Begonnen hat der ganze Kreuzzug eigentlich in Köln. Als die Muslime in der Domstadt vor ein paar Jahren ein Gotteshaus im migrantisch gut aufgestellten Stadtteil Ehrenfeld bauen wollten, rief der Schriftsteller Ralph Giordano: „Stoppt den Bau dieser Moschee“. Der selbsternannte Bernhard von Clairvaux vom Rhein schmähte das Vorhaben auf allen verfügbaren Kanälen eine „Kriegserklärung“.
So lange liegt das alles noch nicht zurück. Und selbst die Tatsache, dass sich die rheinische CDU schließlich eine Zustimmung zu dem – veränderten – Bau abringen konnte, zeigt: Auch die „Mehrheitsgesellschaft“ hierzulande ist nicht vollkommen resistent gegen fremdenfeindliche Infektionen wie die, die vor Wochenfrist ganz überraschend 57 Prozent der Schweizer Eidgenossen befallen hat.
„Angstvotum“ hin oder her. Ganz gewiss war diese Entscheidung ein schwer wiegender „Tabubruch“, der zum „Dammbruch“ in Europa werden könnte, wie der Kölner Schriftsteller Navid Kermani mit Blick auf Frankreich und die Niederlande befürchtet. Zum ersten Mal hat eine Mehrheit in einem europäischen Land einen Kernbestand unverhandelbarer Freiheitsrechte zur Disposition gestellt und gegen den in seiner Verfassung festgeschriebenen Diskriminierungsschutz verstoßen. Ein Tatbestand, der auch dann beunruhigen sollte, wenn der Europäische Menschenrechtsgerichtshof das neue Minarettverbot in der Schweizer Verfassung kassieren sollte. Was er durchaus könnte. Schließlich hat die Schweiz die Europäische Menschenrechtskonvention unterschrieben.
Lustiges Paradox
Trotzdem ist die intellektuelle Schlachtordnung, die sich nach dem Volksentscheid herausgebildet hat, ein lustiges Paradox: Nun werden die Kirchen und die Religion zum Prüfstein der Liberalität, die ihr einst mühsam abgetrotzt werden musste. Einst focht die Aufklärung gegen die Kirche. Nun fighten Linke, Atheisten und sonstige Säkulare vehement für Minarette und ungehinderte Religionsausübung. Während die antiislamische Rechte in der Schweiz sich womöglich noch auf die eidgenössische Tradition des antipapistischen Kampfes berufen kann.
Man kann die Sache philosophisch sehen: Für den Philosophen Ludwig Feuerbach waren die Religionen als erstes „Selbstbewusstsein des Menschen“ schützenswerte Kulturgüter. Das ändert aber nichts daran, dass die meisten dieser Heiligtümer in der ganz gewöhnlichen Lebenspraxis Probleme mit der Gleichberechtigung haben, die sie für sich gern reklamieren. Die Bischöfinnen in der evangelischen Kirche sind auch nicht vom Himmel gefallen.
Aber selbst wenn seine religiösen Minderheiten Religion und Alltag zu stark vermischen sollten: Auch in Europa ist die Trennung von Kirche und Staat längst nicht so durchgesetzt, wie das die Aufklärung vorgesehen hatte. Versuchen Sie mal in Tirol das Kreuz aus den Schulen zu verbannen oder in Bayern den Bau von Wallfahrtskirchen zu begrenzen. Da lässt auch das christliche Abendland gern alle Aufklärung fahren.
Religionsfreiheit ist also ganz gut und schön. Und wir werden jederzeit für sie auf die Barrikaden steigen. Aber vielleicht schadet es auch nichts, daran zu erinnern, dass Feuerbach Gott eigentlich abschaffen wollte. Wahre Nächstenliebe war für ihn nur da möglich, wo sie nicht um eines fiktiven Gottes, sondern um des Menschen willen geschehe. Karl Marx wusste schon, warum er 1841 schrieb: „Alle Kritik ist Religionskritik“.
Der Minarettstreit ist auch Thema der neuen Print-Ausgabe des Freitag. Mit Beiträgen von Christoph Butterwege und Katharina Körting. Morgen am Kiosk, das Abo gibt es hier.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.