Die Schwerkraft der Körper

Fleischerladen Die Düsseldorfer Quadriennale will mit Caravaggio und Bacon der Postmoderne Paroli bieten

Der lasziv gebogene Körper eines Jünglings. Nackt, auf einer Lichtung im Wald, eine Hand um den Kopf des Widders, dem Symbol der Lust gelegt. Sah so Johannes der Täufer aus? Der Prediger in der Wüste, der die Menschen zur Umkehr ruft, als erotisierter Faun? Wer in der jüngst eröffneten Düsseldorfer Caravaggio-Schau das Bild Johannes der Täufer bewundert, das der Maler Michelangelo Merisi, nach seinem Heimatort Caravaggio genannt, um 1605 malte, kann noch heute verstehen, warum das einige seiner Zeitgenossen in helle Empörung versetzt haben muss. Fleischeslust statt Askese, das war gewiss nicht nach dem Willen der Gegenreformation, der Epoche, der der legendäre Maler ewige Bildkraft verlieh.

Caravaggio - das ist natürlich der unbestrittene Star der Quadriennale. Die große Kunstmanifestation, mit der sich die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt in Zukunft alle vier Jahre als "ArtCity" profilieren will, ist in erster Linie groß angelegtes Standortmarketing mit den Mitteln der Kunst. Immerhin fünf Millionen Euro Sondermittel hat die Stadt in diesem Jahr dafür locker gemacht. Mit dem Erfolg, dass die selbstgefällige Kunstmetropole Köln sich plötzlich höchst bescheiden ausnimmt gegen dieses geballte Auftrumpfen der ewigen Rivalin.

Dass der thematische Schwerpunkt des Kunstevents zum Auftakt "Körper" heißt, ist kein Zufall oder eine prätentiöse Verlegenheitslösung. Die zwei Großausstellungen und eine Unzahl kleinerer Schauen zum selben Thema in den Galerien am Rhein und öffentlichen Museen sind nur I-Tüpfelchen einer Renaissance, die schon länger zu beobachten war. Manche Prophezeiung der Posthumane hat sich zwar erfüllt: Der Cyborg ist Realität, was wir Körper nennen, mutiert zu einer Kombination von Prothesen. Aber man muss nicht nur den Boom der Fitness-Studio bemühen, um zu begreifen: In einer Welt, in der alle Beziehungen immer abstrakter werden, wächst zugleich die Sehnsucht nach dem Konkreten. Und was wäre (noch) konkreter als der menschliche Körper?

Bemerkenswert, dass nun drei schwule Künstler für die Apotheose des Körpers herangezogen werden. Die Außenseiter sollen eine Instanz rehabilitieren, die dem bürgerlichen Subjekt abhanden zu kommen droht. Neben dem 1571 geborenen und 1610 gestorbenen Caravaggio im Kunst Palast und dem 1909 geborenen und 1992 gestorbenen Francis Bacon in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen hat das NRW-Forum Kultur und Wirtschaft Arbeiten des 1941 geborenen amerikanischen Künstlers Bruce Nauman zusammengestellt, der heute auf einer Farm in New Mexico lebt. In der städtischen Kunsthalle stellt zudem die 1963 geborene Mexikanerin Teresa Margolles aus. Alle zusammen lesen sich wie ein starkes Plädoyer für den realen Körper.

Die Anlage der von Jürgen Harten kuratierten Caravaggio-Schau ist wohltuend riskant. Ähnlich wie bei der Berliner Rembrandt-Schau geht es um die Frage nach Original und Kopie. Ein Bild wie das von Johannes dem Täufer in sieben Varianten und Kopien zu zeigen, ist tendenziell mythenkritisch, weil das Idol Caravaggio hier in seinem historischen Umfeld samt seiner Produktionsbedingungen und Konkurrenzbeziehungen gezeigt wird. Dem provozierend Erotischen und der Expressivität vieler Meisterwerke tut das freilich keinen Abbruch. Das Publikum liest sie gewöhnlich als Inkunabeln der Lust am Körper, als Versprechen auf seine Sensationen. Zusammen mit dem Schicksal des geheimnisumwitterten Raufbolds, Totschlägers und radikalen Außenseiters Caravaggio geben die Bilder immer noch die Projektionsfläche für sexuelle, meist homoerotische Phantasien ab.

Darüber gerät leicht in Vergessenheit, dass Caravaggio den menschlichen Körper immer als erleidenden dachte. Mag der um 1594 entstandene Lautenspieler auch kindliche Unschuld und Reinheit verströmen. Die Mehrzahl seiner Bilder bevölkern Menschen mit physischen Mängeln. Ihr Körper erscheint vergänglich. Der Heilige Hieronymus hat bei Caravaggio Runzeln und Falten. Der von Rembrandt bis heute bewunderte, kompromisslose Naturalismus band die Gläubigen um so stärker an die Dogmatik der Gegenreformation, je natürlicher, alltäglicher seine Heiligen daherkamen: Ein Jesus wie Du und Ich! Die Schwerkraft der Materie, die Caravaggio dem idealischen Körper der Renaissance entgegenhielt, profanisierte auf der einen Seite zwar die Religion, untergrub aber zugleich das Aufklärungs-Postulat vom autonomen Subjekt. War Michelangelos David die Ver-Körperung der Utopie, schrumpft sie bei Caravaggio zu einem defizitären Modus.

Gerade die Idee vom Körper als Mangel, Verfall und Symbol der Verletzbarkeit macht den italienischen Meister dem knapp 450 Jahre später auf die Bildfläche der Kunst getretenen Francis Bacon vergleichbar. Seine in der Mitte eines Raumes dem voyeuristischen Blick des Betrachters ausgelieferten Menschenkörper künden von Schmerz und Grausamkeit der bloßen Existenz. Bei Bacon ist der Körper ein Gefängnis, eine Instanz, die durch keine Virtualisierung zu hintergehen ist.

Sein Interesse daran erwachte früh. Study from a human body heißt ein frühes Bild Bacons aus dem Jahr 1949. In der Wahl dieses künstlerischem Leitmotivs steckt auch ein Stück historische Erfahrung: der Holocaust und der Zweite Weltkrieg als größtmöglicher Angriff auf die Menschlichkeit. Doch wie stark Bacon an der Idee einer, aller Kultur und Geschichte vorausgehenden, sie begrenzenden Leiblichkeit hing, macht sein Satz deutlich, dass alle Menschen "potenzielle Kadaver" seien: "Jedesmal wenn ich einen Fleischerladen betrete, bin ich überrascht, dass ich nicht dort anstelle des Tieres hänge.". Auf seiner Arbeit Figure with Meat von 1954 hat er den Papst, Symbol des Transzendenten, zwischen zwei blutige Rinderhälften postiert.

Die Postmoderne sah den Körper immer als Anwendungsfall einer idealistischen Phantasie, der Idee nämlich, materielle Grenzen überwinden zu können. In dem Pandämonium der Körper in Düsseldorf wird nun seine unüberwindbare Physis beschworen. In Bruce Naumans früher Arbeit Bouncing in the corner Nr. 1 aus dem Jahr 1968 sieht man in einem 60minütigen Video, wie sich der Künstler selbst wieder und wieder gegen eine Ecke im Raum fallen lässt. Am nachdrücklichsten drängt sich der Körper aber da ins Bewusstsein, wo er längst verschwunden ist. Berlinde de Bruyckeres Torsos aus Polyester und Wolldecken in der Kunsthalle sind keine echten Pferdekadaver, sondern erinnern nur an sie. In ihrer Arbeit 127 cuerpos hat Teresa Margolles 127 blutgetränkte Bindfäden zu einer langen Leine verknotet. Jedes Stück stammt aus dem Körper eines von 127 gewaltsam zu Tode gekommenen Mexikaners, deren Leichname nach der Autopsie wieder zusammengenäht wurden. So dünn und fragil wie die Schnur im Raum schwebt, so massiv verweist die Installation auf den toten Körper und die Vergänglichkeit allen Fleisches.

Die Düsseldorfer Mammut-Schau als Auftakt einer Rückbesinnung auf das Materielle, gar Leibliche zu deuten, hieße, sie zu überschätzen. Denn zum einen haben die beeindruckenden Werke, die hier ausgestellt sind, mit dem Paradox zu kämpfen, dass sie nur Zeichen sind - wie alle Kunst. Und was in dem suggestiv bestückten Fleischerladen zum Ruhme einer Landeshauptstadt entschieden zu kurz kommt, ist die Frage nach dem Körper als Schnittstelle von Natur und Kultur. So frappierend realistisch Caravaggios den Körper präsentiert, so meisterhaft desillusionierend Bacon ihn zum Mittelpunkt der Existenz macht. Seine wie Tierkadaver drapierten Figuren, die rosa Fleischwülste, aus deren Wunden Blut sickert, scheinen auch wie eine Bestätigung der postmodernen Idee von der Formbarkeit des Körpers. Letztlich ist er auch bei Bacon - via Farbe - kulturell gestaltbares Material.

Caravaggio. Auf den Spuren eines Genies. Museum Kunst Palast. Düsseldorf. Noch bis zum 7.1.2007 Katalog, Hatje Cantz, 24,50 EUR

Francis Bacon. Die Gewalt des Faktischen. Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K 20, noch bis zum 7.1.2007, Katalog, Hirmer, 28 EUR


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