Drift

Linksbündig Soll der Suhrkamp-Verlag nach Berlin ziehen?

Der Frankfurter Geist. Dieses Ominosum wird immer beschworen, wenn im deutschen Feuilleton die periodische Suhrkamp-Debatte tobt. Doch wer heute einen Spaziergang durch die City am Main macht, wird vergebens nach diesem Gespenst suchen. Die Stadt durchweht derselbe Hauch sterilen Kommerzes wie alle deutschen Mittelstädte. Theodor W. Adornos Institut für Sozialforschung steht wie ein trauriges Relikt am Randes des Universitätsviertels: eingekeilt zwischen Shopping-Passagen und Bankentürmen. In dem Grüngürtel, der das Banken-Viertel säumt, stehen zwar noch zwei prächtige Denkmäler von Goethe und Schiller. Doch wer auf das Schauspielhaus zusteuert, einst ein intellektuelles Nervenzentrum der Stadt, läuft gegen die europäische Notenbank. Vor deren Tower blinkt die neue Leitwährung der Epoche: ein großes blaues Euro-Zeichen.

Man soll eine ganze Stadt nicht auf ein einziges Symbol reduzieren. Doch wenn man bedenkt, wie Frankfurt in den letzten Jahrzehnten vom Geist auf das Geld gekommen ist, kann es nicht verwundern, dass der dort seit 1959 ansässige Suhrkamp-Verlag den Umzug nach Berlin zumindest für erwägenswert hält. Vorbei die Zeiten von Jürgen Habermas bis Alexander Mitscherlich, von Hilmar Hoffmann bis Sylvain Cambreling. Was sollte einen in Frankfurt noch halten? Der Äppelwoi? Die Millionäre im Taunus? Dass Max Beckmann einmal den Eisernen Steg gemalt hat? Auch die stille Lindenstraße, in der Suhrkamp residiert, ist nicht gerade das Zentrum intellektuellen Reizklimas. Die Berliner Kreativszene mag vielleicht auch nur ein Mythos sein. Jedenfalls entfaltet sie magnetischere Kräfte als das Frankfurter Westend. Zuletzt hatte es den neuen Verleger des Aufbau-Verlages, Matthias Koch, an die Spree gelockt. Im Ruhrgebiet war es dem mittelständischen Unternehmer zu langweilig geworden. Nun bastelt er im tiefsten Kreuzberg, da wo sich Punk und Prekarier "Gute Nacht" sagen, an einem "Kreativkaufhaus".

Nun ist es im Zeitalter der Globalisierung und ihrer vagabundierenden Geistesnomaden im Grunde egal, wo ein Verlag residiert. Die Einheit von Ort und Geist, die bei dem Frankfurter Traditionsverlag immer wieder bemüht wird, ist nichts weiter als ein Mythos. Suhrkamp-Autor Jürgen Habermas wohnt schon lange am Starnberger See. Auch die philosophische Wunderkerze Slavoj Zizek sprüht, wo sie will. Aber selten am Main. Das Beunruhigende versteckt sich im Subtext dieser Debatte. Denn die Trias von Paulskirche, Suhrkamp und Buchmesse stand für ihre bessere Seite: Aufgeklärt, lernbereit, friedensfähig. Was bedeutet es für die neue Republik, wenn sich dieses Bild, das sich bei den Deutschen tief eingebrannt hat, nun endgültig auflöst?

Zumal in einer Hauptstadt, die sich notorisch selbst überschätzt. Wenn der Berliner Senat großspurig verkündet, Berlin sei "das literarische Zentrum Deutschlands" ist das zwar nicht ganz von der Hand zu weisen. Doch nun die wichtigsten Verlage mit billigen Immobilien und allerlei Vergünstigungen dorthin zu locken, ist genau jene schleichende Aushöhlung des Kulturföderalismus, die die Republik überhaupt nicht gebrauchen kann. In Frankfurt macht ein schlechtes Beispiel Schule: Auch von Europas führender Kunstmetropole Köln ist nicht viel übrig geblieben, als alle Galerien nach der Wende nach Berlin zogen - und die Stadt sie ziehen ließ.

Der Berlin-Drift seit 1989 verstärkt die Neuausrichtung der kulturellen Landschaft in Deutschland nach dem Modell Zentrum-Peripherie: Es gibt eine pulsierende Mitte, um sie herum gruppieren sich sterile Randzonen, die jeder, der etwas werden will, möglichst schnell wieder verlässt. Die vier, fünf Kulturstädte, zwischen denen man vor dem Mauerfall wählen konnte, standen auch für ein geistiges Machtgleichgewicht. Wer könnte Interesse an einer Republik haben, in der nur noch eine Stadt intellektuell den Ton angibt?

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