Nach einer Definition des amerikanischen Romanciers Gore Vidal besteht die US-Demokratie aus einem Einparteiensystem mit zwei rechten Flügeln: Den Demokraten und den Republikanern. Das ist natürlich eine üble Vereinfachung. Denn Amerika ist die Heimat der grass-root-movements, der Bürgerrechtsbewegung, des Verbraucherschutzes und der lokalen Demokratie. Aber was Vidal mit dieser zugespitzten Formulierung gemeint haben könnte, konnte man am 11. Oktober 2002 sehen. 77 Senatoren des eigentlich von den oppositionellen Demokraten dominierten US-Senats stimmten für George W. Bushs völkerrechtswidrigen Krieg gegen den Irak, unter ihnen Hillary Rodham Clinton. Am selben Tag hielt auf der Federal Plaza in Chicago der farbige Senator des Kongresses von Illinois eine aufrüttelnde Rede gegen eben diesen Krieg. Sein Name: Barack Obama.
Ausgerechnet der 1966 geborene Politiker aus Chicago hat nach seinen überraschenden Siegen in den US-Vorwahlen der Demokraten ernstzunehmende Chancen, der erste farbige Präsident der Vereinigten Staaten zu werden. Mehr Chancen als Martin Luther King oder Jesse Jackson jemals besaßen. Trotz dieses bedeutenden Einschnitts steht das amerikanische Parteiensystem aber nun nicht vor einem Linksrutsch. Mag Obama auf seinen Kundgebungen auch noch so radikal "Change" intonieren. An die Grundfesten des Systems rührt er nicht. Der ehemalige Sozialarbeiter aus Chicago will nämlich nur seine alte Balance wieder herstellen.
Wer in Obama 2006 veröffentlichtem Buch Hoffnung wagen nach den Spuren des Linken sucht, als der Obama in den Medien gelegentlich dargestellt wird, sieht sich enttäuscht. Zwar verhehlt der 2006 in den US-Senat gewählte Mann eines Kenianers und einer US-Bürgerin nicht, von der "dionysischen Qualität" der antiautoritären Ära der sechziger Jahre fasziniert gewesen zu sein. Doch schnell gab er den Vorsatz auf, der "Rebell" zu sein, den er sich einst vorgenommen hatte: "Ich überprüfte meine Grundannahmen und rief mir die Werte ins Gedächtnis, die mir meine Mutter und meine Großmutter vermittelt hatten".
Das Ergebnis dieser Revision: Ein Lob der freien Markwirtschaft, des Unternehmertums, der militärischen Stärke und das - verhaltene - Bekenntnis zur Todesstrafe. Eigentlich agnostisch erzogen hat Obama die Erfahrung gemacht, dass Glauben "Ehrgeiz bremst", Jugendlichen versucht er "gute Manieren" und verantwortungsvolle Sexualität schmackhaft zu machen. Wenn Obama in diesem Buch eine "Geschichte" erzählt, dann ist es die Geschichte der Annäherung an den All-American Mainstream. Kein Wunder, dass das Buch mit dem Satz endet: "Mein Herz ist erfüllt von Liebe für dieses Land".
Nicht, dass sich bei Obama nicht auch linksliberale Spurenelemente entdecken lassen. Etwa wenn er geißelt, "dass wir seit dem 11. September mit den Grundsätzen unserer Verfassung Schindluder getrieben haben". Oder wenn er fordert, dass Werte wie "gesellschaftliche Solidarität ... auch für die Regierung Geltung besitzen sollten". Doch wenn es so etwas wie einen roten Faden in seiner politischen Agenda gibt, dann ist es der Verzicht auf jede Art von politischem Dogmatismus.
Obama geißelt die "Checklisten der Orthodoxie" von links wie von rechts, wo sich Staatsgläubige und Marktradikale unversöhnlich gegenüberstehen. Mit diesen "falschen Alternativen" will er nichts zu tun haben. Auch wenn er der wahlkämpfende Ex-Präsident derzeit Schlamm gegen ihn wirft. Hillarys Ehemann ist sein erklärtes Vorbild. "In seinem Programm", schreibt Obama anerkennend, "überwand Clinton die Spaltung und stützte sich auf die pragmatische, unideologische Haltung der meisten Amerikaner". Selbst George Bush und seine Mitarbeiter sieht Obama als "ganz normale Menschen" mit Tugenden und Fehlern. In der an sich sympathischen Weigerung Obamas, alles und jeden immer gleich in ideologische Schubladen zu stecken, schrumpft freilich die neokonservative Revolution, für die acht Jahre Bush eben auch stehen, zum "GOP-Absolutismus".
Pragmatismus als politische Eschatologie: Gelernt haben will der sorgsam argumentierende Verfassungsrechtler Obama das als Politiker. Nach Besuchen im Wahlkreis fühlt er sich stets, wie er schreibt, "wie gereinigt". Man nimmt ihm ab, dass er berührt ist von "einfachen Menschen" wie dem Gewerkschaftsführer Tim Wheeler in Galesburg, Illinois, dessen Sohn keine Chancen hat, an eine Spenderleber zu kommen, weil Wheelers betriebliche Krankenversicherung nach der Kündigung die Kosten nicht mehr übernimmt. Soviel "Einfühlungsvermögen" würde man mehr Politikern wünschen. Doch was folgt daraus?
Natürlich will der Demokrat Menschen wie Wheeler, die er das "kraftvolle Herz Amerikas" nennt, helfen. Doch von Umverteilung hält der Mann, der die ungleiche Vermögensverteilung im Land anprangert, wenig. Er will die Menschen mit mehr Bildung und einer einheitlichen Krankenversicherung fit machen für den Überlebenskampf in der globalisierten Wissensökonomie der Zukunft. Hier offenbart sich der materielle Kern der qualligen Formel "Hoffnung wagen". Bei Obama ist der amerikanische Traum nicht eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Ungerechtigkeit, sondern in erster Linie der Traum vom sozialen Aufstieg. Früher schaffte es jeder in den Mittelstand. Das soll wieder so sein. Obama kritisiert die Identitätspolitik der Schwarzen genauso wie die Selbststilisierung als Opfer bei den Marginalisierten. Das ist etwas anderes als der "compassionate conservatism" George Bushs. Aber mit dieser Haltung steht Obama auch Tony Blairs New Labour näher als Kurt Becks SPD.
Trotzdem ist Hoffnung wagen ein bemerkenswertes Politikerbuch. Denn selten hat man einen Politiker seine Rolle so kritisch reflektieren sehen wie Obama. Von der amerikanischen Spezies ist man gewohnt, dass sie der Nation in derselben Heldenpose neue Horizonte weist, wie einst als Quarterback beim Baseball. Nichts davon findet sich bei Obama, auch wenn er gern ins Fitness-Studio geht. Offen spricht er über Angst in der Politik, beobachtet, wie er sich in ihr "massiv verändert", erinnert sich an den fehlenden Vater seiner Jugend.
Trotz gelegentlicher Anflüge von Pathos und Human Touch: Vielleicht rührt das Suchende, Distanzierte dieses Buches aus dieser Erfahrung. Auch da, wo er seine Überzeugungen ins Feld führt - nie hat man bei Obama das Gefühl, einem kraftmeierischen ideologischen Überzeugungstäter zuzuhören. Eher schon einem Soziologen, der vom Glauben bis zur Rassenfrage empirisch gut fundierte Bereichsanalysen durchführt. Etwas von dem "Beobachter von außen", als der sich Obama vor seinem Bekenntnis zum Christentum oft fühlte, ist bei diesem Politiker noch immer wirksam.
Natürlich hat der Mann auch Handfestes im Angebot. Obama will das amerikanische Haushaltsdefizit verringern, die US-Truppen aus dem Irak abziehen und gegen den Klimawandel kämpfen. Ein linker Flügel ist der amerikanischen Demokratie mit diesem - in Europa selbstverständlichen - Programm noch nicht gewachsen. Aber nach den Jahren der Bush´schen Arroganz ist der selbstreflexive, skrupulöse Politikertypus, den dieser Mann repräsentiert, vielleicht ein kleiner Fortschritt. Bei Obama wäre das, was Gore Vidal nur noch "das Imperium" nennt, wenigstens ein Adler, der Schwächen zeigen kann.
Barack ObamaHoffnung wagen. Gedanken zur Rückbesinnung auf den American Dream. Aus dem Englischen von Helmut Dierlamm und Ursel Schäfer. Riemann, München 2007, 475 S., 19 EUR
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