Der wahre Hegemon

Plauderei Schröder, die SPD und die Intellektuellen

Symbolischer hätte es kaum kommen können. Erst sank Franz Müntefering hinter dem Mikrofon zusammen. Drei Tage später starb Peter Glotz. Erst kippte die traditionalistische Breitseite der SPD weg, dann brach die intellektuelle Speerspitze ab. Man konnte förmlich zuschauen, wie die SPD von zwei Seiten auseinander fiel. Denn einen so brillanten Diskurstechniker und Strategieschmied wie den 1987 mit Willy Brandt aus dem Amt geschiedenen Bundesgeschäftsführer fand die Sozialdemokratie nie wieder. Ein intelligentes Bündnis von Arbeitern, Intellektuellen und technischer Intelligenz, wie es Glotz vorschwebte, war Schröders Engführung der SPD auf die "Neue Mitte" nie. Und als "Arbeit der Zuspitzung" - eine Wortschöpfung Glotz´ - kann man auch die Strategie der SPD in dieser plötzlichen Spätsommerwahl nicht bezeichnen. "Augen zu und durch" heißt ihre unerklärte Parole rund um Schröders einstürzende Neubauten.

Es gibt einen merkwürdigen Widerspruch: Seit dem Abgang von Glotz oder dem des verhinderten Bohemians Engholm übernahmen die Liebhaber des Stallgeruchs wieder das Kommando auf dem "großen Tanker SPD" - auch so ein Wort von Glotz. Die verdrucksten Interpreten des Milieus, Leute wie Rudolf Scharping, Kurt Beck oder Peter Struck saßen plötzlich an den Schaltstellen. Und der hemdsärmelige Macho und Autofan Gerhard Schröder kam mit dem erklärten Vorsatz an die Macht, gegen die rot-grünen Werte zu regieren, die sich in der Gesellschaft etabliert und ihn ins Amt getragen hatten. Trotzdem hat sich der Nimbus seiner Partei gehalten, der "natürliche Ansprechpartner" der Intellektuellen zu sein. Jüngstes Beispiel dieser diffusen Affinität ist ein Aufruf, den nicht nur ein paar "alte Säcke" wie Peter Rühmkorf unterschrieben haben, sondern auch ein paar talentierte junge Nachwuchsautoren wie Eva Menasse, Feridun Zaimoglu oder Juli Zeh. Die CDU kann bislang nur mit Heino aufwarten.

Eine mächtige Basisbewegung zur Rettung der "Reformpolitik" Schröders wie weiland der Aufstand der Dichter und Denker für Willy Brandts Ostpolitik ist es nicht, was das "Büro Grass" und Klaus Staecks "Aktion für mehr Demokratie" da auf den letzten Drücker zusammen telefoniert haben. Aber der Aufruf zeigt doch, wie erfolgreich der Etikettenschwindel war, der mit dem Slogan "rotgrünes Projekt" getrieben wurde. Wie weit es auch ins Gegenteil verkehrt wurde - mit der neuen Kulturpolitik und den weit offenen Armen des jovialen Kanzlers konnte Rotgrün neue und alte Klientel an sich binden. Schröder umgibt sich in seinem futuristischen Amt gern mit Intellektuellen. Freilich: wenn ein veritabler Vertreter dieser Spezies wie Michael Rutschky des Kanzlers Sommerfeste mit poetischen Worten verklärt, seine wirklich kluge Lebensgefährtin sich ob Schröders "bella figura" auf der internationalen Bühne entzückt und Jürgen Flimm die Rotweinkenntnisse des Kanzlers lobt, kann man sich vorstellen, wie kritisch der Diskurs ist, der da gepflegt wird. So kann man die "kulturelle Hegemonie", die der Gramsci-Kopist Glotz anstrebte, natürlich auch verstehen: die Schranzen dürfen bei Hofe plaudern. Am Ende beugt sich doch alles des Kanzlers einsamen Ratschluss.

Nicht, dass wir nicht wünschten, dass die Intellektuellen sich einmischen. Aber den Last-Minute-Populismus Schröders sollten sie uns nicht als Indiz dafür verkaufen, dass sich die Partei von "ihren neoliberal inspirierten Konzepten löst". Wenn ein junger Autor wie Michael Kumpfmüller seine SPD-Unterstützung allen Ernstes mit der "gefräßigen Gesellschaft" begründet, vor der man den Staat schützen müsse, oder Eva Menasse in Clementschem Eifer die Massenarbeitslosigkeit als eine von den Medien erfundene "Parallelwelt" geißelt, ist das wohltuend ernüchternd. Auch Intellektuelle haben ein Recht auf Irrtum. Nur wird die SPD mit solchen Helfern nicht neu Staat machen. Sie sind wohl eher Opfer denn Antipoden des neoliberalen Zeitgeistes - dem wahren Hegemon dieser Ära.


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