roland Barthes, schreiben sich selbst. Der Autor ist weniger der Schöpfer als das Medium. Für Francois Lyotard waren Sprache und Welt ein Widerfahrnis, das dem Menschen „geschieht“ und das er nicht beherrscht. Wie lange zog sich diese schaurig-schöne Prophezeiung durch die Diskurse? Bis sie schließlich zur abgegriffenen Metapher wurde. Zehn, fünfzehn, zwanzig Jahre?
Man soll mit kulturgeschichtlichen Vorhersagen vorsichtig sein. Aber wenn sich etwas nicht zu bewahrheiten scheint, dann die These einer Kunst ohne Zentrum, von Texten als ecriture automatique, von den Verhältnissen quasi selbst hervorgebracht. Und zwar schon deshalb, weil man die angeblich sterbende Spezies auf immer mehr Festivals, Lesungen oder in Literaturhäusern leibhaftig in Augenschein nehmen kann.
Vergangene Woche versammelte sich beispielsweise zum 20. Mal das Berliner Schriftstellertreffen „Tunnel über der Spree“. Unberührt von G20- oder
Blogger-Gipfeln gingen rund 20 Autoren, hoch über dem Wannsee stiller Textarbeit nach. In dem 1827 gegründeten und 1991 wiederbelebten Workshop (Ur-Mitglieder waren unter anderem Fontane und Gerstäcker) lasen sie aus unveröffentlichten Manuskripten,
kritisierten sich gegenseitig und demonstrierten so, dass sie die These vom Tod des Autors nun wirklich nichts (mehr) angeht.
Zwar beschwor der Schriftsteller Lutz Seiler auf dem Treffen das Bild eines sterbenden Autors. In seinem beeindruckenden Text "Im Badgang" schafft es ein mittelmäßiger Schriftsteller nicht, sich aus dem „imaginären Verhau“ seiner „stockenden Verfasserschaft“ herauszuwinden. Am Ende der Geschichte
liegt er in einer Blutlache am Boden.
Man konnte dieses Protokoll eines verlöschenden Bewusstseins wie eine Metapher auf die postmoderne Erzählung lesen. Wenn Bachmannpreisträger Seiler nicht der kleine, aber entscheidende Kunstfehler unterlaufen wäre, am Ende des Textes einen Erzähler konstatieren zu lassen, dass der unglückselige Tote zehn Tage in seinem Blut gelegen habe, bevor man ihn fand. Woraus wir messerscharf schließen: Der Text muss einen Autor haben!
Man braucht den Umweg über das missglückte Ende einer gelungenen Kunstfigur aber gar nicht, um zu sehen, dass „der Autor“ keineswegs stirbt. Auch im realen Leben, oder was man dafür hält, wimmelt es nur so von immer neuen Autoren. Mag auch kaum noch jemand die vielen Bücher, die
geschrieben werden, wirklich lesen – Schreibschulen schießen wie Pilze aus dem Boden, die Literaturwettbewerbe melden immer neue Rekorde bei den Teilnehmerzahlen, von Hape Kerkeling über Sarah Kuttner bis Jens Friebe schreibt heute fast jede Film-, Fernseh- und Musik“größe“ ihr Buch. Glamour, Fans und ein Leben auf dem Bildschirm sind zwar ganz schön, werden sie sich gesagt haben. Doch erst als Autor wird die Künstlerexistenz wahrhaft beglaubigt.
Dazu kommt die Autoreninflation der Blogosphäre. In dem „wilden Meinen“ (Peter Glaser) dort geht vielleicht genau die individuelle, unverwechselbare Autorschaft verloren, die Treffen wie der Berliner Tunnel so liebevoll zelebrieren. Im Netz sind bekanntlich alle Autoren grau. Auf jeden Fall erlebt in diesem Umbruch aber Joseph Beuys‘ Diktum „Jeder Mensch ist ein Künstler“ seine zeitgemäße Wiedergeburt. Jeder Mensch ist eben auch ein Autor.
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