Der Tanker der Moderne

Bewahranstalt Wie sich das Museum of Modern Art in New York in eine hochmoderne Grabkammer verwandelt hat

New York is modern again - MoMA. Man stutzte ein wenig, wenn man den Werbespruch las, der in den unerwartet vorfrühlingshaften Tagen Ende November die großen New Yorker Avenues säumte und für die Wiedereröffnung einer Institution warb. Sollte New York je unmodern gewesen sein? Die Stadt, die immer nur vorwärts rast, die die Vergangenheit für das brennende Sodom hält, die die Rückschau fürchtet wie die Salzsäule, zu der Lots Frau erstarrte, die immer nur ein Ziel kennt: die Vergangenheit über den Haufen zu rennen für eine noch bessere, noch kürzere Gegenwart. Und diese Stadt soll nun durch ein einziges Museum wieder modern geworden sein?

Natürlich ist das das MoMA, das Museum of Modern Art, das ein paar gut betuchte New Yorker Bürger Ende November 1929, vor genau 75 Jahren, im 12. Stock des Heckscher Buildings, einer viktorianisch anmutenden Geschäftsburg an der Ecke von 5th Avenue und 57. Straße gegründet haben, nicht irgendein Museum. Das MoMA ist ein Mythos. Es gilt als Beginn der Kulturalisierung Amerikas durch die Implementation eines Kristallisationspunktes für einen intellektuellen Diskurs. Cezanne, van Gogh, Seurat und Gauguin hießen zwar die Maler der ersten Ausstellung. In erster Linie ging es dem progressiven New Yorker Bürgertum, mit Abby Aldrich Rockefeller an der Spitze, aber darum, sich von dem Einfluß der traditionalistischen Pariser Schule in der bildenden Kunst abzukoppeln. Manche sehen es deswegen auch als Kreißsaal der amerikanischen Kunst. Das Haus in dem schließlich Jackson Pollock als ihr erster legitimer Sproß entbunden und der abstrakte Expressionismus zu ihrer ersten Epoche ausgerufen wurde.

Der Gründungsdirektor, den die Spitzen der Gesellschaft beriefen, der 29-jährige Kunsthistoriker Alfred H. Barr, war ein Fan des Bauhauses und der Berliner Museen. Die Impulse für sein New Yorker Haus holte er sich auf einer Deutschlandreise. Sein Vorbild war das Kronprinzenpalais als Ausstellungshalle moderner Kunst. Und fast ist man geneigt zu glauben, dass die MoMA-Straßenwerbung von heute Recht hat. Atmet doch der Bau, den der japanische Architekt Yashio Taniguchi in nur zwei Jahren Bauzeit zwischen die 53. und 54. Straße gestellt hat - man mag es kaum glauben - den Geist des Bauhauses: mitten im umtriebigen Midtown, im Dreieck zwischen Rockefeller-Center, Carnegie Hall und dem Auktionshaus Christie´s, da, wo die Investmentbanker mit schussbereitem Handy frühstücken und die Straßen verstopft sind von den schweren schwarzen Limousinen, die lautlos in die Tiefgaragen der dunkel verspiegelten Finanztürme gleiten.

Wer die 5th Avenue nach Norden läuft und in die 53. Straße biegt, könnte den Neubau fast übersehen, so zurückhaltend gibt er sich. Das neue MoMA nimmt den nüchternen Funktionalismus der Gebäude auf, die bislang das MoMA ausmachten: des Baus von Philip Goodwin und Edward Durell Stone von 1939. An dessen Eingang prangte das legendäre Emblem Art in our Time in Form desselben geschwungenen Pianoflügels, der auch das Vordach bildete. Daran schloss sich der Erweiterungsbau von Philipp Johnson aus dem Jahr 1974 an. Beide erinnern an eine Frühform des modernen Kaufhauses. Und Taniguchi gelingt es sogar, den konsumistischen Charme der Shopping-Mall in sein neues Ensemble zu integrieren, die der italienische Architekt Cesar Belli dort implantierte, als er dem Museum einen grässlichen 52stöckigen Kasten als Hochhaus für die Museumsverwaltung hinter die Gründerbauten knallte.

Taniguchi ist nicht Frank Gehry. Er hat keinen postmodernen Wiedergänger von dessen Guggenheim-Ableger in Bilbao in Manhattans Sand gesetzt. Der unspektakuläre Bau des Japaners, der bislang noch nie ein Museum außerhalb Japans gebaut hat, gibt dem bestehenden Ensemble einen Rahmen aus Bauhaus plus Fernost: Er verschmilzt eine schlichte Gebrauchsarchitektur mit östlicher Transparenz, fast möchte man sagen: Transzendenz und einer meditativen Ruhe. Mit dem grauen Glas, dem schwarzen Granit und den weiß geriffelten Fenstern fügt er sich als unauffälliger Schlussstein in diesen Parcours der architektonischen Moderne. Vom Dachgarten-Restaurant im sechsten Stock des neuen Gallery-Wings schaut man in den Skulpturengarten, der von einer leichten Aluminium-Wand umgeben ist. Von hier oben sieht Rodins Denkmal für Balzac wie Ikebana aus: eine gepflegte Oase der apollinischen Kontemplation an einem der rastlosesten Drehkreuze der Globalisierung.

Doch, wie so oft, trügt der Schein. Denn Taniguchi ist nur die architektonische Hülle. Die Modernität außen verhält sich konträr zu der Modernität innen. Ausgerechnet in dem Moment, in dem eine Neudefinition der Moderne angesagt wäre, verweigert sich das Haus, das wie kein zweites Auskunft über ein beherrschendes Zeitalter geben könnte, und zieht sich auf die Position des gewissenhaften Archivars zurück.

Gemessen an der konservativen Attitüde und der überheblichen Art, in der das MoMa auf seinem siebenmonatigen Berliner Gastspiel Ölmalerei und die amerikanischen Maler als den Gipfel der Kunst präsentierte, ist die New Yorker MoMa-Gesamtschau wieder wohltuend differenziert. Hier kehrt das Museum zu dem erweiterten Kunstbegriff von 1929 zurück, der Architektur, Design, Fotografie und Film gleichberechtigt an die Seite der Malerei stellt. Wer weiß schon, dass der Film Citizen Kane von Orson Welles aus dem Jahr 1941 zu den "Austellungsstücken" des MoMA zählt.

Durchmisst man die 12.500 Quadratmeter große Lobby, die nun die 53. und die 54. Straße miteinander verbindet, dreht sich auf der Hälfte der Strecke um und schaut in den ersten Stock des Galerienflügels, der sich darüber türmt und von einem gewaltigen Atrium erschlossen wird, wird man zwar wieder auf das Spannungsverhältnis neues Amerika gegen altes Europa gestoßen: Barnett Newmans Broken Obelisk, der auf der Spitze balancierende Bleisitift, der bis vor kurzem noch vor der Berliner Nationalgalerie die Besuchermassen anlockte, steht da direkt gegenüber von Monets Water Lilies. Doch was wie eine Konfrontation beginnt, löst sich einen Stock höher in den Barr Galleries in einen subtilen europäisch-amerikanischen Dialog auf.

So raffiniert wie hier Max Ernst, Jackson Pollock, Mark Rothko, Roberto Matta, Willem de Kooning und sogar der entfernte Amerikaner armenischer Herkunft, Arshile Gorky, als ein Netz der Korrespondenzen, als ein Dickicht, in dem wechselseitige Beeinflussung und Abgrenzung kaum auszumachen, die gemeinsamen Wurzeln aber immer offenbar sind, darf man von einem Glücksfall kuratorischer Kreativität sprechen. Zumindest an dieser Stelle opfert die eigenwillige, aber intelligente Hängung die kunsthistorischen Bezüge nicht mutwillig effekthascherischer Inszenierung, sondern hilft die Augen des Besuchers für eine schwierige Verwandtschaft weit öffnen.

Die überraschenden Farbtupfer im Treppenhaus: ein Damien Hirst hier, ein Georg Baselitz da, ändern freilich nichts an dem größten Manko des Hauses. Mit der streng chronologischen Schau vom Postimpressionismus des 19. bis zum Postminimalismus des späten 20. Jahrhunderts wird die Moderne in ein altbekanntes Narrativ gezwungen. Es ist das von der ständigen Höherentwicklung, von der Repräsentation zur Abstraktion, der Königsweg des Westens mithin. Künstler wie der afrikanischstämmige Brite Chris Ofili in den Contemporary Galleries sind da immer noch Staffage.

Die Erhabenheit eines sagenhaften Schatzes steht im MoMA freilich gegen egalitäre Inbesitznahme: Wo man früher auf Straßenniveau wie in ein Kaufhaus trat, eine Rolltreppe nach oben nahm und sich in Zimmern kaum größer als Umkleideboxen (manchmal etwas entnervt) auf die Suche nach der zeitgenössischen Kunst machte, türmt sich heute ein einschüchterndes Silo. Auf dem muss man nach oben steigen - in die Ruhmeshalle eines Kanons. Dieser Traditionsbestand (von inzwischen mehr als 100.000 Objekten) überwältigt die allerneueste Moderne. Auch wenn im zweiten Stock, den der Besucher zuerst betritt, programmatisch zeitgenössische Künstler von Elzabeth Peyton über Rachel Whiteread bis Rem Kohlhaas wie bei einer Weihnachtsbescherung ausgestreut worden sind. Das Unternehmen des Aufbruchs, der "Torpedo" MoMA, von dem Barr 1929 sagte, dass er sich "in der Zeit nach vorne bewegt" hat sich in einen schwer beweglichen Tanker der Moderne verwandelt.

Einen mit ungewöhnlicher Form. Im Heck hat er einen starken Antrieb, ausgerechnet am Bug ist er aber so breit wie ein Fußballfeld. So kreuzt dieser Flugzeugträger unter dem Decknamen Moderne oft orientierungslos auf dem Meer der Postmoderne. Aus den dekonstruktivistischen Entwurfszeichnungen der iranischen Architektin Zaha Hadid kann man eine Aufforderung lesen, die Impulse der vom Stalinismus unterdrückten russischen Avantgarde neu zu beleben. Man kann sie selbst als Fortsetzung von Picassos Inkunabel des Kubismus Les Demoiselles d´Avignon von 1907 sehen. Dagegen symbolisieren Installationen wie die des amerikanischen Künstlers Josiah McElhenny nur noch für eine kunstvolle Selbstreferentialität: In seinem Werk Mirrored and reflected infinitely aus dem Jahr 2003 stehen silbern bedampfte Flacons und Flaschen in einem Kabinett aus Spiegeln. Das Bild der schillernden Konsum-Fetische wird samt dem des narzistisch gebannten Betrachters ins Unendliche verlängert.

Ein einziges Mal blitzte in diesen, von einer imposanten Heerschau des amerikanischen Establishments beherrschten Eröffnungstagen des MoMA, etwas von diesem Geist der Anfänge auf. "David", sagte der alerte Direktor des Hauses, der kanadische Kunsthistoriker Glenn Lowry, im Kreise der Spitzen der New Yorker Gesellschaft und der milliardenschweren Politmeritokratie zu dem greisen kleinen David Rockefeller, Sohn des legendären Abby Aldrich Rockefeller und bis vor kurzem noch in Personalunion Chairman der Hauptsponsors JP Morgan Chase Manhattan Bank und des MoMA: "Du hast ja nie in einen Spiegel geschaut, sondern immer nur vorwärts". Da war er noch einmal, der Torpedo.

Bliebe man in dem militaristischen Bild Alfred Barrs, das ja immerhin impliziert, dass ein Zielpunkt zerstörerisch getroffen wird: Was ist das für ein Torpedo, der eine dünne Keramikschutzschicht aus Gegenwartskunst über seine Geschossspitze legt, damit man die Grabkammern nicht sieht, aus denen die Treibstoffstufen bestehen?

So viel blinder Fortschrittsglauben ist der ästhetischen Avantgarde heute zum Glück abhanden gekommen. Der rasante Dynamismus der Moderne ist vom Kolonialismus bis zum Technizismus an seine selbstzerstörerischen Grenzen gestoßen. Wenn sich das Moma heute als große Kanon-Bewahranstalt präsentiert, propagiert es damit auch das Exempel einer selbstreflexiven Moderne. Das könnte einer Stadt und einer Zeit gut tun, die blutig daran erinnert werden musste, dass es Erinnerung, dass es Geschichte gibt. Man kann froh sein, dass die Moderne als prometheische Ideologie an einen Endpunkt gelangt ist. Und vielleicht muss sie heute wieder da ankommen, wo sie Cezanne 1889 starten sah, als er sein Bild Der Badende malte: Das Bild des noch unversehrten menschlichen Körpers. Freilich würde man sich für das MoMA manchmal etwas von dem Elan Alfred Barrs zurück wünschen, wenn es darum geht, eine zeitgemäße Moderne zu definieren, die auf die unhintergehbare Vielfalt Rücksicht nimmt, aber nicht darauf verzichtet "voran" zu gehen. Die ein neues Projekt jenseits des gescheiterten Dritten Wegs oder der nebulösen Zweiten Moderne anstößt. Das "Laboratorium" der Moderne, von dem Glenn Lowry in seinen Eröffnungsworten schwärmte, ist das allzu keimfreie und manövrierunwillige MoMA noch nicht.


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