Er kann es einfach nicht lassen. Silvio Berlusconi hat sich mal wieder zur Hautfarbe des US-Präsidenten geäußert. Er solle vom G-20-Gipfel in Pittsburgh Grüße ausrichten „von einem der Gebräunten: Barack Obama“, sagte der italienische Ministerpräsident kürzlich in Mailand. Schon kurz nach der Wahl Obamas hatte Berlusconi den als “jungen, hübschen und sogar gebräunten“ Mann bezeichnet.
Wer schon bislang an der Idee von der „postrassistischen Gesellschaft“ zweifelte, die Obamas Wahlkampf in den USA beflügelte, dürfte sie nun womöglich endgültig beiseite legen. Schließlich wird die rassistische Karte von den Amerikanern selbst gezogen. Wie man an dem Fall des schwarzen Harvard-Professors Henry Louis Gates sehen konnte, der von der Polizei in seinem eigenen Haus verhaftet wurde. Oder an dem Streit darüber, ob die Kampagne gegen Obamas Gesundheitsreform rassistische Motive hat. Und dann kommt dieser DJ Darky daher und dekretiert: „Schwarzsein ist passè.“ Und: „Der Neger ist jetzt offiziell Mensch“.
Mit bürgerlichem Namen heißt der Protagonist von Paul Beattys neuem Roman Slumberland Ferguson W. Sowell. Der afro-amerikanische Beat-Junkie aus Los Angeles mit dem phonographischen Gedächtnis – er kann sich jedes Geräusch merken - ist auf der Suche nach dem „vollkommenen Beat“. Über Wasser hält sich der verkrachte Musiker, der davon träumte, „sorgloser Jazzer“ zu werden, mit Jobs als DJ und Kompositionen für Pornos.
Eines Tages fällt ihm eine DVD in die Hände, auf der ein Mann Sex mit einem Huhn hat. Die Musik dazu, im Buch „Hühnerficker-Song“ genannt, stammt von dem verschollen geglaubten Jazzmusiker Charles Stone, genannt „The Schwa“. Als Absender steht auf dem Umschlag der Name Slumberland. Die Berliner Kultkneipe aus den achtziger Jahren mit dem Sandfußboden gibt es am Schöneberger Winterfeldmarkt heute noch. Dorthin macht sich Darky auf. Im Slumberland erhofft er sich Aufschluss darüber, wo der legendenumwobene Schwa nun ist. Und beginnt, dort als Jukebox-Sommelier zu arbeiten.
Darky hat eine Affäre mit der Kellnerin Doris. Und trifft auch sonst auf alle möglichen schrägen Vögel: Neonazis, Afrodeutsche. Am Ende findet er sogar den Schwa, der im Osten den Kalten Krieg überdauert hat. Doch diese „Geschichte“ ist fast nebensächlich. Man muss sich Slumberland wie einen immer absurderen Karneval vorstellen, der im Deutschland nach dem Mauerfall spielt, aber durchzogen ist mit abgefahrenen Reflexionen zu allem und jedem: Vom Bräunungsstudio bis zu Techno, vom Berliner Fernsehturm bis zur LP an sich, vom Jazz bis zur deutschen Leitkultur.
Der 1962 in Los Angeles geborene Autor entstammt der Poetry-Slam-Szene. Diese Wurzeln und seine neologistisch-dekonstruktivistischen Wortspiele in den zwei Gedichtbänden Big Bank Take little Bank und Joker, joker Deuce haben ihm den zweifelhaften Ruf eines „Barden des literarischen Hip-Hop“ und einer „Stimme des 21. Jahrhunderts“ eingetragen.
Doch Beatty, der heute in New York lebt, lässt sich nicht gern einordnen. Schon mit seinem zweiten Roman Der Sklavenmessias (White Boy-Shuffle), der auf (den noch nicht ins Deutsche übersetzten Roman) Tuff folgte, hat er eigentlich einen klassischen Entwicklungsroman um den schwarzen Dichter und Basketballspieler Gunnar Kaufmann geschrieben. Als „weißester Neger in der Geschichte der Sklaverei“ in Santa Monica aufgewachsen, kommt er später in den schwarzen Vierteln in Los Angeles nicht zurecht.
In dieser Thematik kann man noch am ehesten einen Hinweis darauf sehen, dass Beatty zwar in der Tradition der afroamerikanischen Literatur steht, für die Namen wie Zora Neale Hurston, die Schule der „Harlem Renaissance“ oder eben Henry Louis Gates stehen. Aber einen Schritt weiter geht. Seine Fähigkeit, alle Stereotypen von Rasse, Klasse und Geschlecht respektlos aufzumischen, erprobt Beatty in Slumberland erfolgreich an der neuen deutschen Gegenwart.
Er wahrt ironische Distanz zu dem identitätsstiftenden Wort „schwarz“. Und geht demonstrativ lax mit Reizwörtern um. Einmal kratzt ein ziemlich unkorrekter deutscher Junge den Spruch „Ausländer raus“ mit den Fingern auf das Fenster des Slumberland. Anstatt auszurasten, spürt Darky beglückt: „Nie hatte ‚Ausländer raus‘ schöner geklungen“. Das C-Moll, das er aus dem quietschenden Malakt heraushört, inspiriert ihn dazu, Oliver Nelsons Stück Stolen Moments als ersten Song für die Slumberland-Jukebox auszuwählen. Am Schluss legt Darky sogar einmal bei einer Skinhead-Demo auf.
Das Rassendings
Ironie ist der eine Vorteil von Beattys Prosa. Vor allem aber schreibt er unsagbar cool, frech, mitunter obszön - aber immer mit einer anspielungsreichen, durchtriebenen Intelligenz. Dazu kommt sein Hang zu paradoxen Vergleichen: „Ich weiß nicht, ob die Musik von Marsalis eine Allegorie auf amerikanische Demokratie, schwarzen Faschismus oder das Rassendings ist“, sinniert Darky einmal, „aber dass die Musik des Schwa Anarchie ist, weiß ich sicher. Sie ist Somalia. Sie ist das US-Kraftfahrzeugamt. Sie ist Albert Einsteins Frisur." Der „Freestyle-Tsunami“, zu dem der Schwa am Ende des Buches noch einmal aufläuft, taugt auch als Charakterisierung von Beattys Ästhetik.
Natürlich ist Slumberland auch ein Pop-Roman. Weil er die Welt mit Musik erklärt und in Songs dekliniert. Weil er sich im beständigen name dropping übt, dieser besonderen Form des inventarisierenden Erzählens. Und weil wir auch in ihm das klassische Inventar jedes Pop-Romans finden, die Playlist, also die 50 Titel, mit der Darky die gute alte Jukebox im Slumberland neu bestückt. Dazu kommt das Dickicht der – manchmal etwas ermüdenden – Querverweise und Zitate aus der Musik-, insbesondere der Jazzgeschichte.
Nur scheinbar ein Gegensatz zum Pop-Genre ist, dass DJ Darky auf der Suche nach dem „vollkommenen Beat“, einer „Art Mona Lisa der Musik“ ist. Damit ist einerseits ein Beat gemeint, „der sich nicht von der Madison Avenue kommerzialisieren und trivialisieren lassen würde“, wie Darky sinniert. Andererseits steckt darin auch das Motiv der vollkommenen Ästhetik, die Idee der Perfektion, wie man an Beattys Referenzen von Walt Whitman bis zu Vladimir Nabokov sehen kann. Doch warum sollten in dem immer noch als „low“ geschmähten Pop nicht dieselben Antriebskräfte wirken wie in jeder guten Kunst?
Von Berlusconis Italien unterscheidet DJ Darkys Deutschland, dass dieses Land der „Himmel des schwarzen Mannes“ ist, wie ihm der Türsteher des Berliner Amerikahauses einmal zuraunt. Das ist natürlich eine freundliche Übertreibung. Strotzt der deutsche Alltag doch nur so von den „Unverfrorenheiten rassistischer Frechheiten“. Doch die (selbst)ironische Gelassenheit, mit der sich Darky darüber amüsiert, hält er wahrscheinlich für den besten Weg zu der postrassistischen Gesellschaft, die er einem Nigerianer im Slumberland einmal so erklärt: „Endlich wird man uns Nichtweiße mit munterer Gleichgültigkeit betrachten, und nicht mit erotisiertem Mitleid oder der Abscheu freudianischer Projektionen“.
Paul Beatty. Roman. Aus dem Amerikanischen von Robin Detje. Blumenbar, München 2009, 320 S., 19,90
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