Der Maler als Impressionist
Anton Henning sitzt mit hellem Strohhut in einer sommerlichen Landschaft. Man meint Claude Monet zu sehen. Der Maler malt ein Blumenstillleben. Auch das über und über mit Blumen bewucherte Feld erinnert an Monets Alterssitz Givenchy. Nur der Mercedes im Hintergrund liest sich wie ein ironischer Kommentar auf diese Kunstidylle. So wie sich der neue Berliner Szenestar Henning hier als Altmeister inszeniert, drückte das ein Leitmotiv aus. Nach dem Furor des fotogestützten Neoexpressionismus und des sozialkritischen Fotorealismus geht der Trend in der jungen Kunst ganz offenbar zur kontemplativen Beschaulichkeit. Wo man in diesen Brennspiegel zeitgenössischen Kunstschaffens schaute, dominierte die Natur: Die allerjüngste Gegenwartskunst zeigt einen irritierenden Hang zum deutschen Wald und zur Natur. Carsten Höller verlangte 15.000 Euro für zwölf verwackelte Fotogravüren seiner mushrooms.
Der Sammler als Provokateur
Bei dem Hauch von lyrisch verschleiertem Neoimpressionismus, der vier Tage lang über dem Berliner Art-Forum lag, war man fast froh, im neuen Hause der Friedrich Christian Flick-Collection ins Berlins Hamburger Bahnhof einen starken Auftritt geliefert zu bekommen. Bruce Naumans Video Raw Material with Continuos Shift von 1991 ist zwar schon 13 Jahre alt. Doch es wirkt immer noch wie ein Schlag in die Magengrube. Der amerikanische Künstler selbst stößt auf dieser irritierenden Bilderfolge mit nach unten hängendem Kopf sinnlose Laute aus, ein Bild des entfremdeten, kommunikationsunfähigen Menschen. Zugleich signalisiert das Video aber, dass er immer noch die Chance hat, sein Rohmaterial zu entfalten. Positionen von der Härte und Kompromisslosigkeit des amerikanischen Videokünstlers suchte man auf der Kunstmesse am Funkturm vergebens.
So wie im Vorfeld der Eröffnung Flicks Sammeltätigkeit mit dem Dritten Reich in Zusammenhang gebracht wurde, konnte man mitunter den Eindruck gewinnen, in und hinter dem Hamburger Bahnhof öffne eine Nazigalerie. Es kann aber gar kein Zweifel sein, dass mit der Flick-Sammlung eine der spannendsten und hochwertigsten Sammlungen der kritischen Gegenwartskunst erstmals öffentlich zu sehen ist. Im Hamburger Bahnhof konnte man Joseph Beuys´ Arbeit Das Ende des 20. Jahrhunderts bewundern. Danach kam lange nichts mehr. Wer die neuesten Tendenzen in Augenschein nehmen wollte, musste zur Londoner Tate Modern pilgern. In Berliner Museen, zumal in einer großsprecherisch "Galerie der Gegenwart" genannten Sackgasse namens Hamburger Bahnhof konnte er sich über die Kunst zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht wirklich informieren.
Die Werke von Flicks Sammlung bilden keine x-beliebige Anhäufung vermuteter Kostbarkeiten durch einen ahnungslosen Spekulanten. Diese wohldurchdachte Sammlung schlägt vielmehr strategische Schneisen aus dem 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Die Bandbreite der Flick´schen Sammlung kann man als den Gegen-Kanon zu der konservativen MoMA-Schau, jenem lukullischen Hochamt des Tafelbildes lesen, das zwei Tage vor der Eröffnung der Friedrich-Christian-Flick-Collection unter den Jubelrufen von Peter Raue bis Klaus Wowereit zu Ende ging.
Endete die MoMA-Schau mit einer Beschwörung des utopischen Pathos der klassischen Moderne (amerikanischer Prägung), beginnt Flicks Sammlung mit einem der Urväter der Postmoderne, Francis Picabia und seinen ironischen Bildzitaten. Sie reicht von Marcel Duchamps ersten Ready Mades bis zu Jason Rhodes großer Installation Creation Myth - Schöpfungsmythos von 1998. Sie enthält Inkunabeln der Kunstgeschichte wie dem TV Bra for Living Sculpture Nam June Paiks, mit dem der koreanische Künstler und die Cellistin Charlotte Moorman in den sechziger Jahren in der Wuppertaler Galerie Parnaß Videokunstgeschichte schrieben. Sie führt sie aber weiter bis zur allerjüngsten Gegenwart wie der Schweizer Videokünstlerin Pipilotto Rist.
Am Ende der ebenso großzügigen wie schlichten Rieck-Hallen hinter dem Stammhaus des Hamburger Bahnhofs tritt man vor das Sinnbild einer utopielosen Gegenwart: Hier und jetzt zufrieden sein haben zwei der bekanntesten deutschen Künstler, die Bildhauerin Isa Genzken und der Fotograf Wolfgang Tilmans ihre gemeinsame Fotoarbeit genannt: In einem leeren Partyraum stehen ein paar Stühle und Reste von Fummel, Flimmer und künstlicher Beleuchtung.
Natürlich ist der eine oder andere der Flick-Kollektionäre, der Bernd-und-Hilla-Becher-Fotograf Thomas Struth etwa, schon auf diversen Kunstmessen und Biennalen zu sehen gewesen. Gewiss sind in dieser Sammlung viele der üblichen Verdächtigen, die man im Kunstbetrieb auch anderswo antrifft. Und leider feiert sich in dieser monumentalen Schau von documenta-Ausmaßen die Westmoderne noch einmal selbst: kein einziges Bild eines osteuropäischen Künstlers findet man in der ersten Etappe des siebenjährigen Gastspiels, ein gravierender Mangel der opulenten Schau. Trotzdem stellt die einzigartige Qualität der Exponate alles in den Schatten, was man in den letzten Jahren an zeitgenössischer Kunst zu sehen bekam. Von wegen unkonventioneller Kunst: Wer wollte die wüsten Bilderorgien eines Martin Kippenberger wirklich gegen die lustigen Surfbretter mit dem aufgesprayten Bin Laden tauschen, die auf einer der fröhlichen Sezessionen des Berliner Kunstherbstes zu sehen waren? Und gegen ein so geniales, doppeldeutiges Bild wie Martin Kippenbergers Ich kann kein Hakenkreuz entdecken von 1984 kommt die moralisch einwandfreie Dokumentarästhetik der Flick-Opponenten, die jetzt für freien Eintritt für Zwangsarbeiter werben, nur schwer an. Flicks erstklassige Sammlung ist ein deprimierend nachdrückliche Erinnerung daran, was Museen heute selbst nicht mehr zu sammeln in der Lage sind.
Der Politiker als Opportunist
Hat nun die Kunst des Friedrich-Christian Flick die Diskussion "relativiert", wie es Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit sich wenige Tage vor der Eröffnung von Flicks Sammlung in bekannt sensibler Wortwahl gewünscht hatte? Selbst wenn diese Sammlung noch hochkarätiger gewesen wäre als sie es ohnehin schon ist - natürlich hätte sie das niemals gekonnt. Zwar kann die Kunst nichts dafür, dass sie mit Geld erworben wurde, das womöglich aus der Arbeit tausender Zwangsarbeiter stammt, die für Flicks Großvater bluten mussten. Doch selbst wenn Friedrich-Christian-Flick sein Vermögen inzwischen selbst verdient haben mag, aus dem er die Sammlung bezahlte. Die über 2.000 Bilder konnten auch nicht vergessen machen, dass das großväterliche Vermögen der Grundstock war, auf dem er seine globale Spekulantentätigkeit überhaupt erst aufbauen konnte.
Trotzdem war es immer falsch, Friedrich Karl Flick und seine gigantische Kunstsammlung nur zu ächten und ihn samt Bildern in die Wüste schicken zu wollen. Die Flick-Vita ist ein Paradigma des deutschen Geschichtstraumas und seiner Bewältigung: Die Flucht in die Wirtschaft. Die Flucht in die scheinneutrale Schweiz. Die Flucht in die Kunst. Auch der Eiertanz seit der Entscheidung für die Berliner Präsentation: die Mischung aus Nicht-wahr haben wollen, zögerlich zugeben und unbeholfen wieder gut machen schien wie eine Performance dieses nicht enden wollenden Dramas. Flicks Entscheidung, in Potsdam eine Stiftung zu gründen, die mit Jugendlichen gegen "Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz" arbeitet, statt in den Zwangsarbeiterfond einzuzahlen, kam reichlich spät, nämlich erst 2001, lange nach den Zürcher Protesten. All das gehörte immer nach Deutschland und nur nach Deutschland.
Doch statt dieses Trauma von Anfang an einzukalkulieren und damit produktiv umzugehen, hat die Politik die Chance für eine paradigmatische Geschichtsaufarbeitung vergeben. "Das wird Zoff geben" soll Klaus Wowereit der Legende nach zu Friedrich Christian Flick gesagt haben, als sie überein kamen, die Sammlung in Berlin zu platzieren. Wie wahr. Berlin wäre der richtige Ort gewesen, solch eine Ausstellung zu einem Lehrstück in Sachen Vergangenheitsbewältigung werden zu lassen. Wo wenn nicht hier hätte über die Frage gestritten werden müssen, wie weit der Fluch der Väter reicht. Die kritische Diskussion, die Klaus Wowereit jetzt als "legitim" lobt, ist aber ohne ihn zu Stande gekommen.
Das historische Rahmenprogramm zur jetzt eröffneten Ausstellung und die Untersuchung der Familiengeschichte durch das Münchener Institut für Zeitgeschichte haben Flick und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz nachträglich zugestanden, als sie sahen, dass der öffentliche Druck zunahm. Dass die Sprengkraft eines Namens wie "Flick-Collection" erst im letzten Moment erkannt und in Friedrich-Christian-Flick-Collection geändert wurde, lässt bei den Spitzen der staatlichen Kulturinstitutionen von nationalem Rang nicht gerade auf geschärftes historisches Problembewusstsein schließen. Und sie haben ein weiteres Beispiel dafür gegeben, wie man sich Großsponsoren konzeptlos an den Hals wirft und Museumspolitik durch Sammlungspräsentationen ersetzt.
Kurz und gut: Eine eigenständige Absicht zur Aufarbeitung seitens des Staates und seiner kunsthistorischen Institute, die sich sonst gern in Erinnerungsritualen und mahnenden Appellen üben, steckte nicht hinter diesem Coup. Sie hätte weit vorher eingeleitet werden müssen. Wenn nicht Berlins Kultursenator Thomas Flierl eine klitzekleine Ausstellung über das Schicksal Berliner Zwangsarbeiter eröffnet hätte und das Fritz-Bauer-Institut ein paar von ihnen nach Berlin eingeladen hätte, wäre von den Leidtragenden der Flick-Geschichte nicht die Rede gewesen. Bei der Eröffnung am vergangenen Dienstag dagegen herrschte ein gespenstische Mischung aus Hochsicherheitstrakt und Marbella: ein Riesenaufgebot an Bundesgrenzschutz unter einem Meer weißer Partyzelte warteten auf den Einzug Hunderter von VIP´s. Es beschlich einen vergangenen Dienstag ein ungutes Gefühl schiefer Prioritäten, wenn man das Tempo und die Quantitäten, mit denen Flicks Schau aus dem Boden gestampft wurde, etwa mit dem jahrelangen Tauziehen um die Topographie des Terrors verglich, an dessen Ende immer noch eine unfertige Mahnmalsanlage dahin kümmert.
Erhebt nun in Deutschland wegen einer Schau eines Enkels der Naziprofiteure, Rechtsradikalen in diversen Landtagen und einem schaurig "normalen" Hitler-Film die Fratze des Revanchismus wieder frech ihr Haupt? Diese Rede ist ein wiederkehrender Topos des intellektuellen Diskurses in Deutschland. Auch nach Syberbergs Film von 1978 Hitler. Ein Film aus Deutschland war vielen gewiss: Der Revanchismus steht vor der Tür. Doch eben jenes Deutschland ist immer noch nicht in ein neues Nazitum gekippt. Es wird in der umbrechenden Erinnerungskultur dieser Zeit auch nicht das letzte Mal gewesen sein, dass Hitler und das Dritte Reich zum ästhetischen Spielmaterial banalisiert werden. Thor Kunkels missglückter Roman Endstufe war das letzte, missglückte Beispiel. Flick selbst schüttelte am Dienstag angesichts der NPD-Erfolge in Sachsen sorgenvoll den Kopf. Doch so flächendeckend grassiert die "Hitlerei" (Wiglaf Droste) nicht, dass man sagen könnte, die Republik entsorge ihre Geschichte. Bietet nicht die große Plakataktion, mit der die Berliner Künstler Renata Stih und Frieder Schmock auf den Flick-Coup reagiert haben, ein gewichtiges Gegenbeispiel?
Die Bilder als Gefangene
Wie dem auch sei: Die Blindheit, mit der die Politik zu Beginn des Projektes glaubte, die Trennung von Politik und Ästhetik durchhalten zu können, hat die Kunst am Ende beschädigt. Mit einer selbstkritischen Präsentation der außergewöhnlichen Kunstsammlung Friedrich Christian Flicks hätte ein denkwürdiges Exempel der Konversion von Geschichte in Ästhetik vorgeführt werden können. Durch die Hinhaltetaktik sowohl des Sammlers wie der Politik droht ihr jetzt eine Neutralisierung. Im Hamburger Bahnhof leuchten von Marcel Broodthaers bis Richard Prince die Künste und die Künstler. Im zentralen Eingangsbereich liegt Jason Rhodes´ Skulptur Schöpfungsmythos. In der riesigen Installation, einer heimwerkerartigen Gerätelandschaft, hat der amerikanische Künstler wie in einem Labor Alltagsmaterialien vom Schraubenzieher über den aufblasbare Gummipuppen bis zum Rasenmäher ein unüberschaubares, ebenso buntes wie zwiespältiges Pandämonium der bisherigen Schöpfungsgeschichte aufgehäuft - zwischen Apologie und Apokalypse. Doch die schöpferischen Kräfte der an sich unschuldigen Kunst wirken wie gelähmt. Denn über allem liegt der Schatten einer Familie.
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