East - West

New Yorker Abende Kolumne

"Wie funktioniert das jetzt noch mal mit East und West?" Simone ist irritiert. Wir stehen vor dem kleinen Hotel auf der 17ten Straße und wollen zum Frühstück mit Paul Richtung Downtown. Sonst weiß die scharfzüngige Kolumnistin immer sofort, was und wohin sie will. Aber im Südosten New Yorks stutzt sie. Dabei ist alles so einfach. Links von der 5th Avenue tragen alle Straßen den Zusatz West, rechts davon den Zusatz East. Blickt man nach Süden ist es genau umgekehrt - ohne dass sich was geändert hätte.

In Berlin können wir das Thema nicht mehr hören. Die New Yorker sind stolz auf ihre Ost-West-Spaltung. Das urban raster ist in der Hauptstadt des Westens aber nicht nur ein geografischer Pragmatismus. Es trennt immer noch Welten: Salman Rushdie wohnt auf der noblen Upper West-Side, wo die Bewohner ihre afghanischen Windhunde spazieren führen. Paul wohnt an der äußersten Ecke des East Village, wo sich die Freaks samt Köter zu Wimpy´s schleppen. Billige Blumenläden säumen unseren Weg von unserer stillen Bürgeroase Gramercy Park und Läden mit Nail die Gullydeckel dampfen.

"Ich gehe nicht so oft aus" entschuldigt sich Paul, als er verspätet im Yaffa-Café aufläuft. Im Kreuzberg New Yorks schillert nur noch ein Abglanz des einstigen Flairs aus literarischer Boheme, kabarettistischer Kunstseide und nasenfüllendem Schnee. Doch in dem Kellercafé hat sich die Atmosphäre gehalten: Plüsch an den Wänden, Anti-Bush-Buttons an der Kasse, der Kellner mit der Punkfrisur kann Ham nicht von Bacon unterscheiden: "You know the difference?" fragt er mich mit sanfter Stimme und verträumtem Blick. Paul schreibt Simone eine Widmung in sein Buch.

Wenn schon New York, dann auch Glam, haben wir uns gedacht und sind im 17 abgestiegen. Hier soll Madonna einen halben Tag gewohnt und Woody Allen einen Film gedreht haben. Vom Genius loci merkt man in dem stillen Hotel nichts. No Celebrity, nirgends - wenn man von Simone in Sonnenbrille und den holländischen Touristen mit den Macy´s-Tüten absieht. Dicke Teppiche schlucken jedes Geräusch. Dafür klopft nachts die Heizung wie im Horrorfilm.

Abends bei Gianina in der Upper-East-Side ist dann aber alles wie bei dem Stadtneurotiker. Die New Yorker sind im Moment heiß auf Berlin. Aber diese Mischung aus radical chic und radical brain findet man doch nur am Hudson. Die exzentrische Autorin aus Puerto Rico schreibt hermetische Miniaturen auf spanglish. In ein paar coolen Gaultier-Fetzen steht sie vor uns. Jeder Quadratzentimeter ihres mondänen Flats an der 59sten Straße ist mit Avantgardekunst drapiert. Small Talk funktioniert in Amerika sofort: mit Tessa vom Whitney-Museum und Bernard, dem greisen Verleger, der "Beckett in Amerika durchgesetzt" hat. Mit gebleckten Kunstzähnen bellt das Männlein in Sneakers, das hardly sein Cocktailglas halten kann, Geschichten vom Besuch bei Adenauer in Bonn und Ledig-Rowohlt in Hamburg und wie Rosemarie Nitribitt mit ihm während der Frankfurter Buchmesse im Mercedes durch die Trümmerstadt am Main fuhr.

Manchmal umschatten sich dann mitten im Gespräch Gianinas Augen. Der fashion-victim mutiert zur Seherin: "Hat Heiner Müller nicht schon in der ›Hamlet-Maschine‹ den Fall der Twin Towers vorausgesagt?" fragt sie plötzlich bei einem unumgänglichen Thema. Wir überlegen, sprachlos. Dieter kennt jemand viel wichtigeren: "Schon mal was von Thomas Barnett gehört?" fragt der verkrachte Galerist aus Chelsea und lallt etwas von der "New Map of the Pentagon". Verschwörermiene! Großes Geheimnis! Er schwankt, seine glasigen Augen glotzen abwechselnd auf mich und auf die attraktive Lesbe, die neben uns mit Daniel, dem melancholischen Kritiker, wie wild Jive tanzt. Dann raunt er in österreichischem Englisch: "Wenn Ihr wissen wollt, was Bush vorhat, lest das Buch." Gianina lacht auf. "Glaubt ihm kein Wort", sagt sie mit rauchiger Stimme, diesmal in english.

Daniel glaubt auch nicht einfach, was er sieht, sondern lieber an Schönheit und Fiktion. Trinkt er deshalb immer so schnell? Kurz nach Mitternacht wechselt er vom Formationstanz zur Psychoanalyse. "Erzählt mir nichts!" wischt er mit überschwappendem Weißweinglas Simones und meine sophisticated Einwände gegen seine Andeutungen über unser Verhältnis: "Ich habe genug Freud und Lacan gelesen." Noch ein Geheimnis! "Vielleicht sollte ich ihn einfach in´s Taxi nach Brooklyn setzen?", fragt Leo, der charmante Anthropologe aus Princeton? Simone und ich gehen auch - untherapiert und ohne jede Schuldgefühle. Das Schöne an New York ist: Egal wie benebelt man ist, man kann sich einfach nicht verlaufen. In tadelloser Haltung gleiten wir in zwei yellow cabs auf der Ost-West-Scheide nach Süden. Die Modegeschäfte glitzern in der Nacht, Christos orange Tore wehen im Dunkeln. Irgendwann müssen wir einfach haarscharf east.


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