Der Sieg der Oberfläche. Mit dem Epochenbruch von 1989 schien auch ein ästhetischer Paradigmenwechsel eingeleitet: Postmoderne siegt über Geschichtsphilosophie, Abstraktion über Realismus, Experiment über Handwerk - so hießen lange die Slogans. Erst mit der Ausstellung Kunst in der DDR im vergangenen Sommer in der Berliner Nationalgalerie gelang eine späte Rehabilitation der Kunst jenseits der Mauer. Unter den ausgestellten Werken befand sich auch eine kleine filigrane Zeichnung mit dem Titel Gelber Horizont von Cornelia Schleime aus dem Jahr 1985. Streng genommen hätte es gar nicht in die Ausstellung gehört. Denn die 1953 in Berlin-Ost geborene Malerin hatte es ein Jahr nach ihrer Aussiedlung aus der DDR gemalt. Das unscheinbare Werk, Strichfiguren vor einer gelben Fläche, war auch ein Beispiel dafür, wenig die pauschale Formel vom zurückgebliebenen Realismus in Öl stimmte. Cornelia Schleimes Kunst belegt, wie vielfältig und unkonventionell die DDR-Kunst in Wirklichkeit war. Auch mit ihrer allerjüngsten Arbeit beweist sie, dass die Auseinandersetzung mit der Oberfläche nicht unbedingt zum ästhetischen Sündenfall werden muss. Schleime ist alles andere als eine Quotenfrau Ost. Die Entscheidung, sie und die Kölner Video-Künstlerin Ulrike Rosenbach in diesem Jahr mit dem Gabriele-Münter-Preis zu ehren, ist ein echter Glücksfall. Kunst und Leben sind ihrem uvre unentwirrbar verbunden. Vor allem spiegelt es eine aufregende Ost-West-Passage.
In ihrer künstlerischen Vita zählt die Malerin alle typischen Stationen einer unkonventionellen DDR-KünstlerInnenbiografie auf: Friseurlehre, Maskenbildnerstudium, Pferdepflegerin. Nur der obligate Friedhofsgärtner fehlt in dieser Sammlung. Die Prägung durch das Studium der Grafik und Malerei an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden von 1975 bis 1980 suchte sie zwar immer wieder abzuschütteln. Sie gehörte zu Dresdner Künstlergruppen, die mit unkonventionellen Installationen, Körperaktionen und Atelierausstellungen auf die Ausbürgerung Wolf Biermanns reagierten. Den DDR-Kunstfunktionären galt ihre Arbeit als "Müllkunst". 1981 erhielt sie Ausstellungs- und Auftrittsverbot. Von der Galerie wechselte sie einfach in den öffentlichen Raum: gegen einen Staat ohne Poesie lief sie mit Gasmaske durch den Prenzlauer Berg. 1984 ging sie schließlich nach Berlin-West.
Schleime gehört zu den frühen Protagonistinnen von Installationskunst, Performance und Experimentalfilmerei. Ein Bild im Ausstellungskatalog von Kunst in der DDR zeigt sie mit Handkamera bei den Dreharbeiten zu den sogenannten Grenzlichtspielen Ost 1962. Noch Ende 1991 verarbeitete sie ihre Polizei- und Stasiakten zu der Installation Bis auf weitere gute Zusammenarbeit Nr.7284/85. Die figurative Malerei, mit der sie begann, hat sie aber nie ganz aufgegeben. Dass Schleime sich in eine andere Richtung bewegen würde, sah sie selbst schon 1983 voraus. Ein Jahr vor ihrer Ausreise zog sie eine Bilanz ihrer Arbeit in der DDR: "ich sehe einen haufen, vom staat gestützter maler ... dieses monochrome, gutfunktionierende wesen wird in uns nach farben verlangen, nach bildern, wir werden uns an der grenze des kitsches bewegen, um dieses grau zu beleben".
Ihre großformatigen Porträts zwanzig Jahre später, die bis vor kurzem im Museum Junge Kunst in Frankfurt an der Oder zu sehen waren, treiben, wenn man so will, dieses Programm auf die Spitze. Demonstrativ stellen sie, ganz im Stil der Pop-Art, Oberflächenreize heraus. Sie haben die subtilen Tuschezeichnungen aus den Jahren zuvor abgelöst, die noch filigran und transparent ein sanftes Weiblichkeitsideal transportieren. Rituale heißt eine Serie, auf der noch 1999 eine nackte Frau mit einem der immer wiederkehrenden Motive Schleimes spielt - dem überlangen Zopf, einem Attribut der Weiblichkeit, einer Wirbelsäule, Symbol der Evolution und der Verbindung mit der Kindheit.
Hatte sie in einem Kommentar zu Gelber Horizont noch vom Malen aus "innerster Motivation" geschrieben, wo dem Künstler die Linie "wie die Handlinie" ist, locken auf den neuesten Bildern Schleimes die Figuren durchgehend als sinnliche Porträts in glänzendem Acryl. Darauf posieren junge Mädchen und Frauen in Posen, wie man sie von Werbeplakaten oder den Fotografien des star-gazing kennt. Schleimes Stilwechsel bahnte sich um die Zeit des Epochenbruchs an. Die westliche westlichen Bilderwelt des Trivialen und Profanen treffen sie mit voller Wucht, als sie 1989 vom DAAD ein einjähriges Arbeitsstipendium für das PS1 in New York erhält: Sie malt überdimensionierte Stilleben: Porreestangen auf schmalen Bildformaten. Die neue Malweise, die sich da zum Entsetzen ihrer Freunde aus dem Osten herausschält, verwandelt das, der inneren, essentialistischen Auffassung der Frau zugeneigte Tuschezeichnen in eine neue Lust am Vordergründigen: Der Trauerfänger heißt ein Bild, Die Kommissarin ein anderes. Schleime erprobt hier Rollenzuweisungen und Haltungen jenseits eines poetischen Frauenideals von der unschuldigen Naiven bis zur Femme Fatale.
Trotz der neu entdeckten Begeisterung für die Oberfläche: Gleichzeitig unterläuft Schleime sie wieder. Denn die ihrer Bilder ist meist porös und uneben. An Sigmar Polke erinnert die Technik, ungeplante Reaktionen auf der Leinwand auszulösen. Den Acrylfarben beigemischte Materialien wie Kaffeesatz, Sand oder gelöster Schell- und Asphaltlack verändern Bilduntergrund und Oberfläche noch nach der Fertigstellung des Bildes. So sorgsam und akribisch das Bild hergestellt wird und auf den Betrachter wirkt, ist es doch unsichtbar untergraben, von Planlosigkeit und Zufall unterminiert, wie von einer langsam fortschreitenden Krankheit angefallen. Auf verborgene Art und Weise arbeiten die Erfahrungen im Boheme-Untergrund der DDR weiter, wo Cornelia Schleime zu den Künstlergruppen um die Kulturbundgalerie Clara Mösch oder das SUM-Theater in Helge Leibergs Atelier, der Keramikwerstatt Wilfriede Maaß und zu den Illustratorinnen der 1984 gegründeten Kulturzeitschrift Schaden gehörte. Man kann sich den Westen anverwandeln, ohne sich ihm zu unterwerfen.
Den anarchistischen Subtext, der in Schleimes Werk immer mitläuft, kann man in einer Serie von Nonnenbildern aus dem vorletzten Jahr verfolgen. Programmatisch leitet sie diese Serie mit einem Sündenfall übertitelten Bild ein. Von Bernadette über Clara bis Franziska geht von all den Gesichtern der eigentlich frommen Schwestern im traditionellen Ornat ganz unnonnenhaft eine lasziv-erotische Signalwirkung aus: Schmolllippen, halb geöffneter Mund, lockender Blick. Schleime verarbeitet in diesen Porträts die widersprüchlichen Erfahrungen einer katholischen Kindheit mit Kommunion und Beichte in der atheistischen, in der Lebensauffassung eher protestantischen DDR. Und entfernt sich damit am weitesten von ihren früheren Weiblichkeitsvorstellungen. Hinterlistig lockt die Malerin mit diesen ambivalenten Porträts auf einen doppelten Boden. Ihre Frauen scheinen zu sagen: Kommen Sie näher. Keine Angst vor der Oberfläche!
Von Angesicht zu Angesicht. Katalog, hrsg. von der Galerie Michael Schultz, Berlin 2003
Ausstellung im Gropius-Bau, Berlin noch bis zum 12. April 2004, Katalog 18 EUR
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